Dr. Jekyll und Mister Krimi

„Writing under his own name, Banville manages around 100 sweated-over, teased, honed and polished words a day; but as Benjamin Black, he can manage a couple of thousand.“

So, jetzt haben die Engländer auch ihre →„Gartenklamotten“-Affäre. Wir erinnern uns: Der Autor Matthias Altenburg hatte bekannt, zum Schreiben von Kriminalromanen unter dem Namen Jan Seghers die „Gartenklamotten“ anzuziehen. Sprich: Bei Krimis wirft man sich nicht in den feinen Sprach- und Stilzwirn, sondern schreibt mehr oder weniger drauf los. Der Booker-Prize-Gewinner John Banville siehts wohl ähnlich. Als Hochliterat schafft er gerade einmal 100 polierte Wörter, als Krimiautor Benjamin Black haut er sie hingegen nur so in die Tasten (die ganze Geschichte gibt’s bei →Sarah Weinman).

Einige sind jetzt von Banvilles / Blacks Bekenntnis gar nicht begeistert, Reginald Hill etwa. Dabei – wozu die Aufregung. Wie in der sich Weinmans Beitrag anschließenden Diskussion erwähnt, ist noch lange nicht ausgemacht, ob 100 unter Schweiß aufs Papier gesetzte Wörter wirklich „besser“ sind als mehrere Tausend rausgehauene. Man frage Herrn Simenon. Entscheidender jedoch dürfte sein, dass sich die Arbeit eines Autors nicht darin erschöpft, eine Geschichte AUFZUSCHREIBEN. Ein bisschen mehr Aufwand ist es schon. Man braucht eine Story, wenigstens eine Ahnung von der Dramaturgie, man wälzt das alles bei jeder Gelegenheit – sei es beim Spazierengehen, beim Aufwachen morgens, beim Essen, beim Urinieren, beim Sex, beim Einkaufen – im Gehirn, man verwirft, man assoziiert, man lässt sich inspirieren, man ist verzweifelt, man ist euphorisch – kurz: Das Schreiben selbst ist die Spitze des Eisbergs, eigentlich der lockerste Teil des Ganzen. Sehr viel schwieriger ist es, die geeignete Sprache erst zu finden, in die die Geschichte gegossen wird.

Gibt es nun bei dieser gedanklichen (Vor-)Arbeit gravierende Unterschiede zwischen „Hoch“- und Kriminalliteratur? Nur dann, wenn man das Schreiben von Krimis unter die Prämisse des „Es geht ausschließlich um den Inhalt“ stellt. Das wiederum bedeutet, die LeserInnen von Kriminalromanen dem Generalverdacht auszusetzen, sie interessierten sich nicht wirklich für die Sprache, in der eine Geschichte herkommt, sondern ausschließlich für die dramaturgische Gestaltung dieser Geschichte. Andererseits wird davon ausgegangen, LeserInnen sogenannter „Hochliteratur“ wären darauf geeicht, Sprachfeinheiten zu erkennen und anzuerkennen.

In praxi mag so etwas ja gelegentlich vorkommen; die Regel ist es aber nicht. Es soll Autoren geben (ich nenne jetzt keine Namen), die überlegen schon eine Weile, ob sie „ich hab“ oder „ich habe“ schreiben sollen. Wenn in einem Krimi etwa eine Ich-Erzählerin, die als „eher ungebildet“ charakterisiert wurde, plötzlich anfinge, ziseliertes Akademikerdeutsch zu reden, wärs ein unentschuldbarer Faux Pas. Desgleichen jedoch in einem Roman der „Hochliteratur“. Ich persönlich mag keine Bäuerinnen, die, obwohl sie ihr Leben lang Bäuerinnen waren, plötzlich zu tiefgeistigen Philosophinnen mutieren. Nicht weil ich ihnen das Recht und das Können absprechen würde, tiefgeistig zu philosophieren – sondern weil ich nicht glaube, dass sie es in der Sprache tun, die man in Romanen der Hochliteratur von ihnen erwartet.

Das sind Entscheidungen, die der Autor, die Autorin VOR der eigentlichen Niederschrift zu treffen hat. Wie reden meine Protagonisten? Was erzähle ich als Autor – und was nicht? Wie viele Schichten türme ich übereinander, Sprachschichten, Bewußtseinsschichten, Inhaltsschichten? Hier gibt es keinen Unterschied zwischen einem ernsthaften Krimi und einem ernsthaften Nichtkrimi. Es sei denn, ich mag das, was ich unter meinem Kriminamen mache, eigentlich gar nicht und tue es nur, weil es sich besser verkauft. Und überhaupt: Warum sich „seriöse Autoren“ plötzlich anders nennen, wenn sie „nur Krimi“ schreiben, wird mir immer ein Buch mit sieben Siegeln bleiben.

3 Gedanken zu „Dr. Jekyll und Mister Krimi“

  1. Ich würde Bücher überhaupt nicht danach bewerten, ob die Schreibarbeit dem Autor Mühe bereitet hat. Dem einen fällt’s leicht, dem anderen schwer. Interessanter ist doch die Frage, inwieweit ein Buch mir als Leser Anstrengung abverlangt? Und natürlich, ob diese Anstrengung sich lohnt. Wahrscheinlich hat beispielsweise Michael Connelly einiges an Arbeit in einen Roman wie „The Lincoln Lawyer“ gesteckt, damit Nicholson Baker in einen förmlichen Leserausch geraten konnte.(http://www.newyorker.com/reporting/2009/08/03/090803fa_fact_baker?yrail) Wer allerdings Reginald Hills Romane ähnlich schnell zu lesen versucht, dürfte einiges verpassen. Und sich damit um die Hälfte des Lesevergnügens bringen. Kein Wunder, dass ein Krimikünstler wie Hill John Banvilles Einlassung als arrogant empfinden musste.

  2. Es gibt analog zum Leserausch auch den Schreibrausch. Statt zwei Seiten Tagespensum dann eben zehn. Dem geht aber in der Regel auch gedankliche und konzeptionelle Arbeit voraus. Dein Argument, lieber Joachim, triffts. Oder um es mit einem Exbundeskanzler zu sagen: Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

    bye
    dpr

  3. Ich finde das Wort „Anstrengung“ eher unglücklich. Aber das ist nur ein Streit um Worte, den ich hier nicht anfange. In der Sache stimme ich da auch zu. Wobei auch Bücher, die mir keine Mühe machen, gut sein können. Z.B. Arno Schmidt. Den lese ich sehr genussvoll und entdecke immer wieder Neues bei ihm, auch nach zig Jahren Lesen. Oder Christian Geißler. Der mir immer wieder Aha-Erlebnisse verschafft hat. Oder Hölderlin. Auch keine leichte Kost, die viel Arbeit verlangt. Finde ich aber auch nicht mühevoll, sondern voller intellektuell-sinnlicher Belohnungen.

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