Noch einmal…

Zum „Fall Droste“ wäre eigentlich →alles gesagt. Jetzt aber hat sich der Verleger Felix Droste via →TAZ-Interview zu Wort gemeldet und die ganze Geschichte von „Meinungsfreiheit und Zensur“ ins Grundsätzliche erhoben.

„Ich verlege keine Bücher, die die Gefühle von Mitbürgern verletzen“, stellt Droste fest und nennt Frau Brinkmanns Manuskript „ausländerfeindlich, es läuft einem kalt den Rücken runter, wenn man es liest“. Der Einwand des Interviewers, es handele sich doch „um fiktive Dialoge in einer fiktiven Geschichte, die nicht die Meinung der Autorin oder des Verlages wiedergeben“ müsse, wird von Droste nicht aufgenommen. Statt dessen fragt er nach dem „geistigen Vater von Frau Brinkmann“ und bringt abermals die Gefühle der Mitbürger, diesmal explizit die religiösen, ins Spiel.

Er habe, sagt Droste weiter, „einen sachlichen Regionalkrimi eingekauft“ und „einen mittelmäßigen Roman“ erhalten. Und wiederholt abermals das Credo seines Hauses: „Ja, in meinem Programm gibt es keine Bücher, welche Glaubensgemeinschaften anschwärzen.“

Was Droste hier verkündet, ist unter so ziemlich allen Aspekten der Betrachtung fragwürdig, wenn nicht gar fatal. Geradezu unglaublich, wie er keinen Versuch macht, die Ansichten seiner Autorin von denen ihrer Figuren zu trennen, wie selbstverständlich hier zusammengehört, was dem Wesen von fiktiver Prosa nach eben nicht zusammengehört. Dröseln wir das Ganze praktisch auf.

„Kinder empfinden beim Sex mit Erwachsenen Lust.“ Einer solcher Satz in einem „Sachbuch“ ist geeignet, „die Gefühle von Mitbürgern“, insbesondere von Opfern sexueller Gewalt, zu verletzen. Er gehört in die Kategorie „Judenvernichtung gab es nicht“, „Alle Neger sind dumm“, „Alle, die nicht an die Religion X glauben, werden dereinst in der Hölle schmoren.“ Was aber nun, wenn ich innerhalb eines Romans – meinetwegen eines Krimis – diesen Satz als Überzeugung eines Päderasten hinschreibe? Werden auch hier Gefühle verletzt oder muss ich von meinen Lesern Verständnis dafür erwarten, dass ich einen Päderasten denken lasse, was ein Päderast wohl denken mag?

Oder nehmen wir jemanden wie den Schriftsteller Karlheinz Deschner, der eine voluminöse „Kriminalgeschichte des Christentums“ verfasst hat. Ob ich es als überzeugter Christ wirklich gerne zur Kenntnis nehme, was meine Glaubensbrüder so alles trieben und treiben? Möglicherweise nicht. Es handelt sich hier jedoch um ein wissenschaftliches Werk, das wissenschaftlich kritisiert werden kann, nicht aber auf Gefühlsebene. Bleiben wir beim Christentum. Darf der Autor Arno Schmidt die Bibel „ein unordentliches Buch mit 50.000 Textvarianten“ nennen? Er legt diese Behauptung in den Mund des Protagonisten der Erzählung „Seelandschaft mit Pocahontas“, doch kann kein Zweifel daran bestehen, dass hier auch die Meinung des Autors wiedergegeben wird. Der denn auch prompt wegen „Gotteslästerung und Pornographie“ belangt werden sollte.

Treiben wir es nun auf die Spitze. Angenommen, ich schriebe einen Krimi, dessen Held oben eingeführter Päderast wäre. Und ich würde mich einen Teufel um irgendwelche Correctness scheren und diesen Päderasten als einen Sympathieträger zeichnen, einen guten Menschen mit, nun ja, gewissen menschlichen Schwächen. Könnte ich mich dann immer noch auf die künstlerische Freiheit der „Figurenrede“ berufen oder müsste ich mir den Vorwurf gefallen lassen, durch die Konzeption der Figur quasi parteiisch zu sein und „die Gefühle meiner Mitbürger“ zu verletzen?

Was hier am Beispiel eines Päderasten angedeutet wird, gilt natürlich für jede andere Person: einen kinderschändenden Schwulen, einen Nazi mit dem Herz auf dem rechten Fleck, ein Priesterseminar, in dem genüßlich Orgien gefeiert werden etc.

Nun wäre kein Leser gezwungen, ein solches Buch zu mögen. Vielleicht hätte er sogar recht mit seinem Verdacht, hier verteidige ein Autor unter dem Deckmäntelchen der künstlerischen Freiheit die Kinderschändung. Es würde nichts an der schlichten Tatsache ändern, dass eine literarische Figur gezeichnet wird, die per definitionem außerhalb moralischer Wertung angesiedelt ist. Ich kann das mit Argumenten kritisieren, ich kann es verurteilen, muss jedoch damit rechnen, falsch zu liegen. Denn wäre Literatur moralisch bewertbar, was ja allein zu dem Ergebnis eines „verletzten Gefühls“ kommen könnte, dann existierte sie schlicht nicht mehr.

Wenn ein Verleger solche Texte nicht veröffentlichen möchte, ist das sein gutes Recht – und zugleich jene „natürliche Zensur“, die sich allerorten finden lässt. Manche Verlage veröffentlichen keine Texte, die etwas anderes sind als „sachliche Regionalkrimis“ (was immer das auch sein mag), andere verzichten auf Krimis, die sich nicht „lesen wie Butter“, andere mögen keine Kommunisten oder Freidemokraten als Bösewichte, und ganz bestimmt gibt es irgendwo in unserem weiten Land auch einen Verleger, der niemals einen Krimi verlegen würde, dessen Protagonist von Dämonen gejagt wird. Sich allerdings so unsensibel zur Problematik von Fiktion und Wirklichkeit zu äußern wie Herr Droste, das ist bedenklich. Mit dem „Fall Droste / Brinkmann“ hat das gar nichts zu tun. Der bleibt ein Sturm im Wasserglas. Und Herta Müller, lese ich soeben, hat den Nobelpreis bekommen. Sehr schön.

3 Gedanken zu „Noch einmal…“

  1. Mein wärmstes Mitgefühl für jede/n Schriftsteller/in, die/der sich mit solchen Verlegern und deren „Fachlektoraten“ rumschlagen muss!
    P.

  2. Als Leser würde ich sagen: Wenn ich den Verdacht habe, ein Autor jubelt mir seine für mich absurde Ideologie in Form einer vermeintlich authentischen Figur unter – ich würde nichts sagen, sondern das Buch weglegen. Wäre ich Verleger, würde ich das Buch vielleicht nicht verlegen. Auf die Idee, dass es sich um instrumentalisierte Literatur handelt, könnte ich aber nur kommen, wenn ich das Buch gelesen hätte und Satz für Satz zu einem Gefühl, bzw einer komplizierten Wahrnehmung gekommen wäre. Für dieses eine Buch. Deswegen sind obige Beispiele a la: Wie hätten Sie in Fall soundso gehandelt für mich nicht übertragbar. „Bibel eine unordentliche Sammlung“. Bibel: „Danke, das war allein mein Verdienst.“

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