Matthias P. Gibert: Schmuddelkinder

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„Ungemein tiefgründig, sensibel und topaktuell“ sei Giberts Buch, so verspricht es uns die Verlagswerbung. Und was ist es wirklich? Das genaue Gegenteil. Opfer eherner mathematische Gesetze, welche besagen, dass etwas Positives unweigerlich ins Negative kippt, wenn man es mit dem Faktor –1 multipliziert. Dieser Faktor ist bei Gibert die deutsche Sprache.

Ein ehemaliger Erzieher wird grausam ermordet, seine frühere Kollegin desgleichen. Kommissar Lenz und seine Kollegen stehen, was auch anders, vor einem schwierigen Fall, der sie in ein Heim für „schwierige Jugendliche“ führt, in dem die Opfer ihre Arbeit verrichtet hatten. Klingt interessant, zumal sich der Verfasser selbst als Ex-Insasse besagter Anstalt zu erkennen gibt. Doch dann so etwas:

„Meinst du, ich könnte mich meines Badeanzuges entledigen?“, wollte sie von ihm wissen.
„Warum willst du das machen?“
Ohne auf seine im Subtext übertragenen Vorbehalte einzugehen, schlüpfte sie durch die Träger und wickelte den Stofffetzen nach unten.

Das könnte ironisch sein, doch leider spricht nichts dafür, nicht einmal der „Subtext“. Es ist einfach liederlicher Umgang mit der deutschen Sprache, der sich hier und allüberall manifestiert. Da schaut man „auf das Display seines modernen Smartphones“ und merkt nicht, wie das Adjektiv unter seiner Überflüssigkeit ächzt, man wirft einen „entschuldigenden Blick“ und – entschuldigt sich im nächsten Satz. Man schlendert „in Hochstimmung über den Parkplatz“, die sich wenige Zeilen später zur „euphorischen Stimmung“ hochjubelt. Und so weiter. Man ahnt schon, dass Lektoratssorgfalt hier zur Lebensaufgabe geworden wäre, weshalb man sie sich wohl ganz geschenkt hat. Ein Buch für Zeilenhuscher, die sich Stoff zusammenklauben, mit dem man das übliche Kopfkino betreiben kann.

Die Story selbst ist hausbacken und wird natürlich von einem Nebengleis durchzogen, der vor einem Prellbock im Niemandsland endet. Denn unser Kommissar hat ein Verhältnis mit der Frau des Kasseler Oberbürgermeisters, dieser ist arg böse und intrigiert, das Ganze ist dramaturgisch trivial, manchmal peinlich (siehe den entledigten Badeanzug) und bauscht die Geschichte zu Ungunsten ihres eigentlichen Anliegens auf. Dieses wiederum wird derart oberflächlich abgehandelt, dass von der versprochenen „Tiefgründigkeit“ nicht einmal im Ansatz geredet werden kann. Es gab halt böse Jungs im Heim, aber einer ist zumindest ein besserer Mensch geworden – und bei der Bundeswehr gelandet. Die ErzieherInnen waren auch durchweg böse, es wurde schikaniert und missbraucht, was wohl mit jenem „topaktuell“ des Werbetextes gemeint ist. Warum-weshalb-weswegen alles so hat kommen müssen – man erfährt es nicht. Dies zur behaupteten „Sensibilität“.

Lehrreich sind die „Schmuddelkinder“ dennoch. Sie zeigen uns, dass die berühmte „Authentizität“, deren Basis so etwas wie „Sachkenntnis“ sein könnte, alleine bei weitem nicht ausreicht, einen glaubwürdigen Krimi zu verfassen. Selbst wenn es Gibert gelungen wäre, sein (autobiografisches) Thema in den Griff zu bekommen, die Klippe Sprache hätte er allem Anschein nach nicht unfallfrei umschifft.

dpr

Matthias P. Gibert: Schmuddelkinder. 
Gmeiner 2010. 372 Seiten. 11,90 €

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