Kein Krimijahr ohne Wiederentdeckung. 2011 brachte die Rückkehr von David Osborns „Jagdzeit“ und „Flussfahrt“ von James Dickey, deren erneutes Auftauchen aus dem weitgehend dümpelnden Teich des Regionalserialkillercomedy-Chichi für Belebung sorgte. Dass beide Texte thematisch miteinander verwandt sind, ist zufällig. Hier wird eine existentielle Wurzel von Kriminalliteratur, das Archaische unter einer dünnen Membran namens Zivilisation, sehr beeindruckend hochgezüchtet. Einem nicht minder großen Thema widmet sich der Roman, dem man so bald wie möglich eine Wiederentdeckung hierzulande wünscht, Victor Komans „Der Jehova-Vertrag“.
Erschienen ist das Buch 1985 und zwar, sehr ungewöhnlich, zuerst in der deutschen Übersetzung bei Heyne, zwei Jahre später dann im englischen Original. Es gewann den renommierten Prometheus Award, eine Auszeichnung im Science Fiction-Genre, kam in Deutschland aber über die Veröffentlichung in der Heyne Reihe „Die unheimlichen Bücher“ nicht hinaus, wenn ich das richtig sehe. Ein Grund deutet sich bereits an: „Der Jehova-Vertrag“ liegt auf der Schnittfläche von Krimi und Science Fiction, er spielt in den letzten Monaten des 20. Jahrhunderts und zwar in einer Welt, deren Verfall offensichtlich ist. Teile des Handlungsortes Los Angeles sind →nach einem Anschlag atomar verseucht, hier hausen die Unterprivilegierten, zu denen auch der Protagonist Dell Ammo gehört, ein alternder Berufskiller (unter anderem an dem Kennedy-Morden beteiligt), der sich aus Tarnungsgründen ein Detektivbüro in einem verfallenen Hochhaus leistet. Über die politischen und ökonomischen Verhältnisses des Jahres 1999 darf spekuliert werden, Einzelheiten erfahren wir nicht, von den üblichen Geldentwertungen abgesehen.
Die Geschichte selbst ist in ihrer Struktur hardboiled. Ammo ist todkrank, das Ende des Jahrtausends wird er wohl knapp nicht erleben. Das ändert sich, als ein merkwürdiger Klient mit einem noch merkwürdigeren Angebot auftaucht: Töte jemanden – und ich mache dich gesund. Haken an der Sache: Dieser Jemand ist kein geringerer als Gott persönlich.
Gott persönlich? Da beginnen schon die Probleme. Gott ist ja nichts weiter als eine Idee. Mit Hilfe dreier besonderer Frauen (eine geheimnisvolle Berufspokerspielerin, eine telepathisch begabte Zwölfjährige, die von Männerphantasien lebt, und eine ältere „Hexe“) macht sich Dell Ammo auf die Suche nach Gott. Und ruft seine mächtigen Gegner auf den Plan, vor allem die „Ecclesia“, eine mafiöse Vereinigung der Weltkirchen, die zwar genau weiß, dass Gott nicht existiert, ihn aber dringend braucht, um weiterhin die Menschheit zu kontrollieren. Wie sich Ammo und sein Frauentrupp an das Wesen Gott heranpirschen und es – spaßigerweise mit Hilfe der Werbung – zu erlegen trachten, ist in seiner Mischung aus lakonischer Hardboiled-Attitüde, zombiesattem Endzeitspektakel und einer Art nonchalanter Religionspsychologie hochspannend und ebenso vergnüglich. Am Ende ist das Ziel erreicht – oder auch nicht.
Jedenfalls ein weiterer Beleg dafür, dass „intelligente Unterhaltung“ (was immer das auch sein mag) nicht nur innerhalb von Genregrenzen stattfindet, sondern auch zwischen den Genres selbst. Wer dies nachprüfen möchte, muss bislang noch an den bekannten Altpapierhandel verwiesen werden, bald vielleicht an die druckfrische Neuauflage. Wir wollen es wenigstens hoffen.
Danke an Jochen König, der mich auf das Buch im Rahmen meiner Beschäftigung mit →„der Zukunft des Krimis“ aufmerksam machte.
dpr
Victor Koman: Der Jehova-Vertrag. Die Verschwörung gegen Gott.
Heyne 1985 (The Jehova Contract. 1987. Deutsch von Wolfgang Lotz). 250 Seiten
Bitteschön, gern geschehen!