Liebe Gesine!
Ich darf Sie doch so nennen, meine hochverehrte Lektorin? Jedenfalls hat es mich sehr gefreut, dass Sie meine IDEE, ach was: meinen HAUCH von einer Idee für einen wirklich realitätshaltigen Thriller gewissermaßen auf Südafrika-Wirklichkeitsniveau nicht sogleich in Bausch und Bogen verworfen haben, wie es leider Ihre Kolleginnen und Kollegen anderer großer Verlagshäuser getan haben. Sie haben noch Mut zum Neuen! Sie sind noch innovativ! Aber genug des Lobes. Ich erdreiste mich, Ihnen anbei ein kleines Exposé zu übersenden, das heißt, ich möchte Ihnen zunächst einmal ganz zwanglos den PLOT meines Romanes umreißen. Es wird ein dicker Roman. Hardcover? 500 Seiten mindestens, also 19,90 €!
Worum geht es also? Alles beginnt mit einem ausgebrannten Wohnwagen, in dem zwei Leichen aufgefunden werden, Bankräuber, die sich – hoffnungslos in der Sackgasse – selbst das Leben genommen haben. Kurze Zeit später explodiert ein Haus, eine Komplizin der beiden nun toten Bankräuber ist spurlos verschwunden. Szenenwechsel. Kurz nach diesen dramatischen Ereignissen spricht eine hochgestellte Persönlichkeit Drohungen auf den Anrufbeantworter eines Chefredakteurs. Wiederum geht es um ein Haus, diesmal um eins, das noch nicht explodiert ist. Der geübte Krimileser sagt sich sogleich: Aha, da gibt es einen Zusammenhang! Erneuter Szenenwechsel (Sie merken schon: Es geht hin und her und her und hin, das ist atemberaubend!): Eine Fernsehjournalistin hat Besuch von Freunden. Es ist ihr peinlich, aber sie muss 150 Euro pro Person und Übernachtung von ihnen verlangen. Noch weiß sie nicht, dass dies einmal wichtig wird.
Zurück zu den Bankräubern. Es stellt sich heraus, dass diese beiden Männer seit über zehn Jahren gesucht wurden, weil sie eigentlich Rechtsradikale sind. Die Frau auch. Sie wird als „Nazibraut“ eingeführt und soll, Sie ahnen es längst, für ein wenig schmutzige NS-Erotik sorgen, Dreier mit Knobelstiefeln sozusagen, ha, ha! Ach ja, der ermittelnde Kommissar heißt Walter Spärlich, ist 57 und, weil dieser Teil der Handlung in den Neuen Bundesländern spielt, irgendwie hin und her gerissen zwischen Stasi und Rechtsstaat. Jedenfalls ein Grübler. Und im Moment grübelt er, warum ihm der Bundesnachrichtendienst den Fall wegnehmen möchte.
Auch der Chefredakteur grübelt. Einerseits die Drohungen der hochgestellten Persönlichkeit. Andererseits hat er im Moment Wichtigeres zu tun, als diesen Kerl zu Fall zu bringen. Denn der Euro wackelt. Eine bekannte Fernsehsendung ebenso, weil ihr der Moderator abhanden gekommen ist. Und soeben hat ihn einer seiner Reporter angerufen und von dem Doppelselbstmord berichtet und dem explodierten Haus und den Nazis und davon, dass diese möglicherweise für eine beispiellose Mordserie verantwortlich sind, der Besitzer von Dönerbuden zum Opfer fielen, von denen einige gar keine Türken und wiederum andere gar keine Besitzer von Dönerbuden waren. Und dass der Verfassungsschutz mit diversen V-Männern immer im Bilde gewesen sein muss und der Doppelselbstmord wahrscheinlich gar kein Doppelselbstmord und das explodierte Haus kein Zufall.
Szenenwechsel. Die hochgestellte Persönlichkeit weiß, dass sie Scheiße gebaut hat. Sie ruft eine noch höher gestellte Persönlichkeit an und spricht von Rücktritt. Die noch höher gestellte Persönlichkeit rät ab. Sie hat gerade ein anderes Problem mit einem Griechen und Italiener, die gefälligst zurücktreten sollen, aber nicht wollen. Dazu dieser Moderator der Fernsehsendung. Sie beruhigt die hochgestellte Persönlichkeit, beendet das Gespräch und ruft den Chefredakteur an. Er solle mit seiner Pressekampagne bitteschön bis kurz vor Weihnachten warten. Als Trostpflaster erzählt sie ihm von den Nazis, die ganze Geschichte, die könne er bringen. Der Chefredakteur ist zufrieden.
Kommissar Spärlich ist unzufrieden. Plötzlich kommt die ganze Schweinerei mit den Nazis und ihren Morden an die Öffentlichkeit, die Nazibraut stellt sich, schweigt aber. Ein anonymer Anrufer teilt mit, Spärlich solle sich um das Haus einer hochgestellten Persönlichkeit kümmern, da gehe auch etwas nicht mit rechten Dingen zu. Spärlich, immer noch über Stasi und Rechtsstaat grübelnd, macht sich an die Arbeit – und kommt einem düsteren Familiengeheimnis auf die Spur. Kostenlose Urlaube bei alten Freunden, das ganze Programm. Er stößt auf merkwürdige Zusammenhänge. Könnte es sein, dass in der Nähe aller Urlaubsorte der hochgestellten Persönlichkeit Ausländer erschossen wurden? Und zwar von dem Naziduo? Eine unglaubliche Geschichte. Und warum fand man zwischen den Lippen jedes Opfers eine Zweieuromünze? Spärlich macht sich kundig und erfährt, dass dies ein alter germanisch-römischer Brauch war. Man gab den Toten eine Münze mit, damit sie den Fährmann für die Überfahrt ins Jenseits entlohnen konnten. Heidnisch-germanische Bräuche? Euro? Spärlich hat einen schrecklichen Verdacht…
Szenenwechsel. Die Kommandozentrale eines Nachrichtendienstes. Irgendjemand will ihnen an den Kragen, streut Informationen, die Presse berichtet, die Kacke ist am Dampfen. Und ist es wirklich Zufall, dass, während die die Geheimdienste implodieren, sich auch eine kleine Partei freiwillig zerlegt? Ein politischer Selbstmord sozusagen, der die Verbindung zu den vorgeblichen Selbstmorden im Wohnwagen nicht leugnen kann. Szenenwechsel. Kurz vor Weihnachten. Auch um die hochgestellte Persönlichkeit zieht sich die Schlinge zu, denn weder mit Euro noch Nazis noch Fernsehshow lassen sich mehr genügend Schlagzeilen produzieren. Es wird Zeit für die nächste Kampagne… Kommissar Spärlich übernachtet derweil bei der Fernsehjournalistin und hält 150 Euro für ein Bett ohne Frühstück für reichlich übertrieben. Dann überstürzen sich die Ereignisse…
Soweit, liebe Gesine. Könnten Sie sich vorstellen, diesen Thriller in Ihrem Hause zu publizieren? 500, was sage ich!, 700 Seiten pralles Leben? Gehen Sie in sich und geben Sie mir dann bitte Bescheid. Ich sage Ihnen dann auch, wer der Mörder ist.