Utz Claassen: Atomblut

atomblut.jpg Ich drücke mich ja selten vor einer Besprechung, aber diese hier macht mir zu schaffen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende eines großen Energiekonzerns schreibt einen Krimi über die neue Vorstandsvorsitzende eines großen Energiekonzerns. Der Verlag nennt das Buch einen „Wirtschaftskrimi“, was korrekt ist, aber ein „Krimi“ ist dieses Buch dennoch nicht. Es geht um Verbrechen, auch um Mord, es geht um Intrigen und die vielen sonstigen Sauereien, von denen man auch dann zu wissen glaubt, wenn man kein ehemaliger Vorstandsvorsitzender ist. Und genau da liegt mein Problem: Ich bin nach der Lektüre des Buches genauso schlau oder dumm wie zuvor. Es stand genau das drin, was ich erwartet habe und das kann nur bedeuten: Ich hätte dieses Buch erst gar nicht zu lesen brauchen oder aber: Der Autor bestätigt nur meine Vorurteile, warum auch immer.

Aber lassen wir dies zunächst beiseite, widmen wir uns Plot und Dramaturgie. Fabienne Felsenstein, eine erfolgreiche, wenn auch umstrittene Managerin, wird auf Initiative ihres „väterlichen Freundes“ Kohlmeier neue Vorstandsvorsitzende von RuhrSTROM. Der Job war nach einem „mysteriösen Autounfall“ des Amtsinhabers frei geworden und Kohlmeier, der alle Fäden in der Hand hat, die graue Eminenz also, protegiert Fabienne, die seinen ganz eigenen Plänen scheinbar nicht im Wege steht. Es kommt natürlich anders. In Deutschland ist nach Fukushima die große Energiewende ausgerufen worden, auch RuhrSTROM muss sich nun neu aufstellen, auf alternative Energie setzen usw. Felsenstein sieht sich hin und her gerissen zwischen ökonomischen und ökologischen Notwendigkeiten, den berufsbedingten Dollarzeichen in den Augen und den Skrupeln, die sie dabei befallen. Es gibt eine Reihe von narrativen Parallel- und Nebensträngen, Claassen erzählt auf eine durchaus sympathische Weise unroutiniert, eine Mischung aus Stichworten, Lakonik und gelegentlichen philosophischen Einschüben. Leicht zu lesen ist das nicht, was nicht zuletzt am Thema liegt. Wohl setzt auch Claassen auf eine sich zuspitzende Dramaturgie – der Konflikt Felsenstein / Kohlmeier eskaliert, es kommt zum offenen Konflikt, gegensätzliche Interessen werden offenbar – eine stringente Handlung aber ist etwas anderes.

Bezeichnenderweise sind es gerade die „Krimielemente“, die sich negativ auf die Handlung auswirken. Der Tod des Vorgängers von Fabienne Felsenstein, anonyme Anrufe, ein jugendlicher Drogenhändler mit einer rachsüchtigen Mutter… Nein, ein Krimi wird trotzdem nicht daraus, vielleicht, weil das Thema schon zu sehr Krimi ist, auch ohne diese „Spannungsbausteine“.

In einer Vorbemerkung beschreibt Claassen seine Charaktere als „vertypte Kunstfiguren, keine Abbildung realer Individuen“. Schön, aber genau hier liegt das Problem. Vor allem Fabienne Felsenstein ist mir denn doch zu sehr vertypt und Kunstfigur, eine Frau, die ein Tagebuch voller zum Teil sehr banaler Weisheiten führt („FRAGEN… stehen für intellektuelle Neugier – sind der Urquell des Fortschritts“), mit einem Mann von der „Gegenseite“ ins Bett geht und einen Ex-Lover hat, der ein Bild namens „Atomblut“ malt. So entsteht ein „Zwei-Seelen-in-einer-Brust“-Typ, der allzu plakativ genau das sein soll. Da auch Kohlmeier und die anderen Mitglieder des Vorstandes stark typisiert sind, fragt man sich irgendwann, ob ein nüchtern journalistischer Bericht nicht der bessere Krimi wäre, ein Bericht, der sich weniger auf die Charaktere konzentriert und vielmehr ihre Aktivitäten nachzeichnet.

Ich gebe zu: Ich weiß es nicht. Was Claassen erzählt, ist zweifellos interessant, auch die „Energiewende“ wird zuvörderst ein profitables Geschäft ohne Rücksicht auf Verluste. Wer sich das en détail noch einmal bestätigen lassen möchte, bitte schön. Man hätte aus „Atomblut“ möglicherweise einen hübschen kleinen psychologischen Roman machen können, die Irrungen und Wirrungen einer Vorstandsvorsitzenden und ihre Auswirkungen auf „das Geschäft“. Dazu reichen Claassens Mittel aber wohl nicht aus, obgleich er, es sei wiederholt, erzählerisches Potential besitzt, aber leider kein Lektorat, das ihn ein paar philosophische Muskelspiele und eine gewisse Bedeutungsschwangerschaft ausgetrieben hätte. Aber kann noch werden.

Utz Claassen: Atomblut. 
Econ 2012. 381 Seiten. 18 Euro

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