Anne Goldmann und derdiedas Triangel

triangel.jpgGute Literatur ist geschlechtslos. Die Buchwirtschaft will uns etwas anderes weismachen und sie hat nachvollziehbare Gründe dafür. Frauenliteratur, Chick-Lit, auf der anderen Seite die Männerdomänen Hardboiled / Noir oder Spionageroman, wobei sich dorthin verirrt habende Autorinnen auch gerne als Ausnahme von der Regel herhalten dürfen. Zielgruppe rules. Frauen lesen mehr als Männer, sogar bei Krimis ist das so, und also liegt es nahe, ihnen das zu geben, was sie wollen: „geschickt intelligent-witzige Frauenliteratur“, wie ich gestern noch einmal einer Buchrückseite entnehmen durfte.

Aber nein, ich bleibe dabei: Gute Literatur, gute Kunst überhaupt ist geschlechtslos. Aus der Popmusik habe ich ein Musterbeispiel, die kanadische Songwriterin Joni Mitchell. Die selbstverständlich stets als Frau verkauft wurde, als ein Ausbund an Gefühligkeit und Eros, bei der ihre Liebschaften immer im Vordergrund standen, während etwa Kollege Dylan, in dessen Qualitätskategorie Mitchell spielt, vorrangig als Künstler wahrgenommen wurde. Dabei gibt es wohl kaum ein musikalisches Werk des 20. Jahrhunderts, das so intelligent wie das Mitchells alle psychischen und gesellschaftlichen Tiefen der Zeit auslotet, mit allen vorhandenen musikalischen Mitteln hantiert, immer voller Wagnis, nie marktstrategisch „am Puls der Zeit“, aber eben künstlerisch durchaus. Ein Frauending? Mitnichten. Ein Künsterding.

Ich weiß nicht, ob Frauen anders denken als Männer. Und wenn ja, warum sie das tun. Vielleicht weil sie von Kindesbeinen an in die Rolle des Bauchmenschen getrieben werden, weil sie auch beim Denken immer etwas Mütterlich-Umsorgendes haben sollen… mag sein. Eines aber weiß ich: Sobald Frauen großartige Kunst machen, etwa brillante Krimis schreiben, sind sie keine Frauen mehr, sondern hervorragende Autorinnen.

Das ist nicht diskriminierend, eher im Gegenteil. Und noch etwas weiß ich: Sobald ich erkenne, dass ein Text von einer Frau geschrieben wurde (oder von einem Mann), kann ich davon ausgehen, einen missratenen Text vor mir zu haben, einen marktstrategischen, zielgruppenorientierten, eine bloße Lohnschreiberei. Besonders dann, wenn – siehe Zitat im ersten Absatz – mir klar gesagt wird: Achtung, jetzt kommt Frauenliteratur. Dann schlage ich das Buch auf und lese die ersten Sätze. „Immer wenn ich weinen muss, passiert eine Katastrophe. Kennen Sie das auch? Ich bin keine Heulsuse, wirklich nicht. Ich, Lucinda Schober, bin eine typische deutsche Singlefrau in den Dreißigern, Sternzeichen Zwilling.“

Das kann nur eine Frau geschrieben haben. Heulsuse, Singlefrau (kein Mann würde sich als „Singlemann“ einführen“) und dann auch noch an Astrologie glauben. Dazu die direkte LeserInnen-Ansprache, in dem das Umsorgend-Mütterliche, Plapperhafte schon einmal vorbereitet wird. In Ordnung, mehr als die ersten Zeilen von Angelika Lauriels „Bei Tränen Mord“ habe ich noch nicht gelesen und vielleicht ist das ja ein ganz passabler Krimi (Aber wenigstens habe ich schon einmal herzlich lachen müssen, denn im Waschzettel heißt der Roman „Bei Anruf Mord“). Wirklich daran glauben tue ich allerdings nicht, stehe aber nicht zurück, das widrigenfalls zu korrigieren.

Ein mehr als passabler Krimi ist Anne Goldmanns „Triangel“. Auch er, von der Verlegerin als „klarer, melancholischer Triller“ gepriesen, steht zunächst unter dem Generalverdacht der „Frauenliteratur“ im negativen Sinne. Nicht weil er bei Ariadne erschienen ist, wo (fast) nur Autorinnen veröffentlichen, sondern weil er sein Thema so angeht, wie man es von Frauen nun einmal erwartet. „Melancholisch“, eher unspektakulär, „aus dem Bauch heraus“. Nun ist gerade Ariadne das beste Beispiel für die These, bei wirklich guter Literatur verschwinde das Geschlecht des Schöpfers, der Schöpferin hinter der Qualität des Textes. Dominique Manotti, Christine Lehmann, Dagmar Scharsich… und eben auch Anne Goldmann. Sie erzählt von Regina Aigner, die Insassen eines Gefängnisses bewacht, sie erzählt aber auch von ihrem Geliebten, einem Kollegen, und einem zweifachen Mädchenmörder. Es ist ein Text über Gefangenschaft, über die Unmöglichkeit, dem eigenen Körper, der eigenen Psyche zu entkommen, ein Text über Isolation, über Versuche, diese Isolation zu überwinden und über das letztliche Scheitern dieser Bemühungen.

Interessant ist die Erzähltechnik. Das Buch heißt nicht zufällig „Triangel“. Eine Triangel ist ein recht simples Musikinstrument, ein nicht geschlossenes Dreieck, dem man mit Hilfe eines Stahlstabs einen Ton entlocken kann. Das Instrument wird dabei in Schwingungen versetzt, die alle drei Seiten (die im Buch natürlich den drei Protagonisten entsprechen) durchlaufen. Es ist also ein einziger Ton – und auch das Buch von Anne Goldmann ist so gesehen ein einziger Ton, jeweils durch den Punkt und die Intensität der Berührung variiert. Man kann mit der Triangel keine Melodien spielen, keine Akkorde. Der Ton ist, so scheint es, leicht zu identifizieren, es ist ja nur ein einziger. Auch der Text kann, so das spontane Urteil, nur von einer Frau geschrieben worden sein, ein grüblerischer Text, ein Bauchtext über Einsamkeit, ohne Machoattitüden. Aber das täuscht. Denn auch der Ton, den man einer Triangel entlockt, ist nicht einfach ein Ton. Er ist eine Schallwelle, eine Vibration, die in sich aus vielen Tönen besteht und für das menschliche Ohr zu einem verbindet. Ist dieses Ohr geschult, vermag es diese Töne zu unterscheiden und auch, wie sie ineinander übergehen, sich überlagern, ergänzen. Das ist auch der Moment, in dem das Geschlecht der Protagonisten obsolet wird. Eine Gefängniswärterin, ein Geliebter, den wir pauschal als „sensiblen Frauenversteher“ kategorisieren wollen, und ein Mädchenmörder – und plötzlich ist das eine Person, ist das eine Einsamkeit, ein Unvermögen, das Gefängnis des eigenen Ich zu verlassen.

Bei der Vorbereitung dieses Artikels habe ich mich über die Triangel kundig gemacht und den entsprechenden Wikipedia-Text zu Rate gezogen. Dort steht unter anderem zum Wort selbst, es sei „eines der wenigen Substantive der deutschen Sprache, die hochsprachlich alle drei Geschlechter bei sich haben können.“ Also die Triangel, der Triangel, der Triangel, also nicht an ein Geschlecht gebunden. Ich denke, das passt genau. Zum geschlechtslosen Wesen guter Literatur im Allgemeinen und zu Anne Goldmanns Text im Besonderen.

Anne Goldmann: Triangel. 
Ariadne 2012. 266 Seiten. 11 €
Angelika Lauriel: Bei Tränen Mord. 
Gmeiner 2012. 278 Seiten. 9,90 €

3 Gedanken zu „Anne Goldmann und derdiedas Triangel“

  1. Hm, danke… Bei Gelegenheit erklärst du mir mal, warum du „mal“ schreibst. Höre ich da einen Anflug von Kundenunzufriedenheit? Wäre ich der böse Typ, für den mich manche halten, müsste ich jetzt deine IP raussuchen und sperren… Aber hey, ich finde sie grad nicht…

  2. Ich habe auch schon unschöne Rezensionen gelesen. Aber nicht von dir.
    Das ‚mal‘ bringt nur zum Ausdruck, dass ich diese besonders schön finde.
    Warum?
    Die kommt mir so einfühlsam vor.
    Und bei wirklich guten Rezensionen verschwindet das Geschlecht des Rezensenten!
    Aber keine Panik, das ist nicht wortwörtlich gemeint.

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