Ich habe selten mit solch wachsendem Zorn und Unverständnis ein Buch gelesen wie Carl von Holteis „Schwarzwaldau“ – und das lag nicht an dem Buch, vielmehr daran, dass es ein Buch „Schwarzwaldau“ im handfest papiernen Sinne gar nicht gibt.
Seit seinem Erscheinen 1856 dürfte „Schwarzwaldau“ nicht mehr veröffentlicht worden sein; ein Kleinod der deutschen Kriminalliteratur, dessen man nur dank der vorbildlichen Arbeit der „Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser“ als →PDF-Datei habhaft werden kann, ein Kleinod, sage ich, das die uns gemeinhin als „Perlen der deutschen Kriminalliteratur im 19. Jahrhundert“ empfohlenen Werke à la „Judenbuche“ oder „Unterm Birnbaum“ als das erkennen lässt, was sie in Wirklichkeit sind: nette Petitessen, moralgetränkte, bestenfalls mit Küchenpsychologie gesäuerte Nebenarbeiten ihrer Schöpfer.
Dagegen „Schwarzwaldau“. Gut, ich gestehe, dass mir Arno Schmidts Urteil, dies sei „der beste deutsche Kriminalroman“, immer verdächtig vorgekommen ist, zu gut kenne ich des Alten Einstellung zum Krimi und gebe auf seine Verdikte hinsichtlich dieses Sujets nicht viel. Aber hier hat er (fast vollständig) Recht. Sicher nicht „der beste“, aber ein verdammt guter Krimi.
„Schwarzwaldau“ ist ein Psychokrimi im besten Sinn. Kein Reißer, natürlich nicht, sondern eine furios entwickelte Studie über Leidenschaften, ausgelebte, vor allem aber verdrängte, über Sexualität in sonderheit, was immer angedeutet, selten ausgesprochen wird, doch über dem Ganzen liegt wie die Wolken eines Gewitters, das dann losbricht und dessen Blitze schließlich alles erschlagen.
Es beginnt erfreulich biedermeier-behäbig. Auf Gut Schwarzwaldau, irgendwo zwischen Berlin und Dresden, leben im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts der Landadelige Emil von Schwarzwaldau und seine Gemahlin Agnes. Die Ehe ist nicht glücklich. Emil, schwermütig und verschlossen, und Agnes, jungfräulich zurückhaltend, leben eine Nicht-Ehe, auch in sexueller Hinsicht. So unerträglich wird die Situation, dass Emil sich zum Selbstmord entschließt, in letzter Sekunde von seinem Büchsenspanner Franz davon abgehalten wird, Franz, der gleichfalls Hand an sich legen wollte, weil er in Agnes verliebt ist, sich, als Vorbestrafter zumal, jedoch keine Hoffnungen auf sie machen darf.
Die Lage scheint sich zu entspannen, als Agnes’ Jugendfreundin Caroline, ledige Tochter eines reichen Kaufmanns, zu Besuch kommt und auch Emil einen Freund findet, den sehr schläfrigen und opportunistischen Sohn des verarmten Nachbargutes, Gustav von Thalwiese.
Was sich nun zwischen diesen Fünfen entwickelt, ist Psychokarussell pur. Caroline verliebt sich in den berechnenden Gustav, dieser aber zu seiner Überraschung in Agnes, Emil liebt Gustav und ermutigt seine Frau gar, die Avancen des Galans positiv zu bescheiden, was diese denn auch tut. Caroline, die Zurückgewiesene, reist beleidigt ab, Franz sinnt auf finstere Rache und nimmt sie auch – allerdings mit einem so nicht geplanten Ausgang. Ende erstes Buch.
Im zweiten Buch überschlagen sich dann die Ereignisse, und am Ende wird von den fünf Hauptpersonen nur noch eine am Leben sein. Uns erwartet ein raffiniert geplanter und durchgeführter Mord, eine Überführung qua Indizienbeweis und, wie schon gesagt, ein Panoptikum der unterschiedlichsten Charaktere, sämtlich zwischen Gut und Böse lavierend, nicht genau zuzuordnen. Im Zentrum steht Emil von Schwarzwaldau, dessen Dilemma allmählich deutlich wird, ohne jemals mehr als vage angedeutet worden zu sein: Er hat, wenigstens, homosexuelle Neigungen, möchte den Geliebten nicht verlieren und gönnt ihm daher mehr als nur platonische heterosexuelle Techtelmechtel mit der eigenen Frau. Das hat was.
Als Autor mag man von Holtei nicht unbedingt als erstklassig einschätzen, doch ist er, um eine Formulierung Arno Schmidts aufzugreifen, „ein guter Meister zweiten Ranges“, von denen es in der deutschen Romanliteratur nicht allzu viele gibt, von Meistern ersten Ranges ganz zu schweigen. Umso unverständlicher, dass „Schwarzwaldau“ wohl nach 1856 keine weitere Auflage erlebt hat, im Gegensatz zur Novelle „Mord in Riga“, einem netten, im Großen und Ganzen aber doch eher harmlosen Belegstück früher deutscher Kriminalschriftstellerei. Ich lasse mich hier aber gerne eines Besseren belehren, doch Fakt bleibt: Eine Neuauflage von „Schwarzwaldau“ ist überfällig.
Nachtrag: … und inzwischen längst besorgt. → Hier gibts nähere Informationen!