Jason Starr: Twisted City

Ja, so könnte es tatsächlich passieren: Die Brieftasche wird Dir gestohlen. Führerschein, Scheckkarten, Geld, alles weg. Zu Deiner großen Erleichterung ruft am nächsten Morgen eine Frau an und teilt Dir mit, dass sie die Brieftasche gefunden habe. Du könntest sie bei ihr abholen.

Die Frau ist heroinabhängig und ihre Bude heruntergekommen. Geld will sie von Dir haben – eigentlich zuviel. Aber da ein Bild Deiner verstorbenen Schwester in der Brieftasche ist, lässt Du Dich darauf ein. Als Du ihr das Geld gibst, kommt ihr Freund in die Wohnung. Er nimmt an, dass Du sie für eine schnelle Nummer bezahlst und geht, besinnungslos vor Zorn, mit einem Messer in der Hand auf Dich los… irgendwie, am Ende …liegt er da. Tot. Ganz klar, wozu hat man ein Handy: Sofort die Polizei rufen! Wenn da nicht die Frau wäre, die, scharf auf Stoff, betont, dass sie einerseits bezeugen würde, wie Du den Typen nicht in Notwehr umgebracht hast , andererseits Dir anbietet, gegen ein entsprechendes Salär die Benachrichtigung der Polizei zu übernehmen, Du sollst dich einfach nur aus dem Staub machen.

Du lässt Dich darauf ein! Ein Fehler ? Klar ! Der Fehler Deines Lebens. Sie setzen Dir zu, wie einer Gans zur Weihnachtszeit.

Nicht dass David Miller es bis dato einfach im Leben hatte … Zoff mit dem Chef bei einer kleineren Wirtschaftszeitung New Yorks, da dieser die Texte seine Mitarbeiter durch Hinzufügung von Britizismen aufhübscht, Ärger mit der Partnerin, einer deutlich jüngeren Frau, die das Leben ecstasy-getrieben als Dauerparty versteht und das emotionale Loch, welches der Tod seiner Schwester bei ihm hinterlassen hat … aber hier bekommt es definitiv einen „twist“ in die falsche Richtung.

Jason Starr erzählt die Geschichte Davids Millers im Stil der klassischen Noir-Bücher der 40 und 50er Jahre. Ganz nah dran ist der Leser an David, dem Icherzähler. So nah, dass jede Objektivität verloren geht. David Miller ist ein Getriebener der Personen um ihn herum. Sie sind diejenigen, die handeln und David ist derjenige, der darauf reagiert. Den weitaus größten Teil steht die Geschichte so voll unter Strom. Gelegentlich wechselt der Autor sehr geschickt das Tempo und streut kurze Episoden zum Luftholen ein. Um danach mit einem überraschenden Hacken die Geschichte wieder zu beschleunigen.

Erfreulicherweise hält Jason Starr sein Konzept bis zum Ende durch. Einem Ende, welches die Geschichte glaubhaft abschließt. Starr ist ein Autor, der, dem Stil des Buches entsprechend, lakonisch und unaufgeregt erzählt. Allerdings schlägt David Miller einen leicht depressiven Unterton bei der Erzählung seines Lebens an, das bremst etwas die Dynamik der Geschichte, entpuppt sich am Ende aber als Teil des Konzepts. Ob der Erzählweise könnte man fast übersehen, was für ein guter Autor Jason Starr ist. Die Figur des David Miller zumindest, die er im Verlauf des Buches entwickelt, ist glaubwürdig und trägt auch das Ende des Buchs.

„Twisted City“ ist also ein Buch, welches mehr den inneren Werten der Erzählung verpflichtet ist, Realitätsnähe mimt und weniger auf leichenstarrende Showeffekte abhebt. Eine gewisse gedankliche Nähe zu Domenic Stansberrys →’The Confession’ ist dabei nicht zu übersehen. Dessen atemberaubende Konsequenz erreicht es zwar nicht, es kann aber mit einer zeitgemäßen Adaptation der klassischen Stilistik teilweise Boden gut machen.

Jason Starr: Twisted City. 
Vintage Books 2004. 256 Seiten. 10,73 €
(deutsch: Twisted City. Diogenes 2005. 330 Seiten. 19,90 €)

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