Pentti Kirstilä: Schwarzer Frühling

Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger, als viele deutsche Krimiautoren noch auf Bäumen lebten und ihre Leser mit soziologischen Wortbrocken bewarfen, da übte Pentti Kirstilä schon den aufrechten Gang. Kaurismäki hatte den Finnen-an-sich noch nicht filmisch entworfen, diese Mischung aus Sentimentalität und Suff, Schweigsamkeit und Selbstmordanfälligkeit, aber wer wollte, der konnte in Kirstiläs Romanen bereits einen Prototyp dessen erkennen. Wer wollte – und konnte. In Deutschland konnte man nicht, auch der Skandinavien-Boom der Neunziger brachte die Krimis Kirstiläs nicht zu uns, erst jetzt unternimmt Grafit das lobenswerte Projekt, Hanhivaaras Fälle einen nach dem andern hierzulande zu veröffentlichen. „Schwarzer Frühling“ heißt das aktuelle Stück.

Eine Kellnerin ist in ihrer Wohnung ermordet worden. Eine zweite Kellnerin, mit dem ersten Opfer befreundet, wird wenig später auf offener Straße erschossen. Hängen die beiden Morde zusammen? Ja – und nein. Aber das weiß nur der Leser. Den Schützen nämlich kennt er, ein Berufskollege der unglücklichen Damen und seine Tat war doch nur Übung, das Opfer, seine Geliebte, Ergebnis unglücklicher Umstände. Es geht ihm nämlich um mehr. Den finnischen Ministerpräsidenten, der nach Tampere kommt, um die Fabrik eines Freundes einzuweihen, will er abschießen.

Aber das wissen Polizist Hanhivaara und Kollegen noch nicht. Sie ermitteln bevorzugt im Fall des ersten Opfers, ein Whodunit, wenn man so will, und doch nur dramaturgische Krücke für den eigentlichen Plot. Der schließlich seinen Höhepunkt in einer wunderbaren Pointe erreicht, die gleichzeitig Höhepunkt einer durchgängigen Taktik des Autors ist.

Denn was er uns da erzählt, wie er es uns erzählt und mit welchen Personen, das tippelt elegant auf der schmalen Linie zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn, Hierundheute und Humor. Der Attentäter etwa, ein besserwisserischer Dummkopf, ein Moralist von eigenen beschränkten Gnaden. Der finnische Ministerpräsident, eine Karikatur, von der man allmählich ahnt, dass sie keine ist, sondern exakt umrissene Abbildung real existierender Personen. Und natürlich Hanhivaara selbst, der Grübler, der seinen Schmerz über den gewaltsamen Verlust der Lebensgefährtin nicht plakativ herausbrüllt, sonden irgendwo in seinem grauen Charakter verstaut hat. Von seinen Kollegen gar nicht zu reden, Randfiguren eigentlich, aber eine jede genau und ökonomisch gezeichnet.

Auf diesem Grat also wandern wir mit Hanhivaara zu jenem köstlichen Schlussakkord, der wiederum die Präzision des Autors spiegelt. Es geht um Sekunden, um die Winzigkeit eines Zögerns, um Maßarbeit, die aus einem herkömmlichen Thrillerende ein besonderes macht.

„Schwarzer Frühling“ ist nicht nur jedem Leser ans Herz zu legen. Auch jene AutorInnen, die glauben, man müsse nur genügend Witzchen über den Text streuen, um ihn „witzig“ zu machen, sollten das Buch genau studieren und, so ist zu hoffen, erkennen, dass Humor im Kriminalroman nur dort eine Funktion hat, wo er sich an der Wirklichkeit reibt. Wo das Lachen ins Erkennen kippt und das Erkennen ins Lachen, der Wahnsinn in den Alltag und dieser –

Kirstilä also. Sofort zugreifen. Wer inzwischen allergisch auf Skandinaviakrimis reagiert, findet bei ihm Heilung.

Pentti Kirstilä: Schwarzer Frühling. 
Grafit 2006
(Original: „Jäähyväiset presidentille“, 1979; deutsch von Gabriele Schrey-Vasara).
283 Seiten. 17,90 €

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