Wie sehr kann man eine Gitarre verzerren, ohne ihr die Melodiosität zu nehmen? David Judson Clemmons, sonst Kopf von Jud kommt mit seiner neuen Band The Fullbliss der Grenze dieser Frage im Titelsong sehr nahe. Fast zwei Minuten nehmen die melodisch verstörenden Klänge den Zuhörer wie in einem Schraubstock gefangen und ziehen ihn tief hinein in pures Leid. Nachdem der Gesang von Clemmons einsetzt, wartet man auf die erlösende Bridge oder wenigstens auf einen kakophonischen Ausbruch – beides bleibt dem Hörer verwehrt und lässt ihn mit diesem fragenden, klagenden Song allein. Erst das direkt im Anschluss rockende „I See The End“ lockert die Schwere etwas auf.
Man könnte The Fullbliss langweilig oder überfrachtet finden. Lässt man sich aber auf ihre dichten Songs ein, öffnet sich ein unglaublich intensives Album, das nur im ersten Hören düster ist. In all dem Schlamm glitzern Goldklümpchen der Hoffnung, z.B. wenn der Song „Dry River“ mit bittersüßer Tiefe verwöhnt oder „The Fool“ von einer schönen Frauenstimme getragen wird. Es ist dann auch nicht verwunderlich, dass dieses emotional tiefschürfende Album mit einem Aufruf zum Aufbruch endet („Begin“).
The Fullbliss: This Temple Is Haunted
(Ulftone/Edel Contraire)