Poetry Slam – Texte der Pop-Fraktion

Slam Catchen oder: Suhrkamp-Adepten als Underground-Literaten

Poetry Slams sind der Versuch, Literatur ins tatsächliche Leben zu bringen: Raus aus den Schreibstuben der Autoren und nicht rein in die Wohnungen der Leser, sondern in Fabrikhallen, Clubs und Kneipen, wo die Autoren ihre Ergüsse präsentieren und das Publikum lautstark darüber votiert, wie sehr oder doch nicht der Text in die Hose ging. Nicht selten werden solche Veranstaltungen zu Happenings mit bleibendem Erinnerungswert. In Deutschland sind Slams erst im Kommen, in Amiland gehören sie bereits zum Alltag.

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„High Fidelity“-Leseprobe

Der Song, bei dem ich weinen muß, hat mich nie zuvor zum Weinen gebracht. Ehrlich gesagt, mußte ich bei dem Song, bei dem ich jetzt weinen muß, normalerweise kotzen. (…) Der Song, bei dem ich weinen muß, ist Marie LaSalles Version von Peter Framptons <Baby, I Love Your Way>. Man stelle sich vor, mit Barry und Dick in seinem Lemonheads-T-shirt zusammenzustehen, eine Coverversion eines Peter-Frampton-Stücks zu hören und loszuflennen! Peter Frampton! <Show Me The Way>! Diese Miniplifrisur! Dieses dämliche Tütendings, in das er immer geblasen hat, um diesen Donald-Duck-Sound mit der Gitarre hinzukriegen! (…) Ich akzeptiere durchaus, daß ich dringenden Bedarf an Symptomen habe, die mir begreifen helfen, wie traumatisch die jüngsten Ereignisse für mich waren, aber müssen es derart extreme Symptome sein? Hätte Gott sich nicht mit einer kleinen Abscheulichkeit begnügen können, einem Diana-Ross-Hit oder einer Elton-John-Komposition etwa?

Anmerkung des Rezensenten:
Das „dämliche Tütendings“ heißt „Talkbox“. Man steckt eine dünne Metallröhre in den Mund und singt die Melodie, die man gleichzeitig auf der Gitarre spielt. War eine Zeitlang wirklich Mode, ist aber nicht gut für die Zähne, abgesehen von dem metallischen Geschmack, den man anschließend so schnell nicht mehr los wird. Den m.E. gelungensten Talkbox-Einsatz hört man in „Haitian Divorce“ von Steely Dan (LP „The Royal Scam“).

Im übrigen ist es so, daß Rob eine wesentliche Tatsache verschweigt: Es geschah nämlich bei uns Besitzern des einzig guten Geschmacks tatsächlich auch, daß wir uns bisweilen schwer vergriffen. Also z.B. Genesis- oder Yes-Fans waren. Und man konnte Peter Frampton durchaus ein paar Wochen mögen.

zur „High Fidelity“-Rezension

Nick Hornby: High Fidelity

Das ist meine Top 5 der „Romane, um die ich einen großen Bogen mache“:

  • Romane, in denen Frauen Männer verlassen;
  • Romane, in denen verlassene Männer ihren Frauen nachweinen;
  • Romane, in denen es verlassenen Männern nicht gelingt, neue Frauen zu finden;
  • Romane, in denen sich verlassene Männer an all die Frauen erinnern, die sie einmal verlassen haben, oder von denen sie verlassen worden sind;
  • Romane, die damit enden, daß Frauen zu den Männern zurückkehren, die sie am Romananfang verlassen haben.
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Claes Holmström – My Generation

Soll man versuchen, auf Züge aufzuspringen, die gemächlich auf dem Weg zur Endstation sind, oder soll man nicht lieber gleich einen anderen Weg einschlagen? Philosophische Fragen, kryptischen Inhalts, die man besser nach einigen Bieren in der Kneipe klären sollte, wenn der Alkohol seine Wirkung tut und Plattitüden zu Wahrheit werden läßt. Aber nicht, wenn man ein druckfrisches Buch in Händen hält. Und doch, genau da habe ich mir diese Frage gestellt. Die Ursache allen Grübelns: Neben CLAES HOLMSTRÖM und MY GENERATION prangte auf dem Cover noch ein elliptisches Etikett mit der Information „Der Roman der europäischen Generation X“. Ein Prädikat, das einen 1996 ins Grübeln kommen läßt.

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BUK – von und über Charles Bukowski

Einer der Klassiker und Steadyseller aus dem MaroVerlag ist BUK, ein Reader von und über Charles Bukowski, der inzwischen in einer erweiterten Neuausgabe vorliegt. Die war traurigerweise notwendig geworden, nachdem der dirty old man am 9. März 1994 „auf dem Stahlroß ins Nirvana“ abgedüst ist.
Zehn Jahre zuvor ist diese Textsammlung zum ersten mal veröffentlicht worden. Namhafte Kollegen wie Harold Norse (Beat Hotel) und Gerald Locklin (POOP) hatten sich eingefunden, um von ihren Erlebnissen mit Bukowski zu berichten. Und Bukowski hatte sich natürlich selbst zu Wort gemeldet.

Entstanden ist so ein liebevolles, vielschichtiges Portrait des Mannes mit der Ledertasche, das einen anderen Bukowski zeigt, als den aus der Boulevardpresse: es zeigt den Menschen hinter der Schreibmaschine und es zeigt auch, daß schon etwas mehr als eine abgefuckte Umgebung und ein Repertoire an four-letter-words dazugehört, ein Autor zu werden, der noch über den Tod hinaus eine prägende Wirkung auf die schreibende Zunft hat.

R. Wehlen/A.D. Winans (Hrsg.)
BUK - von und über Charles Bukowski
MaroVerlag 28,- DM
ISBN 3-87512-236-4

Colin Bateman – Eine Nonne war sie nicht

Es fängt ganz harmlos damit an, daß der Kolumnist Dan Starkey seine Frau betrügt und endet damit, daß zwei Autos nebst Insassen in die Luft fliegen. Dazwischen entwickelt sich ein Nordirland-Thriller, der den Preis für das Buch mit dem dümmsten Titel gewinnen kann.

EINE NONNE WAR SIE NICHT heißt im Original „Divorce Jack“. Wie sich rausstellt eine Verballhornung von „Dvorak“. Wegen einer Kassette, auf der sich angeblich eine Aufnahme von Dvorak befinden soll, wird Starkeys Geliebte umgelegt. Dan Starkey gerät unter Mordverdacht und, wie es sich für einen Thriller gehört, muß er die Sache selbst in die Hand nehmen. Dabei kommt er so ziemlich allen politischen Fraktionen und den Paramilitärs in die Quere, die hinter dem Band her sind.

Es geht drunter und drüber: FBI-Beamte fallen von Hochhäusern, Autos explodieren, Sex-Pistols-Platten werden gegrillt und Frauen, die wie Nonnen aussehen sind gar keine. Doch letztenendes siegt zwar nicht unbedingt das Gute, aber zumindest der Status Quo ist wieder hergestellt.

Colin Bateman hat mit EINE NONNE WAR SIE NICHT ein Erstlingswerk hingelegt, das sich wegen des bescheuerten Covers nicht sehen, dafür aber durchaus lesen lassen kann.

Colin Bateman
EINE NONNE WAR SIE NICHT
Bastei Lübbe 9,90 DM
ISBN 3-404-13790-6

Nick Hornby: Ballfieber. Die Geschichte eines Fans

Fußball ist ein Spiel für Rotzlöffel und bertivogts’sche Wohlstandsjünglinge. Und wenn die beschreiben müßten, was sie da machen, dann wäre – ja, gut, ich saach ma‘ – der nächste Satz halt immer der schwerste, und du, Leser, bräuchtest keine 90 Minuten, um zu erkennen, daß auch ein leerer Fußballerkopf rund ist. Ergo schreiben die Intellektuellen, die einen Konjunktiv von einem Tifosi unterscheiden können, ansonsten aber sogleich jeden Netzerpaß nicht bloß in die Tiefe des Raums, sondern auch in den Kontext der Ästhetikgeschichte stellen. Das Ganze ist also ein Dilemma: Entweder du kannst fußballspielen – dann kannst du nicht schreiben; oder du kannst schreiben – aber keinen Ball stoppen. Es gibt Ausnahmen: die Gedichte von Ror Wolf, beispielsweise. Und es gibt Bestätigungen: das jüngst erschienene Fußballbuch („Gott ist rund“) des FAZ-Feuilletonisten Dirk Schümer etwa, eine Sammlung höchst geistlos-intelligenter Reflektionen über Fußball, und wer sich das Spiel der vierundvierzig Beine und zweiundzwanzig Bankkonten endgültig verleiden möchte, sollte das lesen.

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Musikbücher I

Liebe Freunde des guten Buches, erlaubt einem gefrusteten Rezensenten ein offenes Wort: Der deutsche Literaturmarkt ist degeneriert. Seine Autoren sind’s schon lange, seine Verleger noch länger, und von den Lektoren, diesen armen Würstchen, reden wir gar nicht. Wir, die wir ein gelungenes Buch wie einen zusätzlichen Feiertag begrüßen, werden uns dieser Umstände immer dann schmerzlich bewußt, wenn wir über die Grenzen schauen: nach Frankreich, nach England, in die USA, dorthin vor allem, wo über’s Jahr so manch hübsches Werk, die populäre Musik betreffend, erscheint – und in Deutschland niemals erscheinen wird, weil unsere Herren Verleger sogleich die Hände über’m Kopf zusammenschlagen und „Unverkäuflich! Zu anspruchsvoll!“ ausrufen, um dann in sich zusammenzusacken und resigniert zu murmeln: „Denn weißt du, der deutsche Leser ist dermaßen was von bescheuert und degeneriert, dem mußt du hundertmal seinen Neil Young geben und fünfhundert Biografien der Kelly Familie, dann ist er’s zufrieden.“

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Simone Borowiak – Baroness Bibi

Ein Schundroman für die gebildeten Stände

„Ein herrlicher Morgen dämmerte herauf und überzog die exklusivste Wohnanlage der Stadt mit einem malvenfarbenen Schimmer. In diesem Augenblick meldeten die Frühnachrichten eine Sensation: Schon wieder war ein Kanzler ermordet worden. Das war nun der dritte pfälzische Kanzler in Folge.
Dagegen, daß ein herrlicher Morgen heraufdämmert, ist ja beileibe nichts zu sagen, gegen das Heraufdämmern von ganz und gar unglaublichen Zuständen wie einem dritten Kanzlermord in Folge, hingegen schon. Einmal kann so eine Kanzlergeschichte ja passieren, aber dreimal? Das läßt tief blicken. Ein Land droht in Anarchie zu versinken und niemand scheint dem Einhalt gebieten zu können – außer vielleicht Baroneß Bibi, die sich eben, als diese Meldung ertönt, im seidigen Bettzeugs ihres opulenten Domizils räkelt und entschließt, ihren jugendlichen Luxuskörper und ihre aristokratischen Gehirnwindungen einzusetzen, um diese indiskutablen und einer freiheitlich demokratischen Republik unwürdigen Zustände zu beenden.

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Bill Albert – Desert Blues

Desert Blues, der Debütroman von Bill Albert, spielt in den fünfziger Jahren in der amerikanischen Wüste. Die Hauptfigur ist der fünfzehnjährige Harold, der sich als Vollwaise im Bungalow seiner skurrilen Tante Enid in Palm Springs wiederfindet, nachdem sein Vater versucht hatte, auf der Autobahn rückwärts zu fahren. Damit ist Harold zwar seine Eltern los, nicht aber die Probleme, die das Leben in der Wüste für einen Stadtmenschen bereithält, besonders wenn es sich um einen einsachtzig großen jüdischen Teenager mit roten Haaren handelt, den ein 5minütiger Aufenthalt in der Sonne aussehen läßt wie ein rohes Steak.

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Frank Ronan: Dixie Chicken

„Dixie Chicken“, der Song von Little Feat tönt laut aus dem Autoradio, als der allseits beliebte Architekt Rory Dixon mit seinem Wagen über die Klippe schießt und von einer Felsnadel aufgespießt wird. Dieses Ereignis löst in dem kleinen irischen Kaff vor den Toren Dublins Bestürzung aus. Die Umstände des Unfalls sind rätselhaft und es dauert auch nicht lange bis gemunkelt wird, daß es sich um Mord handelt. Da aber niemand ein Motiv hat, ist die Neugier groß.

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Dietrich Schwanitz: Der Campus

„Es gibt eine Schwachstelle im System. Eine Vermischung von Politik und Sexualmoral, die neu auf dem Markt ist. … Der Fall in ihrem Institut, sexuelle Belästigung, feministischer Protest, Political Correctness. Das ist wie eine Kernfusion, die ganz neue Strahlungen freisetzt. Tödliche Strahlungen. Sie führt zu Krebs in der Politik und Krebs im Journalismus.“

Hanno Hackmann, der Protagonist des Romans und seines Zeichens angesehener Professor für Kultursoziologie hat eine kurze Affäre mit einer Studentin und gerät als Folge diverser Zufälle in einen Strudel von Verdächtigungen und Beschuldigungen und muß sich am Ende einem Schauprozeß wegen angeblicher Vergewaltigung stellen. Was ihn dahin bringt ist eine gewaltige Verschwörung, eine Verschwörung allerdings, die nicht geplant ist, sondern die Folge vieler kleiner Zufälle und einzelner Intrigen vieler Beteiligter, die alle nur auf ihren eigenen Vorteil hoffen.

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Verschwundene Autoren

„…das Wetter war herrlich, die Maschine in tadellosem Zustand, der Auftrag sorgfältig vorbereitet (…). Ich gab ihm die letzten Anweisungen, dann half ihm einer von uns wie gewöhnlich beim Einsteigen ins Flugzeug und versicherte sich dabei, daá alles in Ordnung war. Wir sahen ihn von unserm Fluggelände von Borgo aufsteigen und hinter den Bergen, die die schmale Küstenebene säumen, in Richtung Frankreich verschwinden. Als die vorgeschriebene Stunde seiner Rückkehr verstrichen war, erfaßte uns Unruhe, dann Angst. Wir stellten alle möglichen Nachforschungen an, aber keine Radiostation, keine alliierte Maschine konnte die geringste Auskunft geben. Auch später in Frankreich hatten wir mit unsern Unternehmungen kein Glück.“

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