Tocotronic vs. Console: Freiburg V3.0

Die Spezialität von Tocotronic besteht darin, schluffige, laute und oft irgendwie zerrende Gitarrenmusik zu machen. Für ihre Melodien würden zwei oder drei Notenlinien vollkommen ausreichen. Popmäßig simpel und hymnisch sind sie, vor allem aber apathisch. Denn Tocotronic sind die Meister des Midtempo-Rocks. Der Gesang ist klagend, monoton und meistens am Rande des Ausdruckslosen. Als Slacker wurde das Hamburger Trio mal bezeichnet, in Wahrheit aber unterwandert es den Rock durch gezieltes Understatement und gibt ihm durch seine Teilnahmslosigkeit die Leidenschaft zurück. Die Riff-Folgen haben die Einfachheit eines Status Quo-Songs und die Melancholie eines Leonard Cohen. Pathos und Charme sind ein anderes Thema, die Texte auch – eine normale Rockband sind Tocotronic jedenfalls nicht.

Hat das auch der Elektronik-Musiker Martin Gretschmann a.k.a. Console (auch Mitglied bei Notwist) gemerkt? Hat ihn vielleicht die Tatsache angezogen, dass Tocotronic-Songs immer im Fluss und schon nach dem ersten Hören mitzusingen sind? Womöglich ist er auch nur Opfer, denn Tocotronic-Songs machen süchtig. Kurios ist es aber schon, ausgerechnet ein Tocotronic-Stück zum elektronischen Pop-Heuler umzuarbeiten. „Freiburg“ ist der Opener des ´95er-Debüts „Digital ist besser“ und nicht mal 2 Minuten 30 lang. Console hat die Monotonie des Originals gerettet und auch das Tempo nicht merklich variiert, trotzdem pluckert der Song fröhlich beschwingt vor sich hin. Mit nervösen Beats und Computerstimme. Und siehe: auf einmal bekommt das Stück Sex, Glamour, Raum und Fahrt. „Drive“, wie der Angelsachse sagen würde, der „Freiburg V3.0“ in seiner Muttersprache gesungen hört.

Weitere Kollegen tatens Console nach und remixten den Remix: Thies Mynther (Stella, Superpunk), der Hamburger Produzent Swen Meyer (Fischmob, But Alive), Kevin&Paul (Gretschmann und Mario Thaler) und Heiko Laux. Mindestens von Miss Kitten&The Hacker und Elegia sollen noch Versionen folgen, und inmitten des Club-Music-Reigens findet sich übrigens auch die Originalversion. Die mittlerweile aus einem anderen Jahrhundert stammt… Mit ihr aufnehmen können es allerdings nur die Remixe, die den Off-Beat-New-Wave-Pop der Console-Vorlage übernahmen, und das ist immerhin der Großteil.

Tocotronic vs. Console
Freiburg V3.0
(L'age d'or)

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