Interview: Richard Butler

Madonna, Richard Burton und ich

Erinnert sich hier noch jemand an die frühen 80er Jahre. An die Psychedelic Furs? Sister Europe? Oder wenigstens „Pretty in Pink“? Der damalige Kopf der Furs Richard Butler hat die Band längst aufgelöst. Aus der Konkursmasse brachte er seinen Bruder Tim in die neue Band Love Spit Love mit. Nach der Debüt-CD stieg Tim wieder aus: Um sich seiner eigenen Band zu widmen und um nicht mehr nur den Sidekick für seinen Bruder zu spielen. Jetzt sind Love Spit Love paritätisch besetzt (zwei Engländer, zwei Amerikaner) und mit neuer CD am Start. Anläßlich der zugehörigen Promotour durch Europa stand Richard Butler Mike Lehecka Rede und Antwort:

Hinternet: Was ist eigentlich zwischen der letzten Psychedelic Furs-Platte „Book of days“ von 1989 und der Gründung der neuen Band Love Spit Love passiert?

Richard Butler: Ich habe die Psychedelic Furs verlassen und war mir nicht sicher, ob ich solo weitermachen oder eine neue Band gründen sollte. Auf jeden Fall wollte ich weiterhin Musik machen. Ich habe ein paar Lieder mit meinem Bruder Tim geschrieben und ein paar mit Knox Chandler, der Mitglied bei Psychedelic Furs war. Dann schrieb ich Songs mit Richard Fortis (jetzt Love Spit Love-Gitarrist), der bei „Pale Divine“ spielte. Das war unsere Vorband auf der letzten USA-Tournee der Furs. Wir wurden Freunde. Richard flog jedes Wochenende von St. Louis nach New York, um mit mir zu arbeiten. Die meisten Lieder habe ich mit ihm geschrieben und es schien nur konsequent, mit ihm eine Band zu gründen, denn sein Einfluß auf die Musik ist sehr groß und es wäre nicht ehrlich, nur unter meinem Namen zu veröffentlichen.

Hinternet: Wie funktioniert das bei Love Spit Love: Könntest Du einfach die anderen anrufen und sagen, ich habe eine Idee, kommt vorbei und laßt uns proben?

Richard Butler: Ja klar. Aber ich bin gerade umgezogen, ich wohne jetzt im Norden New Yorks, eine Stunde entfernt. Ich müßte sie abholen, wenn ich will, daß sie hier auftauchen.

Hinternet: Die Texte bei Love Spit Love sind persönlicher als die Texte der Psychedelic Furs, Du schreibst jetzt mehr in der ersten Person. Ist das richtig?

Richard Butler: So habe ich das noch nie betrachtet. Aber es ist möglich, in einigen Texten spreche ich tatsächlich über mich. Im Song „Friends“ wird der Name Richard Burton erwähnt und eine Zeitlang war das der Name, den ich benutzt habe. Ich hätte in diesem Text auch Richard Butler sagen können, aber an dieser Stelle im Text geht es ums Trinken und Richard Burton ist einfach der bessere Trinker. (Er lacht, ich lache mit, obwohl mir nicht klar ist, ob er den echten Richard Burton meint oder sich selbst, zu den Zeiten, als er sich so nannte).

Hinternet: Auch in „Volunteers“ heißt es öfter „I“ oder auch „me“. Du scheinst damit keine Probleme mehr zu haben. Früher passierte das nur sehr selten.

Richard Butler: Aber es kam vor, z.B. bei „Love my way“ (oops, ja klar, der größte Hit der Furs in den USA. Kurze Pause, peinliches Schweigen. Zur Strafe wird mich die Redaktion wieder dazu verdammen, die Videokassette mit den gesammelten Fernsehinterviews von Verona Feldbusch komplett anzuschauen.)

Hinternet: Wie funktioniert Eure Zusammenarbeit beim Songwriting? Schreibst Du nur die Texte?

Richard Butler: Auf eine etwas seltsame Weise schreibe ich auch Musik. Wenn Richard Fortis mir eine Songidee vorspielt, beeinfluße ich ihn sehr oft und führe den Song in eine andere Richtung. Ich sage „probier das“ oder summe ihm was vor. Aber es kommt auch vor, daß er mit einem kompletten Stück ankommt und ich schreibe dann den Text dazu.

Hinternet: Schreibst Du Deine Lieder zuhause am Klavier?

Richard Butler: Ich spiele Gitarre. Nicht gerade gut, aber zum Schreiben von Songs reicht es. Auf der Bühne habe ich erst ein einziges Mal Gitarre gespielt, aber das war nicht mit Love Spit Love.

Hinternet: Ist beim Konzert der Sound mit nur einer Gitarre voll genug?

Richard Butler: Bei unserer letzten England-Tournee hatten wir einen Gastmusiker als zweiten Gitarristen. Aber es kam auch schon vor, daß wir nur mit einer akustischen Gitarre gespielt haben, z.B. bei kurzen Live-Auftritten im Radio, im Rahmen von Interviews. Wir können fast das gesamte Album mit akustischer Gitarre und Gesang spielen.

Hinternet: Die akustische Gitarre kommt bei Love Spit Love öfter zum Einsatz als früher bei Psychedelic Furs. Ist das auf Richard Fortis zurückzuführen oder war das auch Deine Absicht?

Richard Butler: Viele der neuen Songs sind auf einer akustischen Gitarre entstanden. Richard und ich saßen zuhause und haben diese Lieder zur Akustikgitarre geschrieben. Mit den Psychedelic Furs war es meistens so, daß wir alle im Proberaum zusammenkamen und als Band unsere Songs entwickelt haben.

Hinternet: Ist es für Dich schwieriger, ein eher ruhiges Lied wie z.B. „November 5“ zu singen?

Richard Butler: Nein, ich mag das. Im Januar, in San Diego bei der Super Bowl Party, haben wir das komplette Konzert akustisch gespielt (Time out: Ob er sich 1980 in den „Sister Europe“-Tagen hätte vorstellen können, bei einer Super Bowl Party zu spielen? Gibt es eine Chance, daß – sollten die von mir über alles geliebten Minnesota Vikings jemals wieder das Finale erreichen – Mark Eitzel die musikalische Untermalung dazu liefert?) Es war ein Open-Air mit ein paar tausend Zuschauern und es war großartig. Es ist aufregend, auf der Bühne auf einem Hocker zu sitzen und sich ganz auf seine Lieder zu konzentrieren.

Hinternet: Gab es einen konkreten Anlaß in Deinem Leben, der Dich zum Song „Friends“ inspirierte? Ist das als Rache oder Revanche zu verstehen?

Richard Butler: (Lacht) Als ich in New York lebte, ging ich gelegentlich in eine Kneipe um die Ecke. Sie hieß „Telephone“. Eines Abends stand ich da und bemerkte, daß ich den Laden hasse, mein schlimmster Alptraum. Vorher habe ich mich da meistens wohlgefühlt. An dem Abend haßte ich die Leute, mit denen ich dort war. Ich ging nach Hause, habe ein paar Tage darüber nachgedacht und dann dieses Lied geschrieben (es hat mehrere Tage gedauert, sich darüber im klaren zu werden!? Es macht meine tägliche Arbeit leichter, wenn ich höre, daß auch andere Leute ihre Zeit so konstruktiv nutzen).

Hinternet: Kann es sein, daß „November 5“ im Grunde ein Lovesong ist, was man aber nicht so schnell bemerken soll?

Richard Butler: Ja, das kann man so sagen (kann man, aber wahrscheinlich nur, wenn man nett ist und auf idiotische Interviewfragen antworten muß), aber es geht auch um Religion. Im Text erwähne ich Maria, Markus und Johannes. Der fünfte November ist auch der Tag, an dem in England traditionell Guy-Fawkes-Puppen verbrannt werden. Guy Fawkes ist der Kerl, der versuchte, den Zugang zum Parlament zu blockieren (Das war die zweite Folge des Hinter-Net!-Geschichtskurses, wie immer im Preis inbegriffen. Teil 1 siehe Guided by voices-Interview).

Hinternet: Wenn Dir eine solche Idee für ein Lied einfällt, machst Du Dir da sofort Notizen?

Richard Butler: Ja, ich notiere mir diese Ideen und dabei nehme ich, was gerade verfügbar ist. Das kann eine Serviette sein oder auch eine Streichholzschachtel.

Hinternet: Und wenn die Zeit gekommen ist, Lieder für eine neue Platte zu schreiben, blätterst Du dann in Deiner Servietten- und Streichholzschächtelchen-Sammlung?

Richard Butler: Klar. Aber daraus entstehen nur die Grundideen, vielleicht auch mal der Titel. Um einen richtigen, kompletten Text zu schreiben, brauche ich die Musik des Songs. Allerdings gibt es auf dem neuen Album ein Stück, „Sweet thing“, bei dem es anders war. Wir haben die Musik geschrieben und danach habe ich in meinen Notizen ein komplettes Stück Text gefunden, das schon fünf Jahre alt war. Und dieses Stück Text hat dazu gepaßt.

Hinternet: Gerade dieser Song hat einen Psychedelic Furs-Stil.

Richard Butler: Ja, das sehe ich genauso. (Gott sei Dank, wir stimmen überein. Vielleicht wird das Hinter-Net!-Berufungsgericht meine Feldbusch-Strafe reduzieren)

Hinternet: Zwischen den beiden Love Spit Love-Alben sind ja ein paar Jahre vergangen. Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, daß Euer früheres Label Imago dicht gemacht hat.

Richard Butler: Ja, das ist richtig. Die BMG (Vertrieb von Imago) hat sogar Leute mit Kameras geschickt, um die Büroräume und die Schreibtische bei Imago zu filmen. Und dann sagten sie: Wir wollen, daß bis fünf Uhr alle hier den Raum verlassen haben. Jeder mußte sofort seine Sachen zusammenpacken. Und weil sie alles gefilmt haben, konnten sie sicher sein, daß keiner einen Computer oder sonst irgend was mitnimmt (Ja, die Bertelsmänner: So arbeiten erfolgreiche deutsche Unternehmen. Sitzen machen!). Schon 1996 hätten wir ein Album aufnehmen und veröffentlichen können, aber die Schwierigkeiten, aus den Verträgen mit Imago rauszukommen, haben sich lange hingezogen. Es war frustrierend. Diese Zeit haben wir dann genutzt, um neue Songs zu schreiben. Die sind besser als manche der älteren Lieder, die auf einem damaligen Album erschienen wären.

Hinternet: Jetzt ist Maverick Euer neues Label. Madonna?

Richard Butler: Ich habe Madonna (die Eigentümerin von Maverick) noch nicht kennengelernt.

Hinternet: Bestimmt hat sie mit dieser Firma nicht viel zu tun. Vermutlich ist das alles nur ein PR-Gag.

Richard Butler: Nein, das stimmt nicht. Sie arbeitet dort drei Tage die Woche. Sie hört sich jede Band an und gibt dann ihr Okay. (Gut zu wissen, daß so vertrauenswürdige und erfahrene Kräfte darüber entscheiden, welche Musik wir hören dürfen und welche nicht.)

Hinternet: Um die neue Platte zu promoten, mußtet Ihr dann auf Tour gehen und „neues“ Material vorstellen, das auch wieder zwei Jahre alt war. Ist das nicht auch frustrierend?

Richard Butler: Auf der Bühne zu stehen ist eine Sache, die mich nervös macht. Immer noch. Deshalb bleibt die Spannung erhalten, auch wenn wir Songs spielen, die schon zwei Jahre alt sind. Du hast gar keine Chance, darüber nachzudenken, ob du gelangweilt bist von Songs, die nicht ganz aktuell sind. Außerdem habe ich mit den Psychedelic Furs zehn Jahre lang „Pretty in Pink“ gesungen, und da sind zwei Jahre gar nichts.

Hinternet: Habt Ihr das Problem, daß die Zuhörer in Euren Konzerten immer alte Psychedelic Furs-Songs hören wollen?

Richard Butler: Auf unserer ersten Love Spit Love-Tour haben wir beschlossen, keine alten Furs-Songs zu spielen. Wir wollten auch erreichen, daß die Leute bei der nächsten Tournee nicht andauernd „Spielt Pretty in Pink“ brüllen. Das haben wir auch geschafft. Deshalb sind wir jetzt auch entspannt genug, um einige der alten Stücke zu spielen (Vielleicht verfügt das Publikum ja auch über Kenntnisse auf dem Gebiet der reverse psychology und hat die Jungs elegant verschaukelt!) Vor kurzem haben wir z. B. „Love my way“, „Heaven“ und „Ghost in you“ gespielt.

Hinternet: Es gibt bestimmt auch Leute in Euren Konzerte, die Dich fragen: Hast Du früher auch schon Musik gemacht?

Richard Butler: (Lacht) Das glaube ich nicht. So gut wie alle wissen, daß ich vorher in einer anderen Band war.

Hinternet: Hast Du jemals daran gedacht, Dich als Schauspieler zu versuchen?

Richard Butler: Niemals. Furchtbarer Gedanke. Von allen sogenannten „kreativen“ Berufen ist Schauspielern der am wenigsten kreative. Ich kann nicht verstehen, warum gerade in Amerika Schauspieler so vergöttert werden, all diese Brad Pitts. Sie sind nicht die Macher des Films, sie schreiben keine Drehbücher. Alles was sie tun ist, für ein paar Minuten vorzugeben, jemand anderes zu sein.

Hinternet: Ist es denn für einen Songwriter und Sänger zum Teil nicht genauso?

Richard Butler: Ja, kann schon sein. Ein Lied zu schreiben ist eine Art Schauspielern in deinem Kopf. Und wenn du auf der Bühne stehst und „Pretty in Pink“ singst, bist du wütend und ein paar Minuten später bei „Sister Europe“ bist du traurig – wenn es ein gutes Konzert und ein gutes Publikum ist. Wenn nicht, bist du nur ein eingebildeter Idiot.

Hinternet: Hattest Du jemals Probleme, ein Lied auf der Bühne zu singen, weil es so viel Bedeutung für Dich persönlich hat? Weil Du es vor so vielen Leuten nicht singen wolltest?

Richard Butler: Nein. Ist mir nie passiert.

(ml/km)

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