Interview: Tindersticks

Ein Neuanfang?

Ich möchte nicht lange um den heißen Brei reden… Nicht jeder Kritiker scheint es zu mögen, das neue Album der britischen Band Tindersticks. Stagnation und Einfältigkeit wird ihr vorgeworfen. Vorwürfe, die ich überhaupt nicht teilen kann. Ich scheine einer der wenigen zu sein, der der Band weiterhin die Stange hält und die Melancholie und Düsternis ihrer Songs genießt. Doch, wie in meiner Rezension schon erwähnt, hat „Simple Pleasure“ auch einige fröhlichen Seiten zu bieten. Dickon Hinchcliffe, der seine Stimme, die zarten Klänge einer elektrischen Violine und eines Keyboards zum Gesamtsound beiträgt, stand uns für ein ausgiebiges Gespräch zur Verfügung.

Was ist die Verbindung zwischen dem recht bizarren Cover und dem Titel eures neuen Albums „Simple Pleasure“?

„Gegenfrage: Was ist denn bizarr daran?“

Meist wird eine nackte Frau anziehend und begehrenswert dargestellt. Doch ihr habt eine andere Form der Darstellung gewählt. Die Figur der Frau entspricht nicht dem gängigen Schönheitsideal – das Modell ist schwanger. Die Farbe der Haut ist blaß und grünlich. Das Portrait sieht dadurch medizinisch und künstlich aus.

„Die Kraft, die dieses Bild ausstrahlt ist eine andere als die der Bilder in den Hochglanz-Magazinen, die ständig wunderschöne Frauen zur Schau tragen. Stuart (Staples, der Sänger – der Verf.), der das Cover ausgewählt hat, hat sich mit Absicht für dieses Bild entschieden. Es sollte eben nicht kosmetisch sein. Mich stört, dass die Leute beim Anblick der Bilder von nackten Frauen immer dieselben Reaktionen zeigen. Dabei kann man auch ein solches Bild, wie es auf ‚Simple Pleasure‘ zu sehen ist, von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten und etwas Schönes darin entdecken.“

Die Fotos in den von dir angesprochenen Magazinen sind mittels Computer verfremdet. Die Augen der Frauen haben ein Blau, wie es höchstens noch das Wasser der Karibik hat. Oft wirken die Bilder dadurch unnatürlich.

„Was Albumtitel und Musik betrifft, so werden beide von Einfachheit beherrscht. Ihnen wohnt eine natürliche Schönheit inne, die durch nichts aufgepäppelt wurde“, ergänzt Dickon meinen Gedanken.

Auf der Promo-CD sind die Tage, an denen ihr die einzelnen Songs aufgenommen habt, und alle Takes, die es brauchte, um die Songs einzuspielen, angegeben. Warum diese Akribie?

„Eigentlich nur, um das Gefühl eines live eingespielten Albums zu vermitteln. Wir waren zusammen im Aufnahmeraum und haben zur gleichen Zeit die Songs eingespielt. Auch die Vocals wurden zum Teil live eingesungen. Wir haben absichtlich einen anderen Ansatz gewählt als bei anderen modernen Produktionen. Üblicherweise werden viele Computer eingesetzt. Die Aufnahmen beginnen mit den Rhythmusinstrumenten und erst am Schluß kommen die Vocals hinzu. Wir hingegen haben es uns zur Aufgabe gemacht, möglichst viel live zu machen, so dass sich die Musik möglichst real bleibt.“

Glaubst du, der Konsument hört den Unterschied?

„Der Unterschied ist gravierend. Es kommt natürlich auf den Hörer und dessen Hörgewohnheiten an. Manche stehen sicherlich auf von Computern strukturierte Musik. Ich kann sofort erkennen, ob ein Album mit Schlagzeuger, Bassist und Gitarrist live aufgenommen wurde. Die Chemie zwischen den Musikern ist eine andere, wodurch das Endergebnis nicht so klinisch klingt. Die Musikindustrie steht anscheinend auf einen solchen Sound. Es scheint einfacher zu sein, klinische Alben zu vermarkten.“

Ganze 25 Takes habt es gedauert, bis der Song „Before You Close Your Eyes“ endlich stand. Kein leichter Job, oder?

„Nein, es war ziemlich anstrengend. Wir brauchten alleine drei Tage, um all unser Equipment aufzubauen. Die meisten Takes nahmen wir während der Eingewöhnungsphase auf. Wir saßen oder standen entspannt im Studio herum und übten die Songs. Ein Studio ist bekanntlich ein lebloser Ort; wir müssen es erst zum Leben erwecken. Daher nahmen wir uns Zeit, es uns gemütlich zu machen und uns heimisch zu fühlen. So läßt sich die Tatsache erklären, dass manchmal mehrere Takes nötig waren, bis ein Stück zu unserer vollen Zufriedenheit war.“

Habt ihr das Studio zusätzlich umgestaltet und zum Beispiel Kerzen aufgestellt?

„Fast alle Sessions gingen nachts über die Bühne, was für ein ganz besonderes Ambiente sorgte. Ansonsten haben wir uns nicht zu seltsamen Ritualen hinreißen lassen.“

Im vergangenen Jahr erschien mit „Donkeys 92-97“ die erste Compilation von Tindersticks. Was waren die Beweggründe? All die unzähligen EPs, Singles und Maxis, die ihr anfangs auf den Markt gebracht habt? Viele derer sind heute nicht mehr zu ergattern.

„Einerseits wollten wir unseren Fans die Songs anbieten, die auf irgendwelchen Limited Editions versteckt sind oder gar nicht mehr zu bekommen sind. Andererseits wollten wir ein Kapitel unserer Karriere abschließen. Nach den ersten drei Alben wollten wir eine Tür hinter uns zumachen, kurz zurückblicken und dann fortfahren.“

Warum habt ihr ein Kapitel abschließen müssen? Wie ist das zu verstehen? Immerhin hat sich eure Musik nicht sehr gewandelt.

„Natürlich ist es noch dieselbe Band. Aber nach ‚Curtains‘ (dem letzen Studioalbum – der Verf.) war uns nach einer Veränderung. Unser Arbeitsprozeß mußte sich wandeln, um die Beziehung zwischen uns als Individuen weiterhin interessant zu halten. Jede Beziehung braucht mal eine Art Frischzellenkur. Wir haben uns zwar nie wiederholt, aber dennoch mußten wir Grenzen brechen und etwas Neues machen.“

Mit der alten Tradition, fast jeden Monat eine Maxi oder eine Single zu veröffentlichen, habt ihr mittlerweile ebenfalls gebrochen. Ihr konzentriert euch ausschließlich auf die Alben. Liegt das an der Politik der Plattenfirmen und vielleicht an den knappen Kassen, oder habt ihr nicht genügend Zeit?

„Am Anfang hatten wir unglaublich viele Stücke in petto, die zum Teil einige Jahre auf dem Buckel hatten. Die wollten wir nicht vergammeln lassen und veröffentlichten sie nach und nach. 30 Songs waren das seinerzeit. Die Reserven waren alsbald erschöpft, so dass wir nunmehr für jede Veröffentlichung neue Stücke schreiben müssen. Es fällt uns schwer, den alten Turnus beizubehalten, um nicht zu sagen, dass es eigentlich unmöglich geworden ist, so viele Songs zu schreiben. Schließlich hast du den Anspruch, immer besser zu werden. Du feilst länger an einzelnen Kompositionen. Es ist eigentlich eine Schande, dass es so weit gekommen ist, denn Singles zu veröffentlichen macht Spaß. Ich verspreche daher baldige Besserung. Die kommenden Singles werden nämlich wieder unveröffentlichtes Material enthalten.“

Mit einem solch immensen Repertoire in der Hinterhand, fällt es euch da nicht schwer, ein Programm zusammenzustellen?

„Im Moment stellt sich die Set List von selbst zusammen, da die neuen Stücke Vorrang haben und nur einige wenige Klassiker hinzukommen. Ein Song wie „Tiny Tears“ gehört zum festen Bestandteil der Show, da ihn die Leute erwarten.“

Wenn du die Aufgabe hättest, mit Hilfe von Adjektiven die Atmosphäre eurer Musik zu beschreiben, wie würde sich das anhören?

„Das ist dein Job. (Er lacht.) Jeder hat da seine eigenen Ansichten. Der eine findet die Musik depressiv, der andere aufbauend. Ich glaube nicht, dass einen Konsens gibt.“

„Can We Start Again?“ und „From The Inside“ sind für eure Verhältnisse überraschend fröhliche Stücke. Stimmst du mir zu?

„Überraschend finde ich höchstens das Wesen der beiden Stücke. Kategorisieren könnte ich die Songs dennoch nicht. Ich stimme zu, dass ‚Can We Start Again?‘ ein bißchen fröhlich klingt, da es hier – wie der Titel schon sagt – um einen Neuanfang, also etwas Positives geht.“

Die restlichen Stücke sind wie gewohnt stimmungsvoll, düster und melancholisch. Liegt das vielleicht nur an Stuarts ungewöhnlich weinerlicher Stimme? Immerhin bestätigen viele meine Ansicht, dass Tindersticks traurige und melancholische Musik machen. Das kommt doch nicht von ungefähr.

„Auf die früheren Werke trifft das definitiv zu. Aber auf ‚Simple Pleasure‘ ist schon einiges anders. Ein Stück wie ‚Pretty Words‘ liegt noch in der Tradition, aber ‚I Know That Loving‘, ‚Can We Start Again?‘ und ‚Before You Close Your Eyes‘ sind von ganz anderem Kaliber.“

Normalerweise macht ein Künstler zu seiner eigenen Zufriedenheit Musik. Er muß letztendlich mit dem Ergebnis glücklich sein. Was die Fans davon halten ist eher sekundär. Jetzt hattet ihr anno 1996 den Auftrag erhalten, den Soundtrack für den Film „Nénette et Boni“ von Claire Denis zu schreiben. Ein solches Projekt muß ein Künstler bestimmt mit anderen Maßstäben und Zielsetzungen anpacken.

„Es war verdammt schwer, diesen Soundtrack zu machen. Dadurch dass wir selbst so begeistert und interessiert waren, wurde die Sache noch schwerer. Wir waren uns der Tatsache bewußt, dass Musik das visuelle Image eines Filmes beeinflußt. Für uns war das etwas Neues. Schließlich hatten wir die Aufgabe, dem Film einen anderen Anstrich zu verpassen, ihm neue Gesichtszüge zu geben – allerdings ohne dabei die Idee, die hinter dem Film stand, zu verfremden. Dieser Balanceakt verursachte uns heftiges Kopfzerbrechen.“

Ist es eigentlich ein schwerer Prozeß, einen TINDERSTICKS-Song zu Ende zu bringen? Ich denke dabei an die Vielzahl der Musiker, die involviert sind.

„Definitiv. Nur ist die Grundidee eines Stückes simpel und direkt. Sie entsteht oft spontan und ungewollt. Erst wenn daraus ein Song werden soll, wird es schwer, alle Meinungen unter einen Hut zu bekommen.“

Das ist aber stets eine demokratische Entscheidung?(Er stockt.) „Nun, wir sitzen nicht im Kreis und reden über die Songs. Nie. Die Entwicklung von einer Idee hin zum fertigen Song vollzieht sich in der Praxis, im Ausdrücken von Gefühlen in und mit der Musik. Obwohl jeder seine Gefühle einbringen kann, würde ich nicht von einer Demokratie, sondern von Spontanität, Zufall oder etwas Strukturlosem sprechen.“

Du hast vorhin gesagt, dieses Album sei simpler als seine Vorgänger. Was genau hast du damit gemeint?

„Simpel insofern, dass die Songs live eingespielt wurden. Zeitgleich legten wir Wert darauf, da Prozedere auf ein Minimum zu reduzieren. Diesmal hat uns kein großes Orchester geholfen. Es waren lediglich ein oder zwei Musiker. Das hat sich in meinen Augen ausgezahlt. Was die Musik anbelangt, sieht die Sache folgendermaßen aus: Meist werden unglaublich komplexe Ideen auf eine sehr einfache Art und Weise in die Tat umgesetzt. Früher agierten wir detaillierter und ausgefeilter, heute eher minimalistisch. Was jedoch nicht heißt, dass auch die durch die Musik transportierten Gefühle simpel und einfach strukturiert sind. Im Gegenteil. Alles in allem ist ‚Simple Pleasure‘ im Vergleich zu früheren Werken weniger stilisiert.“

Hammond Orgel, Violine, Blechbläser und Keyboards sind meiner Ansicht nach sehr wichtig, um die spezielle Atmosphäre eines Tindersticks-Songs aufzubauen. Würdest du die genannten Instrumente weglassen, würde viel verlorengehen.

„Das sind genau die Elemente unserer Musik, die den Leuten zuerst auffallen. Sie sind für die Melodieführung verantwortlich. Aber ohne unseren Drummer oder unseren Bassisten hätten wir das Album nie zustande gebracht. Keiner spielt so wie sie. Sie sind ebenso wichtig für den Sound wie der Orgelspieler und all die anderen. Nur ist ihr stilprägender Beitrag weniger offensichtlich.“

Die Streicher- und Bläser-Arrangements werden seit jeher von dir geschrieben. Jetzt war aber in eurem Bandinfo zu lesen, dass du bis vor drei Jahren noch keine Note lesen konntest. Stimmt das?

(Er lacht.) „Nein, dieses Gerücht hat Stuart in die Welt gesetzt. Er hat einen Hang zur Übertreibung. Ich konnte bereits als Kind Noten lesen, interessierte mich aber irgendwann nicht mehr für klassische Musik. Doch als diese Einzug in die Klangwelt der Tindersticks fand, habe mich um die Arrangements der Streicher und Bläser gekümmert. Was allerdings stimmt ist, dass mir früher jemand zur Seite stand, der die Noten zu Papier zu brachte.“

Stuart hat auch gesagt: „Je länger wir zusammen spielen, desto größer wird unser Potential.“

„Das ist richtig und spricht für sich selbst. Die Kraft, die unsere Band entwickelt hat, kommt von der Kombination der einzelnen Charaktere. Jeder trägt seinen Teil zum Ganzen bei. Es dauerte seinerzeit lange, bis wir verstanden hatten, wie das System Tindersticks am besten funktioniert. Wir sind im Grunde immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Sobald ein Projekt abgeschlossen ist, gehen wir das nächste an.“

Mir kommt es so vor, als seist du sehr zufrieden, in dieser Band zu spielen.

„Durchaus. Das hat viel mit der Arbeit an ‚Simple Pleasure‘ zu tun. Es macht Spaß, die Songs zu spielen. Bis dato waren wir noch nicht auf Tour. Vielleicht sollten wir danach wieder reden. Ich würde dir dann wohl eine andere Antwort geben. (Er lacht.) Spaß beiseite: Ich fühle mich derzeit pudelwohl. Das Album ist noch nicht auf dem Markt und wir machen uns nicht viel Sorgen um unsere Zukunft. Es kommt mir fast so vor, als sei ich in den Flitterwochen.“

Habe ich das richtig verstanden, ihr spielt nicht gerne live?

„Oh, nein. Wir geben gerne Konzerte, mögen es nur nicht, lange auf Tour zu sein. Dann wird die Musik meist zum unwichtigsten Element degradiert. Du befindest dich in einem nervtötenden Kreislauf und stellst dir irgendwann die Frage, warum du das überhaupt über dich ergehen läßt. Dann hat man es schnell satt.“

Zum Schluß zwei völlig banale Fragen: Was verbirgt sich hinter ‚CF GF‘?

„Ganz einfach, das sind die Akkorde des Songs. Ein anderer Titel fiel uns nicht ein.“

Doh! Letzte Frage: Wie denkt man sich eigentlich einen Titel für ein Instrumental aus? Es gibt ja keine Textzeilen, auf die man sich berufen kann.

„Das ist wirklich schwer. Stuart denkt sich meist die Titel aus, was aber meist erst in der allerletzten Minute passiert. So war es auch mit dem Titel des Albums. Plötzlich hast du diese Idee und dann soll es eben so sein.“

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