Björk war nie hip, durfte aber trotzdem immer große Erfolge feiern. Sicherlich wird sie mit „Vespertine“ an diese anknüpfen können. Und das obwohl ihr neues Album keineswegs massenkompatibel und charttauglich ist. Schließlich hat die Isländerin, die beteuert, seit Jahren fast ausschließlich elektronische Musik zu hören, mit dem kalifornischen Minimal-Elektro-Duo Matmos zusammengearbeitet und sich der Dienste von Matthew Herbert und Console, Solokünstler und Mitglied bei The Notwist, bedient.
„Bei diesem Album geht es darum, dass man alleine zu Hause ist. Man zieht sich zurück, man spricht mit sich selbst und irgendwie improvisiert man. Man ist ganz für sich alleine“, sagt Björk und fügt hinzu: „Ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig überzeugt von etwas, als ich mit diesem Album ein Stück vom Paradies kreieren wollte. Einen Kokon. Ich war immer der kleine Rebell, der alles sehr reell und klar haben wollte. Bei diesem Album ging es darum, einen Kokon entstehen zu lassen, fast wie ein kleines Paradies, in das man sich flüchten kann. Obwohl man weiß, dass es so etwas nicht gibt. Diesen Kokon kann man nicht überall hin mitnehmen. An bestimmten Orten würde er kaputtgehen. Aber man glaubt daran, dass er eine Existenzberechtigung hat, weil er von den Menschen so gebraucht wird. Alleine das ist Rechtfertigung genug.“ Eine ausschweifende Erklärung, wie es zu diesem Album kam, die man beim Hören nicht außer Acht lassen sollte.
„Verspertine“ lässt erahnen, wie wohl sich Björk trotz aller Schutzmaßnahmen und Verpuppung in der Rolle der Solokünstlerin fühlt. Der Ausrutscher ins Kinogeschäft, der in einem offen ausgetragenen Streit zwischen ihr und dem exzentrischen Regisseur Lars von Trier endete, soll ein solcher bleiben. Nie mehr Film, meinte sie nur. Umso besser für die Musikliebhaber, denn ihre wahren Stärken liegen in der Musik. Seit Jahren überzeugt sie Fans wie Kritiker gleichermaßen. Daran wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern. „Vespertine“ ist gerade wegen der vielen elektronischen Experimente überaus interessant. Björk hat es geschafft, Elektro mit sakral-orchestralem Kitsch und ihrer engelsgleichen Stimme zu verknüpfen.
„Es wurde viel improvisiert und ganz unterschiedliche, ungewöhnliche Geräusche eingesetzt.“ Man könnte meinen, der komplette Backkatalog des britischen Elektro-Fachhandels Warp Records sei auf „Vespertine“ wiederverwertet worden. Das Ergebnis ist eine andere Björk als wir sie bisher kannten und auch wieder nicht. Sie zeigt ihre Wandlungsfähigkeit, ohne ihre Ursprünge zu vergessen bzw. zu vertuschen. Wer sich die Zeit nimmt, das Album einige Male zu hören, bevor er es vorschnell aburteilt, wird früher oder später hinter jedes noch so große, in den Stücken verborgene Geheimnis kommen.
Björk: Vespertine
(Polydor/Universal)