Mexikanische Drogenbosse, die Lieferungen ihrer Waren nach America im großen Maßstab organisieren, ein Mitarbeiter der amerikanischen Drogenpolizei von der Obsession getrieben, eben jenen Drogenbosse das Handwerk zu legen, eine kalifornische Edelnutte, welche die Liebe ihres Lebens verliert, New Yorker Mafia Mitglieder und die Geheimen Dienste Amerikas mit ihren (un)heimlichen Missionen in Mittelamerika.
Don Winslow verwebt in „The Power of the Dog“ viele Geschichten zu einem komplexen Gespinst. Über den Zeitraum von knapp 20 Jahren verfolgt der Leser, wie die Akteure miteinander und gegeneinander agieren, wie Allianzen geschmiedet und gebrochen werden, wie private Beziehungen zu Bruch gehen und wie neue entstehen und wie ambivalent Beziehungen zwischen „Guten“ und „Bösen“, aber auch von Personen der „gleichen Seite“ sein können.
Don Winslow ist ein außergewöhnliches, ja herausragendes Buch gelungen. Ein Epos geradezu, welches den Aufstieg und Fall der Sippe der Barreras, Onkel und zwei Neffen protokolliert. Ausgehend von der Zeit als der Onkel noch als Polizist arbeitet, entwickeln sich die Barreras mit „Silber oder Blei“ (Bestechung oder Tod) und aufgrund der guten Verbindungen zu den geheimen amerikanischen Diensten mehr und mehr zu einem mächtigen Kartell. Gegenspieler ist Art Keller, ein US-amerikanischer Drogenfahnder, den der Onkel anfangs benutzte um sich seiner Widersacher zu entledigen. Es ist also eine Sache der Ehre … fanatisch setzt Keller alles daran die Sippe auszuschalten.
Es ist, natürlich, dem Thema angemessen, ein brutales Buch, ein Höllenritt, eine Tour de Force. Es scheint kaum möglich, die vielen Toten und Entstellten zu zählen, die beide Parteien in Kauf nehmen. Und dennoch, ist es viel mehr als ein brutaler mit Action vollgepumpter Thriller. Die Personen Winslows sind sehr gut gezeichnet, die handelnden Charaktere vielschichtig. Von ihren Emotionen getrieben, sind Konflikte und Schlüsselstellen der Geschichte glaubwürdig in die Handlung eingebunden und leiten sich logisch aus den Handlungen ab. Diese Personen, mit ihren mitunter sich auch ändernden Plänen und ihre vielfältigen Beziehungen, bilden die Grundlage für einen hochkomplexen Plot.
Wunderbar variiert Winslow das Tempo. Nach hochrasanten und -dramatischen Phasen folgen ruhigere, in denen nicht nur das Nervenkostüm der Leser geschont wird, sondern Winslow sich auch Zeit lässt, seine Personen zu entwickeln. Es gibt sicher Leser, die ihm hier mitunter den Vorwurf der Selbstverliebtheit machen würden. So beschreibt er zum Beispiel wie die Drogenlieferanten sich zur „vertically integrated polydrug operation“ weiter entwickeln. Er schildert wie die Hierarchien abgeflacht wurden, günstige Bedingungen für Neueinsteiger geschaffen wurden, Finanzdienstleitungen (wie Geldwäsche oder Versicherungsmöglichkeiten von Drogentransporten) für die selbstständig Gewerbetreibenden des Kartells eingeführt wurden und beschreibt den Aufwand den es bedurfte, um den sicheren Grenzübertritt in die USA zu gewährleisten. Man meint als Leser hier richtig zu sehen, wie viel Spaß es Winslow machte, sich seine Drogenwelt zusammenzuschreiben (und doch ist er wohl recht nahe an der Wahrheit). Kein Buch also für zwanghafte 200 Seiten-pro-Buch-Leser, viel zu komplex auch, zu politisch sowieso.
Denn letztlich wäre es ja ein eminentes Thema, weswegen es einem Land wie den USA nicht gelingen will, das Drogenproblem nicht wenigstes zu mildern. Winslow führt den Lesern ein in die Gebiete der Produzenten, die Köpfe der Lieferanten und die Strategien der US-Geheimdienste. Letztlich, so erfahren wir und sind es auch gerne bereit zu glauben, ist es eine Frage der Prioritäten und hier lasse sich bei der US-amerikanischen Politik (spätestens) seit Vietnam eine Kontinuität der ideologiebetonten Analyse und Lösung von außenpolitischen Themen beobachten.
Ein pralles und volles Buch also. Nie aber wirkt es zergliedert oder zerfasert. Die zahlreichen Wechsel der Perspektive erfolgen ruhig und geben Winslow die Gelegenheit Atmosphäre zu schaffen und sich auszulassen über das Drumherum des jeweiligen Objektes. Er schreibt mit einer Sprache, die sich dezent im Hintergrund hält und dann ansatzlos Körper zerfetzt und Köpfe zerschmettert.
Dass dieses Buch den deutschen Lesern vorenthalten wird, werden nur die notorischen Nörgler, die hinter jeder Darstellung in einem Buch den Alumnus eines „creative writing“ Seminar vermuten, nicht bedauern. Den anderen Lesern entgeht ein Buch, welches mit seiner gnadenlosen Konsequenz, seiner lakonischen Gewaltdarstellung und seiner protagonisteneinbeziehenden Komplexität tatsächlich [ja, ich weiß, es ist ein Klischee] an James Ellroy erinnert.
Don Winslow: The power of the dog.
Vintage Crime 2006. 542 Seiten. 13, 50 €
(noch keine deutsche Übersetzung)