Auch für den amerikanischen Autor Domenic Stansberry gilt wohl, dass gute Arbeit nicht unbedingt Gewähr dafür ist , von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Als letztes Jahr sein Buch „The Confession“ den Edgar, Kategorie „Bestes Taschenbuch“ gewann, löste dieses zwar, da einige Kritiker das Buch gröblich missverstanden, einige Diskussionen aus. Solche zugespitzten Diskussionen zwängen jedoch häufig Autoren in Schablonen, die Ihnen nicht entsprechen. Auch bei Domenic Stansberry ist es so, dass Ton und Stil von „The Confession“ sich mit jenem Buch erschöpft hatten und nicht typisch für den Autor sind.
„Chasing the Dragon“ demonstriert da mehr seinen Stil: Von innen aufgeladene Personen, psychologisch motiviert; nicht so, dass Gefühligkeit sich breit macht, aber doch so sehr, dass die Geschichte stimmig und plausibel wirkt. Dieses Buch markiert den Start einer neuen Serie um Dante Mancuso, einen ehemaliger Kriminalpolizisten, der unter dubiosen Umständen aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist und das Italienerviertel in San Franzisko, wo er zuvor sein Leben verbrachte, verlassen hatte. Seitdem arbeitet er für einen obskuren Geheimdienst der USA und kehrt nun nach sieben Jahren zurück, um einen Drogenring auffliegen zu lassen.
Die Rückkehr in sein Elternhaus und ins Italienerviertel löst alte Erinnerungen aus, und so manche Beziehung und so manche Geschichte von damals lebt wieder auf. Vergangenheit und Gegenwart verschränken sich auf vielfältige Art und Weise. Aber die Rückkehr ist natürlich auch der Eintritt in eine neue Welt. Wenig ist so, wie es mal war. Die alte Liebe nicht, „Little Italy“ nicht und auch die Beziehung zwischen Chinesen und Italienern nicht.
Aber nicht nur Dante kämpft mit den Geistern der Vergangenheit, auch der chinesischstämmige Polizist Frank Ying wird die seinen nicht los. Immer wieder hat er die Mafia von Chinatown verfolgt. Auch jetzt, als er längst in der Mordabteilung ist, liefern ihm seine Quellen noch Informationen über diese. Ist Mancuso anfänglich noch ein Tatverdächtiger für Ying, rücken die Beiden, sich misstrauisch belauernd, mit der Zeit immer näher aneinander.
„Chasing the Dragon“ ist ein außergewöhnlicher, komplex gefügter Roman, der mit Figuren besticht, die sehr plastisch erscheinen. Menschen, die mit ihrer Moral und dem Schicksal hadern und dennoch versuchen, Recht und Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Es sind diese Personen, welche die sich kreuzenden Plotstränge von Gegenwart und Vergangenheit, von „Little Italy“ und „China Town“, von Drogengeschichten und persönlichen Geschichten glaubwürdig erscheinen lassen.
Dieses Buch hat eindeutig einen eigenen Ton, der es aus der Masse der Krimis herausragen lässt und die Motivationen seiner Personen, die konventionell noir rüberkommen, von innen ausleuchtet. Es ist ein Buch ohne Gewaltobsession, welches gelungen zum Ende hin kulminiert und den Leser neugierig macht, wie es wohl mit Dante weitergehen mag.
Domenic Stansberry: Chasing the Dragon.
St. Martin’s Minotaur 2006. 307 Seiten. Ca. 9 €
(noch keine deutsche Übersetzung)