2raumwohnung: 36 Grad

Es muss da so eine Kiste geben, und wenn sie geöffnet wird, steigen lauter schöne Dinge daraus empor. Kleine, bunte Schmetterlinge. Blüten. Sterne. Petits fours. Aber auch mal manch graue Wolke. Wunderschöne allerdings nur, natürlich. So stell ich mir das vor, wenn 2raumwohnung mit ihren Ideen für ein neues Album ins Studio gehen.

Das ist vermutlich totaler Quatsch. Da wird bestimmt gebrütet, getüftelt, gestritten, verworfen und von vorne begonnen. Aber das Ergebnis ist so zauberhaft! „36 Grad“ wirkt trotz mancher Erdenschwere in den Songs wie mit Leichtigkeit hingeworfen. Ein kleiner, duftiger Geniestreich in Sachen Popmusik.

Obwohl ich gleich mal vorausschicken muss, dass Menschen, die gern zu tranciger Musik chillen, vermutlich andere Songs lieben werden als Menschen, die gern knackige Ohrwürmer haben. Und dann gibt´s hier noch Songs, die erst nach und nach zum Ohrwurm werden – wenn man dem Take einige Zeit gibt.

Ein Ohrwurm ist zum Beispiel die erste Single aus dem Album, „Besser geht´s nicht“. Ein schnuckelig-fröhlicher Popsong, der Elektronik und Schrammelgitarren paart und gemeinsam mit Peter Plate von Rosenstolz geschrieben wurde. Auch der Titelsong „36 Grad“ ist ein Ohrwurm – und gerade im Refrain schon so gedämpft-verhalten wie große Teile des gesamten Albums.

Zart kommt es oftmals daher, vor- und umsichtig. Wie in Watte gehüllt, durch einen milchigen Filter betrachtet und in einer merkwürdigen Zwischenwelt angesiedelt. Entrückt. Schlafwandlerisch. Eine Art klanggewordener Tagtraum. Manchmal federnd und treibend, nicht selten mit einem harten Beat kombiniert, aber manchmal auch einfach nur so vor sich hinschwimmend, unaufhaltsam.

Ohrwurm, aber ein ganz besonderer ist „Ich bin der Regen“. Wie aufgezogen schiebt sich die Midtempo-Ballade voran. Melancholisch und irgendwie schallschluckend, wie unter einer Schneedecke begraben. Im Text klingt an, was oft die Songs von 2raumwohnung prägt: Weisheit, Gelassenheit, eine seltsam starke Kraft im Hintergrund und viel, viel Lebensfreude. Mag sein, dass Inga Humpe versierte Yoga-Treibende ist. Vielleicht hat sie auch einfach schon viel gesehen in ihrem Leben.

Andere Songs sind spartanischer arrangiert, monoton fast. Dunkel, hart und kühl – aber trotzdem zugleich auch fett und warm. Es ist die Kunst von 2raumwohnung, dieser Kunsthandwerker in Sachen Popmusik. Die auch selten nur reine Elektronik-Band sind, sondern viele Gitarren in ihre Musik mit einweben.

Also, wer sich umschmeicheln lassen mag von herzerweichenden Melodien und raffinierten Harmonien, der wird seine Filetstückchen auf „36 Grad“ finden. Wer in beiden Hinsichten reduziertere Kost zu genießen weiß, pickt sich andere Songs raus. Die dritte Sorte – Songs, die wie die zweite Art wirken, aber langsam zur ersten werden – entfalten sich erst nach wiederholtem Hören wie eine Teeblume zu voller Schönheit.

Und „schön“ ist mal wieder das treffende Adjektiv für das ganze Album. Allerdings auch: flirrend, groovy, unwiderstehlich. Es schwingen wieder soviel Romantik mit, so viele wunderbare Melodien und diese superben Arrangements. Aus klarem Grundgerüst und hinreißender Ausstattung mit cleveren Details bestehend – und zusammen einen perfekten Klang-Strom ergebend.

Wie gesagt – ohne Energie vermissen zu lassen wirkt dieses 2raumwohnung-Album verhaltener, dabei aber hochkonzentriert und so zart und zurückgenommen, als gelte es, besonders wachsam und behutsam vorzugehen.

Und, ach ja – das Wetter spielt in den Texten eine ganz große Rolle! Oft offenbar als Inspiration, manchmal aber auch als Chiffre für Gemütslagen. Sonne, Wolken, Regen – 2raumwohnung polieren sie neu auf. Sie könnten mal danke sagen. Die Sonne. Die Wolken. Und der Regen.