Literarische Krimis – eine Reise ins Herz der Finsternis (1)

Ganz oder gar nicht. Die Dinge sind nie „einfach“. Wohl könnte man das Phänomen der „literarischen Krimis“ als sprachliche Schuderei verdammen und sich nicht weiter darum kümmern. Spannender erscheint indes eine Expedition durch jenes wunderbare und geheimnisvolle Land der „literarischen Krimis“. Nun denn, ziehen wir den Tropenanzug an und setzen uns in Bewegung.

[Anmerkung: Der komplette Expeditionsbericht wird als Broschüre all diejenigen kostenlos beglücken, die entweder das Krimijahrbuch 2007 oder die Astrid-Paprotta-Studie oder beides hier vorbestellt haben oder bis zum 1. März vorbestellen. Eine limitierte, nummerierte und handsignierte Exklusivausgabe. Das volle Programm!]
Ein Picasso, ein Rubens, eine ölige Alpenlandschaft, eine Kinderzeichnung. Vier Erzeugnisse der Malerei – aber welches davon ist Kunst, welches keine? Wo konstatieren wir „gute Kunst“, wo „schlechte“? Ist der Picasso mehr wert als der Rubens, weil letzterer einer vergangenen Epoche angehört und sich die Kunst weiterentwickelt hat? Bevorzugen wir die ölige Alpenlandschaft, weil sie am besten zur Tapete im Wohnzimmer passt oder doch lieber den Picasso, weil wir für ihn 20 Millionen bei Sotheby’s bekommen oder die Kinderzeichnung, weil sie von unserem eigenen Kind stammt und uns in seine Seele blicken lässt? Oder rufen wir bei Rubens „Kunst“, weil wir das schiere Kunsthandwerk bewundern, von dem in den mageren Strichen Picassos nicht zu sehen ist? Befinden wir „das kann ich auch, also ist es keine Kunst!“ und geben der Alpenlandschaft den Vorzug vor der Kinderzeichnung? Oder vertiefen wir uns in jedes Werk und befinden, der Picasso bewege uns mit seiner Darstellung der Greuel des Krieges am meisten, sei also größere Kunst als der Rubens, weil wir auf dickliche Frauen nicht so abfahren? Oder kaufen wir uns ein Buch über Kunstgeschichte und schlagen nach, was dort warum als Kunst und was warum nicht als Kunst bezeichnet wird?

Viele Fragen. Eine indes stellt sich nicht. Es handelt sich unzweifelhaft um vier Objekte der Malerei. Einige davon mögen Kunst sein, andere nicht, einige große Kunst, einige kleine Kunst, einige Gebrauchskunst. Bei der Literatur sollte es eigentlich ähnlich sein, aber zumindest beim Krimi und überhaupt bei alledem, was wir mit den „Genres“ assoziieren, ist es das offensichtlich nicht. Natürlich könnten wir auch hier mit dem Kunstbegriff operieren. Goethe und Christie haben beide Literatur produziert, doch nur bei Goethe ist sie Kunst. Aber warum? Schon die Einleitung zeigt uns, wie schwierig es ist, Kunst zu fassen. Bei der Literatur ist es noch um einiges schwieriger, weil man dort, jedenfalls was den Krimi anbetrifft, selten von Kunst redet, sondern nur von Literatur. Der Begriff wird also gleich zweimal bemüht. Zunächst, um eine größere Menge von Geschriebenem zu klassifizieren, dann, um diese Menge qualitativ zu sortieren. Das muss verwirren, das muss schiefgehen.

Zusammengegoogelt

Er (Friedrich Anis „Idylle der Hyänen“) bietet das, was einen Kriminalroman zu „guter Literatur“ werden lässt: Ani macht weiser.

Hat jemand die Buecher um den Protagonisten Selb von Bernhard Schlink gelesen? Selbs Justiz, Selbs Betrug, Selbs Mord ? Wie sind die? Nur uebliche Krimis, oder gar doch „literarische“ Krimis?

Traditionell galten Krimis im Literaturbetrieb als geringgeschätzte Kolportage/Trivialliteratur. Die Möglichkeiten, psychologische Momente zu schildern, die den Verbrecher antreiben, Milieubeschreibungen zu liefern oder den Ermittler in eigene Gewissensnöte zu stürzen, bieten aber durchaus Gelegenheit für anspruchsvolle Literatur. So kann man durchaus Fjodor Dostojewskis Roman Verbrechen und Strafe (in anderer Übersetzung: Schuld und Sühne) oder Wilhelm Raabes Stopfkuchen als Krimi auffassen. Auch Friedrich Dürrenmatt hat literarisch anspruchsvolle Kriminalromane geschrieben, ebenfalls Theodor Fontane – „Unterm Birnbaum“. Mittlerweile ist der Kriminalroman eine anerkannte Literaturgattung.

Dabei werfen er und seine Mitstreiter sich Zitate aus alten Romanen, Gedichten, Liedern zu, die heute in der Regel per Anhang zu erläutern sind, vom zeitgenössischen Leser aber offensichtlich entschlüsselt werden konnten: Crispin schrieb „literarische“ Krimis, in denen der Stil über die Story triumphiert.

Nach und nach wird der Krimi in Dänemark mehr und mehr akzeptiert, und die Anzahl an Krimiautoren nimmt ja auch ständig zu. Immer mehr so zu sagen „literarische“ Schriftsteller schreiben sehr moderne, halbliterarische Krimis. Viele Jahre lang waren dänische Krimis ja auch oft sehr einfach aufgebaut und ohne literarischen Anspruch. Der große Durchbruch des modernen Krimis in Dänemark war Peter Høegs Fräulein Smillas Gespür für Schnee, wie ich finde, der erste literarische Krimi, wenn man so will. Vielleicht kann man auch noch Dan Turèll mit hinzunehmen. Aber die Einbindung von sozialen und gesellschaftlichen Problem- und Fragestellungen im Kriminalroman ist bei uns noch sehr jung, jedenfalls im Vergleich zu Schweden, das ja in dieser Richtung mit Maj Sjöwall und Per Wahlöö viel mehr Tradition hat.

Der literarische Krimi kann sich diesen Kriterien der politischen Kultur – deren historische und soziodkonomische Fundierung und Genese in anderem Zusammenhang diskutiert werden muß – in aufklärerischer und emanzipativer Weise bedienen. Es ist also nicht so, daß die problematischen Erscheinungsformen des üblichen Serienkrimis im Fernsehen notwendigerweise Charakteristiken des Genres sein müßten! Der literarische Krimi setzt neben die verschleiernden die aufdeckenden, bewußtseinserweiternden Mythen, begründet Personalisierungen in gesellschaftlichen Situationen und benutzt mediale Vermittlung, um effizienter Kritikfähigkeit und Reflexion zu provozieren. In einem solchen Falle ist die didaktische Untersuchung recht unproblematisch und folgt gängigen sprach? und literaturwissenschaftlichen Ansätzen, auch wenn sie auf gesellschaftliche Ziele hin orientiert ist; sie lenkt die Aufmerksamkeit des Schülers auf stoffimmanente Intentionen und Aussagen; die kritische Auseinandersetzung kann hier zwischen literarisch?verarbeitender, wertender und gesellschaftlichmaterialer Realitätsebene recht unbefangen wechseln und daraus Beurteilungsmuster ableiten. Die Wertproblematik wird hier an realistischen Kriterien zu erörtern sein. Anders der übliche Serienkrimi: Seine verschleiernde Funktion ist aufzudecken.

Verwendet man statt des Begriffs „Krimi“ das etwas längere „Kriminalroman“ hat man gleich eine ganz andere literarische Gattung, über die Wissenschaftler seit Jahrhunderten gelehrte Abhandlungen schreiben und Studenten verschiedener Fachrichtungen promovieren.

Der beste literarische Krimi des Jahres. Ein Krimi, der nie auf den Bestenlisten landen wird. Dafür ist er zu düster. Dafür fehlt ihm dieser Sog zum Show-Down. Aber in welchem Krimi finden sich schon solche Sätze: „…und sobald der fette Mann seinen ersten Schlag gemacht hatte, war Train klar, dass seine feuchten Träume besser strukturiert waren als der Golfschwung seiner ‚Tasche‘, wie Caddies ihre Kunden nannten.“

Das alles gibt schwer zu denken

„Literarische Krimis“ setzen die Existenz von „nichtliterarischen“ voraus. Es muss also einen Punkt geben, an dem ein Druckerzeugnis quasi umkippt, aus dem einen Topf, in das es rein genremäßig gehört, in den anderen fällt, in den es seiner genreunabhängigen Qualität wegen gehört. Aber was ist das für ein Punkt? Wo liegt er, wer oder was bestimmt, wann er erreicht worden ist? Zur Auswahl stehen diverse Kriterien:

– seine Wirkung („macht weiser“)
– seine Möglichkeiten („psychologische Momente schildern etc.“)
– seine Nutzung als Metatext („Zitate aus anderen Romanen“)
– sein Primat des Stils („…triumphiert über die Story“)
– seine Bauweise („waren oft einfach gebaut und ohne literarischen Anspruch“)
– seine gesellschaftliche Relevanz („die Einbindung von sozialen und gesellschaftlichen Problem- und Fragestellungen im Kriminalroman…“)
– sein didaktisches, pädagogisches, aufklärerisches Potential („Die Wertproblematik wird hier an realistischen Kriterien zu erörtern sein. Anders der übliche Serienkrimi: Seine verschleiernde Funktion ist aufzudecken.
– seine Sprache („…in welchem Krimi finden sich schon solche Sätze“)

Außerdem haben wir erfahren, dass es auch „halbliterarische“ Krimis gibt, die von Volliteraten geschrieben werden, also im Ökomodus mit halber Kraft (Stichwort „Gartenklamotten anziehen“, siehe Jan Seghers).

Und was machen wir nun damit? Hecheln wir doch einfach durch und beginnen mit der

Sprache

Dazu zwei Zitate:

„Der Kampf war kurz und tödlich. Martin pochte der eigene Herzschlag in den Ohren, und sein Finger am Abzug zitterte, als er drauflosschoss, ohne sich groß Zeit zum Zielen zu nehmen. Er gab den Gefangenen Feuerschutz, als sie säbelschwingend und wild brüllend die Bühne angriffen. Der Warlord, der auf seinem Thron Hof gehalten hatte, ging hinter dem Sessel in Deckung, während seine völlig überrumpelten Leute verzweifelt Widerstand leisteten.“

„Der andere drehte den Kopf, und Jo handelte blitzschnell. Die Lampe bekam einen Schlag, dass sie vom Tisch segelte und im Fallen den gewünschten Kurzschluss von sich gab. Sofort brannte die Sicherung durch. Das Licht erlosch im ganzen Appartement. Jo dreht sich gleichzeitig und entging so der Kugel. Bis sich der andere auf die Dunkelheit eingestellt hatte, traf ihn Walkers hochbrisante Faust.“

Preisfrage: Welche Sprache ist hier „literarischer“? Und woran sieht man das? Warum stammt eines der Zitate aus einem preisgekrönten „literarischen Krimi“, das andere hingegen aus einem „Schundroman“? Antworten sind willkommen.

(Fortsetzung folgt)

6 Gedanken zu „Literarische Krimis – eine Reise ins Herz der Finsternis (1)“

  1. Nun bin ich allerdings verwirrt – denn beide Text sind vergleichbar schlecht formuliert. Da mir beide völlig unbekannt sind, kann ich unbefangen ans Werk gehen:

    Der erste Text:
    „Der Kampf war kurz und tödlich. [Schon mal ein nicht gerade spannungsfördernder Einstieg, das Ergebnis vorwegzunehmen.]
    Martin pochte der eigene Herzschlag in den Ohren, [könnte es denn überhaupt ein fremder sein? Ist nicht eher der Puls gemeint?] und sein Finger am Abzug zitterte, als er [der Finger?]drauflosschoss, ohne sich groß Zeit zum Zielen zu nehmen. [„drauflosschießen“, „groß Zeit“ ist Vokabular der Umgangssprache, das hier keinen Mehrwert hat, sondern einen Bruch darstellt.] Er gab den Gefangenen Feuerschutz,[also doch kein „Drauflosschießen“, sondern ein kalkulierter „Feuerschutz“] als sie säbelschwingend und wild brüllend [fast so gut wie „laut brüllend“!] die Bühne angriffen. [Da wird die Bühne aber erzittern ob des Gebrülls; gemeint ist wohl, daß die Protagonisten *auf* der Bühne angegriffen werden.] Der Warlord, der auf seinem Thron Hof gehalten hatte, ging hinter dem Sessel in Deckung, während seine völlig überrumpelten Leute verzweifelt Widerstand leisteten.“ [War der Warlord im Gegensatz zu seinen Leuten eventuell nur halb überrumpelt? Schließt eine „völlige“ Überrumpelung nicht den „verzweifelten“ Widerstand aus? Ja was denn nun: Thron oder Sessel? Und wie unanschaulich die Szene nach dem emotionalen Einstieg abgehakt wird: Angriff, Feuerschutz, Deckung, Widerstand, da wird nicht erzählt, so bereitet man ein Gemetzel für einen Zeitungsartikel oder fürs militärhistorische Archiv auf.]

    2. Text, der sich wie eine holperige Übersetzung aus dem Englischen liest:
    „Der andere drehte den Kopf, [Anglizismus, „turned his head“,im Deutschen dreht man den Kopf nicht einfach so, man wendet ihn ab oder dreht ihn weg o.ä.]und Jo handelte blitzschnell. Die Lampe bekam einen Schlag, [üblicherweise bekommt ein Mensch einen Schlag] dass sie vom Tisch segelte [das muß man sich jetzt einmal vorstellen, hart am Wind etc.]und im Fallen den gewünschten Kurzschluss von sich gab. [„einen Kurzschluß von sich geben“, soso. Ist es nicht eher ein Verursachen?] Sofort brannte die Sicherung durch. Das Licht erlosch im ganzen Appartement. [Eine einzige Sicherung für ein „ganzes“ Appartement?] Jo dreht[e] sich gleichzeitig und entging so der Kugel. [Durch bloßes Drehen kann man keiner Kugel entgehen, man muß sich schon *weg*drehen, mindestens.]Bis sich der andere auf die Dunkelheit eingestellt hatte, traf ihn Walkers hochbrisante Faust.“ [Gemeint ist: „bevor“ sich der andere auf die Dunkelheit einstellen konnte; eine „hochbrisante“ Faust hat immerhin parodistische Qualität – allerdings scheint mir der Text ansonsten eher ernstgemeint zu sein.]

    Sprachlich sind beide Texte unterdurchschnittlich. Vergleicht man allerdings die Szenarien – Kampf zwischen „Gefangenen“ und „Warlords“ einerseits, ein Gangster-Showdown andererseits – dürfte der erste Text politisch wertvoller und daher der preisgekrönte sein. Oder? Auf die Auflösung bin ich nun doch gespannt…

    Gabriele Gordon

  2. Dochdoch, man kann durch Drehen einer Kugel entgehen, weil man beim Drehen nämlich schmäler wird und die Kugel an einem vorbeipfeifen kann. Das machen wir Kung-fu-Spezialisten jeden Tag. Jo scheint ein Kumpel von uns zu sein. (Jo Lang Fing Fang vielleicht.)

    Feuerschutz kann man auch durch Losballern geben: Sperrfeuer.

    Ansonsten kann ich nur sagen, dass beide Texte grottenschlecht sind. Ich tippe aber auf den letzteren, wegen der literarischen Anspielung am Schluss: „hochbrisanter Faust“ (Jerry Cotton, oder?)

    Schlecht sind sie.

  3. Jo Walker in Text 2 ist natürlich niemand anderes als „Kommissar X“. Damit bin ich groß geworden, das war Hochliteratur. Für mich. Mit 12.

    Natürlich kann man blind drauflosschießen, um Feuerschutz zu geben. Ist halt nicht so effektiv.
    Sprachlich ist das beides nicht herausragend, und wenn auch der erste Text flüssiger geschrieben ist, auf die „hochbrisante Faust“ muss man erstmal kommen. Mag Nummer 1 der literarische Krimi sein, die surrealistischeren Qualitäten hat eindeutig Text 2. So weit ich weiß ist (oder war) die Kommissar X – Reihe ein deutsches Produkt, also dürfte alles originär und keine holperige Übersetzung sein. Sprache, ich spiele mit dich:-) Hach, wäre ich doch nur eine Lampe, ich würde jeden Tag einen Kurzschluss von mir geben.

  4. Damit bin ich groß geworden, das war Hochliteratur. Für mich. Mit 12.

    Jochen! Ich darf dich daran erinnern, dass du jetzt schon 16 bist und es endlich an der Zeit wäre, deine zerfledderten Kommissar-X-Hefte aus dem Redaktionsklo zu entfernen! Ich brauche den Platz für meine Friedrich-Dürrenmatt-Schmöker!

    bye
    dpr

  5. Na gut, ich tausche die Heftchen gegen die Kommissar X Taschenbücher aus. Das macht mehr her. Und dazwischen kann man die wenigen Dürrenmatt Krimis auch besonders glänzen lassen. Noch besser sieht’s aus, wenn wir Dostojewskijs „Verbrechen und Strafe“ (natürlich die Neuübersetzung) ganz oben auf den Stapel legen.

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