Die Literatur ist schon ein merkwürdiges Land mit noch merkwürdigeren Bewohnern. Sprache, so sagen wir, ist ein Werkzeug. In unserer Normalwelt ziehen wir mit dem Vorschlaghammer in den Steinbruch der Wirklichkeit und legen mit dem Skalpell das Innere der Menschen frei. Im Lande Literatur ist alles ganz anders. Dort kann man auch mit dem Vorschlaghammer auf die Psyche klopfen und mit dem Skalpell im Steinbruch arbeiten.
Im Abseits im Zentrum?
Ziehen wir weiter. Und werden das Gefühl nicht los, dass dieser schöne Trampelpfad, den wir uns auf dem Weg ins Herz der Finsternis schaffen, geradewegs an den eigentlichen Denkwürdigkeiten des Landes, das wir ja erforschen wollen, vorbeiführt. Irgendwo abseits von alledem könnte ein bizarres, von der Welt der Logik und der kosmischen Naturgesetze abgeschnittenes Territorium liegen, dessen Einwohner weder physikalischen Gesetzen noch etwas so Profanem wie der Zeit unterworfen sind. Sie laufen im Kreis und behaupten, sie seien auf dem Weg zu den Sternen. Beim Laufen stampft ein Bein durch die Gegenwart, ein anderes durch die Vergangenheit. Und ihre Gehirne befinden sich ebenfalls zwischen den Zeiten oder zermatscht in ihnen – wo genau und wie genau, das ist noch nicht ausgemacht.
Auch erschlagen sie ihre Mitbewohner, sobald diese ein Kind in die Welt gesetzt haben, denn das Schlimmste was sie sich vorstellen können, ist eine Ahnenreihe, eine Entwicklung, Fortschritt. Das Kind gilt als vom Himmel gefallenes Gottesgeschenk, nur wenn es recht unartig zu werden droht, wirft man ihm vor, schlechte Gene zu besitzen. Und die Zeit ist ein großer Klumpatsch, in ihrem Ablauf viel zu kompliziert, so dass es ratsam erscheint, sämtliche Fakten in einen großen Topf zu werfen.
Diese Geschöpfe sind etwa von der Richtigkeit folgender Aussagen völlig überzeugt:
„Die Person, welche einstmals das Rad erfunden hat, war eine Versagerin. Wieso hat sie nicht auch die Pleuelstange, den Scheibenwischer und den Verbrennungsmotor bei dieser Gelegenheit miterfunden?“
Das ist seltsam genug, aber die Geschöpfe halten auch eine zweite Aussage für durchaus logisch:
„Wenn diese Person, die das Rad erfunden hat, bei dieser Gelegenheit auch noch gleich die Pleuelstange, den Scheibenwischer und den Verbrennungsmotor miterfunden hätte, wir wären gezwungen gewesen, sie als abscheuliche Hexe auf dem nächsten Scheiterhaufen zu verbrennen.“
Uh, das ist verwirrend. Ein solches Land, solche Geschöpfe kann es doch gar nicht geben, oder? Das würde ja, auf die Literatur gemünzt, folgendes bedeuten:
„Hören Sie mal zu, lieber Herr Goethe. Ihre literarischen Versuche in allen Ehren, aber unter uns: Warum haben Sie eigentlich nicht mit der Technik des inneren Monologs gearbeitet? Und warum redet Ihr Personal immer so gestelzt? Hätten Sie mal den Expressionismus erfunden, dann wäre Ihr Herr Faust aber ein richtiger Kerl geworden! Eines sage ich Ihnen aber auch, mein Freund: Hätten Sie den inneren Monolog und den Expressionismus erfunden und Ihr Personal so reden lassen wie Döblin den Franz Bieberkopf, wir hätten Sie geteert und gefedert, aus dem Land gejagt und das mit dem Minister in Weimar hätten Sie sich natürlich auch abschminken können!“
Während wir noch die Köpfe schütteln ob dieser wirren Argumentation, flüstert der Teufel in unserem Ohr: Genau so betrachtet das Gros jener Sippschaft, die von „literarischen Krimis“ fantert, die Literatur. Ahistorisch, um es vornehm auszudrücken. Völlig jenseits von Logik, Ursache / Wirkung, Emanzipation undundund. Sie haben überhaupt nichts begriffen, sie denken mit den Schleimbeuteln, krakeelen ihren Unverstand lauthals durchs Mediale, bringen die Zeiten durcheinander, verwechseln literarischen Schein mit literarischem Sein. Missionieren lohnt sich nicht. Schnell die Beine in die Hand und weiter.
Einen Moment noch. Diese Kreaturen wollen wir kurz genauer betrachten. Sie nehmen es den Herren Poe und Conan Doyle übel, dass sie den Krimi erfunden haben (von all den anderen, die man jetzt nennen müsste, ahnen sie nichts), weil sie im gleichen Moment nicht auch den lauthals grübelnden Polizisten, die langatmig ausgebreitete Erklärung des Warum und Weshalb und Überhaupt miterfanden. Denn das ist für sie „literarisch“: alles, was in der Entwicklung nicht nur des Genres, sondern der Literatur überhaupt längst als Ballast über Bord gegangen ist. So wie sie überhaupt von einer Literatur, die sich entwickelt, keinen blassen Schimmer haben, denn das einzige was sie entwickeln, ist das Geschenkpapier, in das ihnen die oder der Liebste „den anspruchsvollen Krimi zum Weihnachtsfest“ eingepackt hat.
Wohl schreien sie nach „der Moderne“ – sind aber enttäuscht, wenn nicht die Fidelen Whodunnit-Buam in der krachledernen Sprachtracht auftreten.Würde man ihnen die wirklich avancierten Vertreter des Genres unter die Nase reiben, Rad und Pleuelstange und Motor und alles übrige also, sie kreischten „langweilig!“. Es entspräche nicht dem, was sie unter „Literatur“ verstehen, nämlich gar nichts. Kein wohliger Nervenkitzel, kein Happyend, keine Sinnhuberei, keine Sprache als Melange aus standardisierter, grammatisch unbedenklicher und von der obersten Dudeninstanz genehmigter „Druckreife“, als sei sie frisch von den Herrschaften Stifter, Mann und Pilcher in einem sinnlos ekstatischen Akt zusammenkopuliert worden, nachdem alle Beteiligten ihren Verstand auf dem Nachttisch deponiert haben.
Aber treten wir wieder zurück auf den Trampelpfad und hoffen, dass diese Bewohner des literarischen Landes wirklich an einer entlegenen Stelle dahinvegetieren. Sicher bin ich mir da allerdings nicht. Mag sein, dass sich die „literarischen Krimis“ auf eine abstrusen Vorstellung von Literatur gründen, auf die wahnwitzige Vorstellung, „die Moderne“ sei alles, was in gelecktem Deutsch „kritisch“ von den letzten Dingen raune, einem „zu denken“ gebe, irgendwie „relevant“ sei und irgendwie so komplex, dass, wenn ich es verstehe, es keine große Literatur sein kann, wenn ich es aber partout nicht verstehe wohl auch nicht.
Mag also sein, dass sich dieser Irrsinn – man bläst ihn ja laut und oft genug durch die Welt – inzwischen auch dort, wo man es eigentlich besser wissen sollte, zum nicht mehr genauer inspizierten Gemeingut geworden ist und wir ihm am Ende unserer Reise als der Wurzel allen Übels wiederbegegnen. Aber was solls. Weiter. Scott wäre auch früher zum Südpol gekommen, hätte er nicht auch noch das Paarungsverhalten der Kaiserpinguine studiert.
dpr
(Diese Abhandlung erhält kostenlos als limitierten, nummerierten und handsignierten Sonderdruck, wer bis zum 1. März entweder das „Krimijahrbuch 2007“ (zum Vorzugspreis von 16 Euro) oder / und „Die Zeichen der Vier. Astrid Paprottas Ina-Henkel-Kriminalromane“ (ca. 12 Euro) hier vorbestellt.)
Schön blumig. Kannst du das vielleicht auch noch mal in Normaldeutsch sagen, bitte?
Können vielleicht schon, aber wollen ganz bestimmt nicht. Zumal ich so meine Probleme hab mit dem Normaldeutsch, desweiteren mit den Normaldeutschen, den Normallesern, den Normalnormalen, den Paranormalen, den…
bye
dpr