Zehn Krimis – und warum sie „politisch“ sind

Ob es tatsächlich noch Leserinnen und Leser gibt, die sich von unserer kleinen Diskussion über „politische Krimis“ so etwas wie eine endgültige, am besten noch schlagwortartige Definition erhoffen? Wohl kaum.

Wer sich mit Kriminalliteratur beschäftigt, wird irgendwann erfahren müssen, dass jeder Versuch, sie griffig zu schubladisieren, damit endet, sie elegant aus der Hand gleiten zu sehen. Erkenntnisgewinn hat seinen Preis, die Erkenntnis nämlich, dass hinter jeder Definition viele mögliche andere stehen, jede Antwort Fragen generiert und diese wieder Antworten und so weiter. Aber wir geben nicht auf. Eine Grundbedingung für das Denken ist die Unendlichkeit, das Niemals-abgeschlossen-sein. Man erfreut sich an gemeinsamen Nennern, Zwischenergebnissen, Dingen also, auf die man weiter bauen kann. Haben wir die? Ja, doch, ein paar schon. Die wichtigste Einsicht, die auch Else Laudan in ihrem letzten Beitrag hervorhebt: Was ein politischer Krimi ist, entscheiden die Leserinnen / Leser. Also auch ich. Nachfolgend zehn Krimis, die für mich politisch sind. Warum? Das sei jeweils in ein, zwei Sätzen kurz zusammengefasst.
Emilie Heinrichs: Leibrenten. Ist nicht nur eine Primärquelle für Befindlichkeiten (hier: der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts), die sich in der Geschichtsschreibung entweder gar nicht mehr oder nur abstrahiert wiederfinden, sondern enthält schon alles, was später „politisch“ und „Krimi“ genannt werden wird. Engagement, Ränke und Intrigen, ein Blick auf die neue Spezies der „Wirtschaftsverbrecher“, dazu nüchterner Pessimismus mit einem finalen Schuss Hoffnung.

Friedrich Glauser: Wachtmeister Studer. Wie alles von Glauser eine Studie über das Elend der Verhältnisse. Trennungen sind nicht möglich, alles beeinflusst alles, das Private das Politische, das Politische das Private. Lösungen? Notlösungen.

Dashiell Hammett: Rote Ernte. Wer es noch nicht wusste, der erfährt es hier: Das Böse hält die Welt zusammen, das Gute ist Maskerade, ein willkommenes Abfallprodukt. Krieg in jedweder Form ist nicht nur profitabel, er ist die Essenz der Gesellschaft.

Ross Thomas: Am Rand der Welt. Ein Musterbeispiel des alten Dog eats Dog-Musters. Die ausgleichende Ungerechtigkeit oder: Wenn du ein Gangster bist, dann sei wenigstens schlauer als die anderen Gangster. Mechanismen der Macht.

James Dickey: Flussfahrt. Vietnam war ein psychologisches Problem. Zivilisation ist nichts anderes als der Versuch, die Schrecken des eigenen Kopfes zu kujonieren. Klappt nicht immer.

Sjöwall / Wahlöö: Die Terroristen. Die größte Gefahr für das politische System liegt nicht im Terrorismus, der ja kaum etwas anderes ist als ein politisches System mit etwas gröberen Mitteln. Die größte Gefahr für das politische System liegt in den Konsequenzen, die eine einzelne Person aus ihm zieht.

Pieke Biermann: Vier, fünf, sechs. Weil hier eine Epoche greifbar wird. Man riecht sie, schmeckt sie, hört sie. Viele Stimmen im literarischen Wohlklang des Kakophonischen.

Helga Riedel: Einer muss tot. Es gibt kein Entkommen. Auch wenn zwei „Gute“ aufeinanderprallen, erzeugen sie Böses.

Fernando Molica: Krieg in Mirandão. Zeigt uns sehr deutlich, dass die Tradition des Krimischreibens obsolet werden kann, wenn die knallharte Wirklichkeit ins Spiel kommt. Schreiben verändert die Gesellschaft? Mag sein. Die Gesellschaft verändert das Schreiben? Unbedingt!

Claudia Piñero: Die Donnerstagswitwen. Die kleinen Dinge des Alltags und der ferne Klang der Politik. Wie sich das hochschaukelt und die Katastrophe auslöst.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert