Julia Spencer-Fleming: All Mortal Flesh

Es gibt Serien, bei denen die Titelhelden kein relevantes Eigenleben haben, die einzelnen Bücher stehen für sich alleine und die Reihenfolge, in der Bücher gelesen werden, ist nicht entscheidend. Dann gibt es Serien, in denen die Helden sich zwar ein wenig ändern, ´mal einen neuen Partner finden und ´mal die eine oder andere Narbe zugefügt bekommen, aber diese Ereignisse beanspruchen auf längerer Sicht keine größere Aufmerksamkeit für sich und beeinflussen den Lauf der Serie nur unmerklich.

Und dann gibt es Serien, bei denen die Rahmenhandlung ein Eigenleben entfaltet, quasi eine Geschichte um die einzelnen Geschichten bildet, sogar zum gestaltenden Element werden kann. Da sind die einzelnen Bücher fast schon Teile eines Fortsetzungsromans. Neben William Kent Kruegers Serie um Cork O`Connor gehört auch Julia Spencer-Flemings Serie um Clare Fergusson und Russ van Alstyne zum letztgenannten Typus.
Seit dem ersten Buch, „In the Bleak Winternight“, mit dem sie in den USA viel Erfolg hatte, und, abgesehen vom Edgar, die meisten der US-Krimipreise gewann, hat Spencer-Fleming die Geschichte der beiden konsequent weiter gesponnen. Clare Fergusson ist eine ehemalige Hubschrauberpilotin der US-Armee, die sich spät entschloss den Beruf zu wechseln und nun als Pastorin der episkopalen Kirchengemeinde im kleinen Millers Kill im Bundesstaat New York tätig ist. Sie ist fremd und unbequem und alleine auf sich gestellt. Van Alstyne war lange Jahre Militärpolizist und ist spät nach Millers Kill, wo er aufgewachsen war, zurückgekehrt – mittlerweile leitet er die dortige Polizei. Fergusson und van Alstyne treffen immer wieder aufeinander, wenn Verbrechen zu lösen sind, die häufig nicht nur van Alstyne Erfahrung, sondern auch Fergussons Einfühlungsvermögen erfordern. Mit der Zeit kommen sie sich nahe. Zu nahe eigentlich, denn Van Alstyne ist verheiratet; zu nahe auf jeden Fall um Gerüchte zu vermeiden.

„All Mortal Flesh“ lebt von der Geschichte um die beiden Protagonisten: Die Arbeit die beiden wird von den übergeordneten Stellen angezweifelt, mit dem Ergebnis, dass sie beide fremdbestimmt werden und eine Person von außen vorgesetzt bekommen. Fergusson erhält eine Diakonin, die ihr „helfen“ soll. Und van Alstyne … nun, seine Frau schlug eine vorübergehende Trennung vor, er lebte wieder bei seiner Mutter. Eine gute Freundin der Ehefrau findet den Leichnam in der Küche der van Alstynes und während die Polizei mit van Alstyne an der Spitze davon ausgeht, dass der Anschlag eigentlich ihm galt, sieht die Landespolizei, dass hier jemand einen Mordfall untersucht, bei dem er oder seine mutmaßliche Geliebte selber einer der Hauptverdächtigen ist und schickt eine Beamtin, um seine Arbeit zu kontrollieren.

Clare Fergusson ist eine Frau, deren Berufsauffassung mit derjenigen ihrer Vorgesetzten kollidiert. Nicht, dass mich eigentlich die Sorgen und Nöte einer Pastorin interessieren, aber Spencer-Fleming macht vieles richtig. Die Verlaufslinien und die Motivationen der Personen wirken stimmig, der Druck, der auf Fergusson und van Alstyne lastet, ist horrend und das Ende des Buches fulminant. Intelligent schreiben kann sie allemal, da wird es zur Nebensache, dass die eigentliche Rätsellösung nicht so aufregend ist und die im Buch wabernde Güte wird erträglich.

Ohne Zweifel ist „All Mortal Flesh“ das bisher beste Buch der Serie. So ist sein großer Erfolg erklärlich und bis zu einem gewissen Grad auch verständlich. Interessant und aller Ehren wert ist, dass, wie in Kent Kruegers „Mercy Falls“, die Hölle durch welche die Autorin ihre beiden Helden schickt, mit der letzten Seite des Buches nicht beendet ist, sondern mit dem nächsten Buch, „I Shall not Want“ fortgesetzt werden muss.

Julia Spencer-Fleming: All Mortal Flesh. 
St. Martin Minotaur 2006. 336 Seiten. 16,95 € 
(noch keine deutsche Übersetzung)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert