Um das heutige Volksbloggen ein wenig voranzutreiben, stellen wir eine grundsätzliche Frage: Warum lest ihr eigentlich Krimis – und welche? Seid ihr zu blöd für richtige Literatur? Oder clever genug, nicht zwischen richtiger und falscher Literatur zu unterscheiden? Wollt ihr einfach nur Spaß, Entspannung, Nervenkitzel? Oder erzählt euch ein Krimi mehr über die gesellschaftliche Wirklichkeit? Welche Art von Krimi mögt ihr rein gar nicht? Wie müsste euer idealer Krimi aussehen? – Okay, das war jetzt mehr als EINE Frage. Ich will hier auch mehr als eine Antwort lesen…
Ich mag dprsche Raaaatekrimis.
* quengelt
Außerdem: Erste. Wenn Georg nicht da ist.
Ich bin selbst für Krimis zu blöd. Mit richtiger Literatur will ich da gar nicht erst anfangen.
@Frau Krimi: jajaja. Kommt ja bald. Arbeitstitel: „…und der Nervenarzt weiß auch nicht mehr, wies weitergeht“
@Albertsen: Hm. Für Krimis zu blöd? Ich prophezeie dir eine große Karriere als Kriminalautor.
bye
dpr
lieber dpr,
als 1972 die TB-Ausgabe der ‚Verbesserung von Mitteleuropa‘ publiziert wurde, fühlte sich die seinerzeitige Leitung der Münchner Autorenbuchhandlung genötigt, einen Aushang zu machen, in dem die Käufer/Leser darauf aufmerksam gemacht wurden, daß das Druckbild der S. XCVII f. keineswegs fehlerhaft sei, sondern den Vorschriften des Autors entspräche. Daran erinnerte ich mich, als ich jetzt die ersten 130 S. eines Kriminalromans las (ich glaub‘, er ist sogar auf einer Bestenliste), auf denen genau dieses Thema bis zum Gehtnichmehr diskutiert wird: Ist Literatur, die ihre Leser nicht erzählstringent ‚mitnimmt‘, noch Literatur oder doch bloß Zeichen für die Verrücktheit (oder Kriminalität) ihres Verfassers. Die Argumente scheinen mir so hirnrissig zu sein wie die auf sie bezogene (oder nicht bezogene) Kriminalhandlung — doch Sie werden kaum überrascht sein, daß ich dem Roman einiges an Vergnügen abgewinnen kann und ihn wohl zu Ende lesen werde.
„Who the hell creates a protagonist who writes a goddam ransom note to the reader, holding twenty-one and a half pages hostage?“ Das ist ein schöner Krimi-Satz, für mich wenigstens.
Nervenarzt hin oder her: Ich grüße bestens!
PS: und beim Blättern finde ich in der ‚Verbesserung‘ sogar eine Def. für den Krimi: „… ein gutes wort lässt einen man weiss nicht wie, begreifen; jede beschreibung ein kriminalroman“ (S. XIV: Sie sehen, weit bin ich noch nicht wieder gekommen).
Ich grüße Herrn Linder und fühle mich leicht überfordert. Ich gebe es nicht gerne zu, wenn mich Wissenschaften überfordern, aber bei diesen Krimiwissenschaften ist es so (ich richte gerade die Frage an mich selber: bin ich auch zu dumm für Krimis?). Diese Definitionen machen mich ganz wurlig, ich kann sie nicht fassen. Ich beschäftige mich ja selber wissenschaftlich mit Sprache, mit Sprache im therapeutischen Kontext allerdings, und ich bin es gewohnt, zu transkribieren, zu kategorisieren, zu interpretieren, zu operationalisieren, zu codieren, zu typisieren und zu definieren, auch einmal zu probieren und zu spionieren und hie und da zu dozieren und zu imponieren. Die Methode der Krimiwissenschaften habe ich einfach nicht verstanden, was ist das denn? Abstrahieren?
Liebe krimi.krimi,
das geschieht mir recht: ich wollte über Bande spielen, obwohl ich vom Billard so gut wie nix verstehe. Von Krimiwissenschaften sollte nicht die Rede sein, sondern nur von unterschiedlichen Lektüren, vom Vergnügen (oder was auch immer), das der eine da, der andere dort sucht oder findet. Mehr nicht (‚imponieren‘ vielleicht noch: aber s. o.).
Beste Grüße!
@JL: Michael Collins, Der Bestseller-Mord, nehm ich an. Ist doch ganz nett, oder? Bin etwa auch auf Seite 130.
@Frau Krimi: Das Blöde ist: eine Krimiwissenschaft gibt es gar nicht. Wir veranstalten hier Literaturwissenschaft, ein bisschen mit Jura und Rechtsgeschichte gemischt, mit Soziologie und Geschichte, etc. – Und darüber bastelt sich halt jeder seine Theorie und die ist so lange richtig, bis sie falsifiziert wird. Wenn du dich mit Sprache im therapeutischen Kontext beschäftigst, dann hast du ja gewissermaßen reagierende „Objekte“. Die haben wir in dem Sinne nicht, ein Krimi schreit nicht plötzlich: Ja, genau, so bin ich! Wir habens also wieder einmal schwerer als die Seelenklempner. Im nächsten Ratekrimi lasse ich vielleicht einen über die Klinge springen. Aus selbsttherapeutischen Gründen.
bye
dpr
Collins: ja. Die Literaturtheorien, die da diskutiert werden, finden (u. a.) sich bei David Lodge, in den Campus-Romanen der siebziger und achtziger Jahre (Changing Places? Small World?) und in seinen theoretischen Büchern. Ich hab’s nicht nachgesehen, weil mir dann auf einmal der Roman von Oswald Wiener durch den Kopf ging (wegen des Druckbildes): Höcksken, Stöcksken. Wie man halt so liest.
Beste Grüße!
Ist das jetzt eigentlich der typisch deutsch(sprachlich)e Zugang zu Krimi.
Worum soll ich denn zu blöd für Literatur sein, wenn mir Ellroy, Katie Estill oder Alan Guthrie gefallen ? Der Vorteil eines kleineren Gevierts ist doch, dass mit der kleineren zu überschauenden Fläche die Intensität der Betrachtung steigt (mit anderen Worten: mit der Konzentration auf ein Genre nimmt die Wahrnehmung genreimmanenten Gesichtspunkte zu).
Im Weiteren könnte man ja direkt auf das Interview bei Ludger verweisen (Variationsbandbreite und so).
Beste Grüße
bernd
* Wobei (Ludger Interview [und 19. Jahrhundert]), lieber JL, ich Sie bitten würde, das kraussche Ironiezeichen erkennbarer zu verwenden; ich meinte es bei starker Vergrößerung auf dem Bildschirm zu erahnen.
Neue amerikanische Studien, lieber Bernd, haben in den Gehirnen von Krimilesern eine Schwellung am linken Schläfenlappen festgestellt. Beim Lesen von Thrillern verfärbt sich diese Schwellung rot. Dieser „point of suspense“ ist zugleich für gewisse geistige Ausfälle (blackouts) verantwortlich. Das sollte uns zu denken geben.
Und, ja, JL sollte endlich die Einführung von Ironiezeichen überlegen. Ansonsten ihn dereinst sämtliche Autoren des 19. Jahrhunderts durchs Elysium jagen werden (Sie wissen schon, lieber JL: Eintritt durch eine Darmstädter Litfassäule in der Inselstraße).
bye
dpr
Lieber dpr,
wie soll ich denken, wenn mein Temporallappen, links lafontainsche Zustände annimmt.
* AS, Autor des 19. Jahrhunderts ?
Schönes Thema für eine veritable Doktorarbeit: Arno Schmidt -ein Autor des 19. oder des 20. Jahrhunderts? — Ich wage nicht zu entscheiden.
bye
dpr
*und keine Beleidigungen des zukünftigen saarländischen Ministerpräsidenten, bitte!
nein, lieber Bernd, Kraus war nie ironisch. Ironiker sind immer kleiner als Kraus, manche um den Faktor Unendlich. Und: ja, lieber Bernd, mein Taylor-Zitat war ironisch.
Und was das ‚zu blös sein‘ angeht: Sie meinen das ncht ernst. Also verbietet sich jede Diskussion.
Beste Grüße!
„blös“: muß „blöd“ heißen.
Kraussches Ironiezeichen, wieder was gelernt!
Lieber Herr Linder, das habe ich jetzt verstanden. Vielleicht ist mein Problem, dass ich wirklich gar nicht Billard spielen kann.
Lieber Herr dpr: Was haben Dir die armen Psychiater getan, dass sie jetzt über die Klinge springen müssen?
Übrigens habe ich heute meine medizinischen Datenbanken genau nach dieser Fragestellung abgegrast: Was leuchtet, wenn ich einen Krimi lese? Ich wollte damit imponieren. Leider habe ich nichts gefunden, dafür aber:
– Medical history for the masses: how American comic books celebrated heroes of medicine in the 1940s.
– Physicians as detectives in detective fiction of the 20th century.
– Neither stethoscope nor knife–but pen
– Medicine, adventure, pirates, and castaways
– What’s funny about doctors
– Sherlock Holmes and anesthesia
– ‚Frankenstein genes‘, or the Mad Magazine version of the human pseudogenome
Das findet man in Zeitschriften wie „Human Genomics“, dass wir uns richtig verstehen. Vielleicht habe ich die richtigen Suchwörter noch nicht erwischt.
Lieber JL,
das Zitat könnte mich dazu bringen, den Versuch zu unternehmen, die jungen wilden Autoren UKs zu befragen, ob sie das auch sehen (wie Taylor). Da hätte es mich einfach interessiert, nicht das, sondern warum sie leichte Zweifel an der Aussage Taylor haben.
Beste Grüße
bernd
Spontan wollte ich nur schreiben, daß ich lese was mir Spaß macht (ich weiß die Spaßgesellschaft und nichts Ernstes im Sinn ;-()), aber nach Lektüre der Kommentare wird mir klar, daß ich wohl auch zu blöd sein muß für Ernsteres und DESHALB Krimi lese. Dazu passt, daß mir der französische intellektuell-verquirlte Neopolar überhaupt nicht gefällt. Der typische amerikanische Thriller (wenig Inhalt, viel Action, man sieht schon die Verfilmung mit den immer gleichen Schauspielern vor sich) aber auch nicht. Ich lese gerne Krimi, der mir ein Bild, wenn auch nicht das idyllischste, einer Gesellschaft malt.
LG
barb
*arbeitet im Moment zu früh.
Ich mag keine Cozies oder Kriminalromane, in denen das Privatleben der Figuren exessiv ausgebreitet wird, insofern der Kriminalfall nicht mit dem Innenleben des Protagonisten korrespondiert. Ich schätze hardboiled and Noir-Romane. Warum? Kevin Burton Smith von „The Thrilling Detective Web Side“ hat das mal schön auf den Punkt gebracht:
„[T]he P.I. novel is arguably the most political of all the subgenres of crime fiction. Cozies and amateur sleuth mysteries tend to be closed (and relatively complacent) worlds, and too often spy fiction and thrillers reduce politics to the cartoon level. The police detective, meanwhile, particularly in procedurals, is shackled by the bonds of organization. But hard-boiled detective fiction, with its dysfunctional, loner dicks moving easily through all levels of society, following the clues where they may, seems perfectly suited to asking those rude and impertinent questions. And the P.I. genre is arguably where all that hard-boiled cynicism about politics got codified in the first place.“