Was ist Krimi? Zettel 158

„Die Masse ist der Spielball aller äußeren Reize, deren unaufhörlichen Wechsel sie widerspiegelt. Sie ist also die Sklavin der empfangenen Anregungen.“ In der Kriminalliteratur bündeln sich die Affekte des Einzelnen als Teil der Masse. Der Krimi erfüllt alle notwendigen Bedingungen einer kulturell institutionalisierten Massenhysterie, er liefert die groben Impulse, das Unerhörte des Verbrechens und die aus Angst vor dem Unbekannten entstehende Panik.

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dprs elektronische Bibliothek

So langsam drängen sich die ebooks im virtuellen Regal. Nach den →„Menschenfreunden“ ist nun auch → „Pixity“ zum Spottpreis von 7,99 € bei Amazon zu haben (und auch schon im Apple Itunes Bookstore und bald auch überall sonst). Und die „Menschenfreunde“ soll es ab morgen sogar drei Tage lang kostenlos geben (wenn Amazon nicht wieder zickt…). Und →die ersten 100 Folgen des Edwin-Drood-Projekts kosten gar nur 1,02 €… und die „Armen Leute“ und „der Bote“ folgen auch noch in bälde… Damit wollte ich euch nur ins Wochenende schicken, eigentlich hab ich gar keine Zeit. Und ihr pimpt jetzt mal schön eure Ebook-Bibliothek auf…

Bartlomiej Rychter: Die Bestie von Sanok

sanok.jpgSchauerroman? Gerne. Vorkarpaten? Warum nicht. Da lauert hinter jeder Wegbiegung mindestens ein Vampir oder sonst etwas Untot-Unheimliches. Die Wälder sind düster, die Straßen von Sanok, jenem polnisch-ukrainischem Provinzkaff unter österreichischer Herrschaft, ebenso. Man schreibt das Jahr 1896. Das Setting von Bartlomiej Rychters Roman ist wie geschaffen für jenes wohlige Gruseln, dessen sich die Kriminalliteratur gerne bedient, wenn sie uns verwirren möchte. Übernatürlich? Ja, anfangs. Aber irgendwann muss alles logisch in unsere nüchternen Köpfe, da hat es sich ausgegruselt, da wollen wir Fakten und Motive, da sind wir ganz aufgeklärt und technokratisch. Die Herausforderung für Autoren solcher Romane liegt also immer darin, die Kurve zu kriegen, vom dramatisch-verwuselt Emotionalen zum Rationalen zu gelangen. Wie gelingt es hier? Etwas gezwungen.

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1000

Ich liebe keine Bücher, ich liebe Literatur. Bücher sind Materialien, Werkzeuge und werden auch so behandelt. Geständnis: Ich schreibe mit Kuli in teure Bücher, Arno Schmidt ist mein Zeuge. Und gleich das nächste Geständnis: Ich kann mit „Kulturgütern“ nichts anfangen, sie gehen mir ebenso auf die Nerven wie all diese Kulturträger, die im Berufsleben natürlich Leistungsträger sind und ich bin nun einmal der Ansicht, dass zu viele Menschen damit beschäftigt sind, Leistungen zu bringen, anstatt ehrlich zu arbeiten. Drittes Geständnis: Ich halte Buchhändler für Menschen, die mit Bücher handeln, so wie eine Wurstverkäuferin Wurst verkauft. Das Gejammer dieser Branche geht mir gehörig auf den Keks, ich glaube ja, dass man dort nicht so verdient, wie man es verdient zu haben glaubt, aber wenn in dieser Wörterverkaufsbranche überhaupt jemand jammern darf, dann die Autorinnen und Autoren, die nicht einmal in die Verlegenheit kommen, sich darüber Gedanken zu machen, wie das denn sein könnte, dieses Von-seiner-Arbeit-leben-können.

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Frank Göhre: I and I

goehre.jpgManchmal ist es eine gute Idee, all die Zerstreutheiten zu sichten, die sich im Laufe einer Schriftstellerexistenz so ansammeln. Die kleinen Auftragsarbeiten, Rezensionen und Reiseberichte, die Vor- und Nachworte für die Werke von Kollegen. Nostalgischen Wert hat das ja durchaus, jedenfalls für den Autor. Nicht immer ist es eine gute Idee, eine Auswahl der gelungensten Petitessen zu veröffentlichen. Genau das hat Frank Göhre getan und man stellt fest: Es war eine verdammt gute Idee.

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Anne Goldmann und derdiedas Triangel

triangel.jpgGute Literatur ist geschlechtslos. Die Buchwirtschaft will uns etwas anderes weismachen und sie hat nachvollziehbare Gründe dafür. Frauenliteratur, Chick-Lit, auf der anderen Seite die Männerdomänen Hardboiled / Noir oder Spionageroman, wobei sich dorthin verirrt habende Autorinnen auch gerne als Ausnahme von der Regel herhalten dürfen. Zielgruppe rules. Frauen lesen mehr als Männer, sogar bei Krimis ist das so, und also liegt es nahe, ihnen das zu geben, was sie wollen: „geschickt intelligent-witzige Frauenliteratur“, wie ich gestern noch einmal einer Buchrückseite entnehmen durfte.

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Wenn der Werbegeier fliegt

Die Papierausgabe von 2004 ist längst vergriffen und nur noch altpapiermäßig zu Hochpreisen verfügbar. „Geier“ von Peter J. Kraus, für den „Glauser“ nominiert, irgendwie von der deutschen Qualitätskritik links liegen gelassen, ein steter Quell der Freude beim Wiederlesen. So schreibt man, wenn man schreiben kann und – theoretisch – gerade in der Mojave-Wüste sitzt und ein Pfeifchen raucht. Und jetzt, endlich, gibt es „Geier“ auch als → E-Book für den Kindle. Für, man fasst es nicht, 3,24 Euro. Da kann man sich das Lesegerät gleich dazu kaufen… Ende einer hemmungslosen Werbeaktion.

Was ist Krimi? Zettel 156

Zettel 156: Lesarten. Patricia Highsmiths „Talentierter Mr Ripley“ gibt penetrant das Lesemodell der latenten und dabei geleugneten Homosexualität vor. Tom tötet Dickie, weil er sich sexuell gleichermaßen provoziert und zurückgewiesen fühlt, ein Gefühl der Scham und der Aggression. Natürlich schwebt über allem die Vision des vollständigen Identitätswechsels, der völligen Vereinnahmung einer anderen Person – oder durch eine andere Person. Auf dieser Ebene trifft sich das Lesemodell des Romans mit dem des Krimis (und vielleicht der Literatur schlechthin?): Sich mit Ripley zu identifizieren, bedeutet seinen Eskapismus zum eigenen Ziel zu machen. Er füllt eine Stellvertreterfunktion aus, er bedient sich unmoralischer, illegaler Methoden. Das Konstrukt des „sympathischen Bösewichts“ wäre somit nicht weniger eskapistisch ausgelegt als das des „positiven Ermittlerhelden“.

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Sara Gran: Die Stadt der Toten

gran.jpgEinen, gelinde ausgedrückt, leichten Zweifel an der nüchternen Logik erkennt man schon, wenn man die neuere Kriminalliteratur Revue passieren lässt. Sandro Veronesi, Fred Vargas sowieso, Christine Lehmann, Stefan Kiesbye… Mythisches, Parapsychologisches, Schicksal und Zufall, die höheren Mächte im Widerstreit mit dem Intellekt. Dabei: Mit Weltflucht und einer Verfantasyierung des Genres hat das überhaupt nichts zu tun, eher im Gegenteil. Ganz profan gesprochen, scheint sich eine gewisse Deduktionsmüdigkeit breitzumachen, der branchenübliche Hang zur vollständigen Erklärung wird zum Fluch oder, ins Konstruktive umgesetzt, die Möglichkeiten des Nichteindeutigen öffnen Einfallstore in die Imagination der Leser. Dürfte wohl dem Herrn aus der Bakerstreet 221 B nicht gefallen, wie gut also, dass er Sara Grans „Die Stadt der Toten“ nicht mehr zur Kenntnis nehmen musste.

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Zur Zeit

Zur Zeit schreibe ich schneller ein Buch als ich eins lese. Die volle Wahrheit ist das. Und was lese ich? Bücher von FRAUEN! Patricia Highsmiths talentierten Mörder mit 3D-Bildern (Brille liegt bei), Anne Goldmanns „Triangel“ (drei Menschen zu einem schlichten Musikinstrument verbogen?), Ria Klugs „Schnicksenpogo“ (warum hätte ich beinahe POPO geschrieben?) und Sara Grans „Die Stadt der Toten“ (Sara Gran sieht aus, wie keine Krimiautorin aussieht, es sei denn eine, die nicht schreiben kann, aber sie kann schreiben). Warum Frauen? Weil sie besser schreiben als Männer? Anders? Oder Zufall, Schicksal? Das werfen wir jetzt alles in einen Topf und schöpfen einen Schluck Wahrheit daraus.

Wer die Macht hat

Krimis sind kein Fußball. Auf dem Platz zählen Tore, sie bestätigen oder widerlegen die Kritiker. Zwischen den Buchdeckeln findet ein Spiel statt, dessen Regeln und Sieger oder Verlierer erst durch die Kritiker bestimmt werden. Was das Ganze aber noch komplizierter macht: Während die mediale Inszenierung durch die Meinungshaber und –macher ein Buch in ein Koordinatensystem hinein argumentiert (wobei die Argumente mal mehr, mal weniger stichhaltig daherkommen), hält sich der Markt an Tatsachen, die so schlicht sind wie die beim Fußballspiel. Was sich gut verkauft, ist gut, was sich schlecht verkauft, ist eben schlecht.

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3 in 1 oder doch nicht?

„Der Bote von Dieter Paul Rudolph ist Science Fiction, ist Krimi, ist Märchen und doch wieder nicht. Der Bote ist spannend und sehr intelligent geschrieben und ein Mittler durch die Zeiten.“ Schreibt spannend und sehr intelligent Gisela Lehmer bei den →CrimeChronicles. Und obwohl „Der Bote“ drei Genrestückchen in einem sind, kostet das Ganze nur 11,90, dafür kriegt man anderswo gerade mal einen popeligen Krimi.

Unbedingt empfohlen!

bote_2_200.jpg„In knappen Sätzen gibt er Rätsel über Rätsel auf, die er verblüffend zu lösen versteht. Brillant und artifiziell enthüllt Rudolph Zug um Zug eine ungewöhnliche Science-Fiction-Szenerie, die aus jeglicher Krimilandschaft herausragt. Anspruchsvolles Lesevergnügen, unbedingt empfohlen.“ – Schreibt Renate Schattel als „Einkaufsempfehlung“ für den ekz-Bibliotheksservice über „Der Bote“. Unter uns: Das Ding könnt ihr auch einkaufen, wenn ihr zufällig keine Bibliothek seid.

Böse Menschen haben keine Bücher. Notiz zum Tod von Ray Bradbury

Die Botschaft von „Fahrenheit 451“ ist so richtig wie potentiell falsch. Eine literaturlos verblödende Gesellschaft endet als Diktatur, was aber nur die mitbekommen, die – auf eigene Gefahr – noch lesen. Das ist richtig. Der Umkehrschluss: Eine Gesellschaft, in der gelesen wird, ist eine bessere Gesellschaft. Das wäre falsch, selbst wenn man die sogenannten „guten Bücher“ liest. Am Ende von „Fahrenheit 451“ wandern die Bücher dorthin, wo sie hingehören: ins Gedächtnis der Leser. Bücher kann man verbrennen, Literatur nicht. Ray Bradbury, der letzte Großmeister der klassischen Science Fiction, starb, wie soeben gemeldet, im Alter von 91 Jahren. Tot ist er nicht, weil seine Bücher im Gedächtnis bleiben werden.