Eine gelesene Geschichte ist immer auch eine gesehene Geschichte. Unser Kopfkino verwandelt Wörter in Bilder, schnappt sich den Handlungsfaden und zieht ihn möglichst logisch-straff, um auf diesem Seil, dieser Sinn-Einheit, über den Abgrund zu tanzen, in den zu schauen man uns abgeraten hat. Vorsicht, Absturzgefahr, Vorsicht, disparate Teilchen unseres Daseins. Um dieses Kunststück bewerkstelligen zu können, hat man u.a. die erzählende Literatur erfunden. Aber Literatur wäre nicht Literatur, wenn sie den Erwartungen nicht gelegentlich davonliefe, indem sie sie erfüllt und gleichermaßen untergräbt. Einen solchen Text hat man bei „Die Freunde von Eddie Coyle“ vor sich.
Beginnen wir mit dem filmischen Teil, was deshalb auch nahe liegt, weil dieser 1971 veröffentlichte (und erst 1989 ins Deutsche übersetzte) Roman von George V. Higgins gleich nach seinem Erscheinen mit Robert Mitchum verfilmt wurde. Wir folgen dem Titelhelden, einem Kleinkriminellen, durch die letzten Tage und Stationen seines Lebens. Doyle besorgt Schusswaffen, er ist Zwischenhändler, ein kleines Rädchen im kriminellen Getriebe wie andere auch, mit denen er sich trifft. Momentan gehen die Geschäfte gut, denn der Gangster Scalisi und seine Gang haben Bedarf an heißer Schussware für clever inszenierte Banküberfälle. Die ganze Geschichte ist eine Abfolge von Kalkül und Verrat, jeder ist sich selbst der nächste, jeder will überleben, und am Ende wird Eddie Coyle eben tot sein. Ein reinrassiges Gangsterdrama wäre das – wenn Higgins nicht etwas anderes im Sinn gehabt hätte.
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