Lies doch mal das Bohlen-Buch und schreib was drüber, meint der Chefredakteur. Dir fallen dazu bestimmt noch ein paar nette Sachen aus Deiner Jugend ein. Oh ja. Oooooohhhhh ja!
Schließlich hab ich in jungen Jahren ja nix ausgelassen, wie man so schön sagt. Heisst: natürlich war ich damals Modern Talking-Fan. Und zwar – Hilfe! – bekennender Modern Talking-Fan, was dachtet Ihr denn? Ums kurz zu machen: das Schlimmste aus dieser der Phase war wohl ein fast abgeschicktes Glückwunschpäckchen. Und eine überhöhte Telefonrechnung, die ich der armen Freundin meiner Mutter hinterlassen habe. In deren Wohnung haben wir nämlich damals geurlaubt. Und was heute die 0190er-Nummern sind, das war früher das Bravo-Star-Telefon. Die Anzeige dafür war immer auf Seite 2 unten so in die Ecke geknubbelt abgedruckt. Als hätten sie sich damals schon dafür geschämt, mit so was nebenbei Geld zu machen. Heute finanzieren sich damit frech und offen ganze Fernsehsender…
Am einen Ende der Leitung also damals: ich. Süße dreizehn, fickerig in der Ecke neben dem Telefon zusammengekauert, den Hörer ans Ohr gepresst und mich berauschen lassend von den Stimmen vom Band. Und am anderen Ende: Thomas und Nora Anders. Die sich für die vielen Geschenke und guten Wünsche zur Hochzeit bedankten.
Thomas Anders klang mädchenhaft-sanft, wie man es erwarten musste, wenn man seine Lieder kannte. Und Nora hatte so´ne tiefe, ölige Knödelstimme. War ja auch der Mann in der Beziehung. Und hat mich damals, am Telefon, wohl kirrer gemacht als der Langhaarige, für den ich so schwärmte. Muss man hier mal offen sagen. Aber ist das überhaupt eine Überraschung? Waren Thomas und Nora Anders nicht sowieso eine offen lesbische Beziehung? Nein, natürlich nicht. Aber warum hab ich eigentlich nie die Frauen meiner angebeteten Stars gehasst? Weder bei Thomas Anders noch bei Nino de Angelo? Sollte mir das nicht zu denken geben? Au backe.
Egal. Ich war ein unschuldiger, zart glimmender Teenager. Und ich hatte vorher noch nie beim Bravo-Star-Telefon angerufen. Wahrscheinlich aus Angst, dass vielleicht doch jemand leibhaftig am Telefon sitzt und ich was sagen muss. Das wäre zuviel für mich gewesen. Von meiner Traute, tatsächlich angerufen zu haben, war ich damals wohl so benommen, dass ich den Hörer noch zitternd in der Hand hielt, als das Band längst abgespult war. Deshalb kam ich zwangsläufig dahinter: wenn man ein bisschen wartete, ging alles von vorne los.
Während meine Eltern also in irgend´ner Berliner Oper saßen oder ein neues, skurriles Zimmertheater entdeckt hatten, in das sie mich und meinen Bruder natürlich nicht mitnahmen, ließ ich zur Strafe mein rechtes Ohr glühen. Zur Endlosschleife von Thomas&Nora unplugged. Teenager können so pervers sein. Aus meinem Mund hat man übrigens noch nie ein überhebliches Wort über hysterische Boygroup-Fans oder Oli P.-Anhänger gehört. Ich kenne meine eigenen Sünden sehr genau.
Dass ich mit den „guten Wünschen“ und „Geschenken“ in der Grußbotschaft nicht gemeint war, lag nur daran, dass mir das Geld für´s Porto dann doch zu schade war. Beziehungsweise: dass ich´s nicht hatte. Es war schon riskant genug, mittwochabends das Geld für die Bravo aus dem Portemonnaie meines Vaters zu fingern. Flog natürlich irgendwann auf, mein Vater war ein ziemlicher Pfennigfuchser.
Aber das Päckchen war praktisch schon gepackt. Was packt man eigentlich, wenn man als mittelloser Teenie seinem Star was zur Hochzeit schenken will? Ja, das, was man als Dreizehnjährige so an Kostbarkeiten im Zimmer stehen hat. Als Dreizehnjährige, Mitte der Achtziger… Äh, das war eine rosa Stoffmaus vom letzten Weihnachtsbasar der Mannheimer Waldorfschule. Und – Achtung! – eine Kerze in Form eines Baisers. Mit Glitter drauf. Preziosen, die sich Thomas Anders sicher gleich in die beleuchtete Vitrine seines Schleiflack-Wohnzimmers gestellt hätte. Aua.
Also, wenn ich mir so richtig darüber klar werde, dass Dinge, die ich als Teenie mit heiligem Ernst betrieben habe, heute eine schräge Erinnerungskolumne füllen, könnte ich heulen. Vielleicht mach ich’s.
Aber später. Erst mal muss ich ja noch die Bohlen-Bio besprechen. Sonst gibt´s Mecker vom Chefredakteur.
Und wieder bin ich grundehrlich: das Buch ist einfach geil! Und warum ist es geil? Weil es eben nicht von Dieter Bohlen geschrieben wurde, sondern von Katja Kessler! Die hat die Bohlen-Spreche wahrscheinlich besser drauf, als er selbst. Tolldreist, saftstrotzend, temporeich. Und aus bewundernswert kurzen Sätzen bestehend. Also, da kann man nur neidisch werden. Kempowski? Lindenberg? (Wie die FAZ schrieb.) Ach was, das ist der Grass von „Katz und Maus“. Ha!
Und inhaltlich? Tja, was will man denn noch mehr: doppelter Penisbruch, saufende Frauen, Künstleranekdoten oh-so-voller-Tragik… Das ist der Grass der „Blechtrommel“, hätt ich beinah gesagt. Nein, im Ernst. Wer sich das Buch kauft, will viel Namedropping und einen kräftigen Kulissenblick, und den kriegt er auch. Wie der rasende Drafi Deutscher Telefone aus der Wand reisst. Wie Nino de Angelo mit dem „Flieger“ abhebt. Wie Matthias Reim Bohlen´s Fisur klaut. Und Naddel die Verhandlungen um den Villen-Preis torpediert. Ich glaub, da hab ich am lautesten gelacht.
Es macht´s nicht besser, aber ich denke, Bohlen steht einfach nur in einer Linie mit anderen prominenten Kulissenreißern der letzten Jahre. Wie Dietrich Schwanitz, der das ganze im „Campus“ in Fiktion gekleidet hat. Oder Oskar Lafontaine, der sich seine Schmollrotze am virtuellen Revers von Gerhard Schröder abgewischt hat. Also, dass jemand mit der gleichen Masche mehr Geld macht als Oskar Lafontaine (was ich doch sehr hoffe!), kann so schlecht nicht sein. Oder?
Was ich aber gar nicht nachvollziehen kann, ist dieser durchgängige Feuilleton-Tadel. Von wegen: er kann ja seine Kollegen dissen, aber dass er seine Frauen so durch den Dreck zieht – tss tss! Also, diese Frauen waren vorher schon Freiwild. Auch der seriösen Medien. Ganz Deutschland hat sich kaputtgelacht, als Naddel in den Big Brother-Container ging. Oder als sich la Feldbusch durch ihre Moderationen stammelte. Und ich persönlich hab am heftigsten den Kopf geschüttelt, als Naddel nach der Feldbusch-Kurzehe zu Bohlen zurückging. Tiefer kann man nicht sinken, auch nicht durch Alkoholismus oder Phlegmatismus, wie er ihr jetzt nachgesagt wird. Nachgeschrieben. Und bitte, wer hat die Damen gezwungen, jahrelang ihr Intimleben in Interviews fast sämtlicher Medien auszubreiten? Also, die einzige, von der ich nie eins gelesen hab, war Bohlens erste Frau Erika („Schwere und Ernsthaftigkeit. Nudeln mit Gulasch.“). Die hätte vielleicht was Besseres verdient. Aber das hab ich noch in keiner Besprechung gelesen.
Nein, Bohlen hat (mit Kesslers Hilfe) ein wunderbar spritziges, voraussehbares Buch geschrieben. Nur mit den Jahreszahlen vertut er sich manchmal, deshalb stimmt auch der Buchtitel („Nichts als die Wahrheit“) nicht. Aber der ist ja eh nur als Provokation gemeint (siehe Schwanitz´ „Bildung. Alles was man braucht“. Partners in crime.) Die Achtziger sind kaum angebrochen, da erlebt er sieben Jahre später eine posthume Ehrung von Roy Black – der erst 1991 gestorben ist. Im Frühjahr 1984 geht die Modern Talking-Rakete los? Ein glattes Jahr zu früh. Ein Foto von Thomas Anders und Nora aus der klassischen Phase, auf 1983 datiert? Mag sein, aber ikonographisch gehört auch das ins Jahr 1985. Und wie schnell das ging, mit seinem Vater: vom armen Arbeiter zum erfolgreichen Unternehmer. Über Nacht quasi. Oder sollte man sagen: im nächsten Absatz schon? Und noch was: die Frau von Barney Geröllheimer heisst nicht Selma, sondern Betty. Bisschen besser Korrektur lesen, Frau Kessler. Ob da noch mehr solcher „Wahrheiten“ verborgen sind?…
Anyway. Ich freu mich schon auf Teil 2. Im Nachwort steht ja ´was von weiteren Assen im Ärmel. Und bis dahin empfehle ich jedem, der so was gern liest, die Autobiographie von Dieter Thomas Heck: „Der Ton macht die Musik“. Da stehen noch mehr schöne Sachen über Drafi Deutscher und Nino de Angelo drin. Und über Nena, Truck Branss und Tony Holiday. Genauso larmoyant und besserwisserisch wie bei Bohlen. Nur ein bisschen plüschiger.
Natürlich war ich wählen. Herrjeh, ich bin politisiert, seit ich denken kann. Ich hab schon mit vier gefragt, warum der „SPIEGEL“ „SPIEGEL“ heisst. Worauf meine Mutter weise antwortete, „Weil man da drin sehen kann, was gerade passiert.“ Kanzlerkandidaten auf Skat-Karten? Für mich nichts Besonderes. Ich war Spiegel-Titelseiten gewöhnt. Von Anfang an.
Mein erster Eindruck ist: Auweia. Schon als ich das Titelbild sehe… Was ist das? Ein Wimmelbild von Ali Mitgutsch? „Bei uns im Einrichtungshaus“? Herrjeh. Ging´s nicht ein bisschen übersichtlicher? So will doch keiner leben: ein bisschen Grün, ein bisschen Blau, und noch ein paar Tupfer Pink.
Und das zieht sich weiter durch: Kraut und Rüben allenthalben. Wo sind die Wohnlandschaften mit Atmosphäre? Farb-Oasen mit viel Weite und vorsichtig dosierten Details? Wer will schon zwei Meter Flaschenregal auf dem Küchenschrank haben? Oder Tassen ins Wohnzimmer hängen?
Vielleicht ist es nur eine ganz normale Häutung. Vielleicht stimmt es aber auch, was mein Ausweis sagt: ich werde 30.
Indizien gibt es genug. Ich fange zum Beispiel an, merkwürdige Musik zu mögen. Normalerweise, sagt man, fangen Menschen ab 30 an, Country zu hören. In dem Punkt bin ich bekanntlich frühvergreist. Nein, ich fange gerade an, Sinatra zu mögen. Hat man Töne? Ich dachte, Sinatras Ruhm würde mir bis zum Ende des Lebens ein Rätsel bleiben. Stimmlich fand ich ihn ungefähr so potent wie Bob Dylan oder Tom Waits. Mit anderen Worten: ich fand, er kann nicht singen. Und jetzt?
Mensch, war das ein Schreck neulich nachts. Ich wache vor dem Fernseher auf – auf der Mattscheibe Elke Heidenreich, die den Plot eines Romans erzählt. Nanu, denk ich. Eine Sparmaßnahme, weil kein Geld mehr da ist, Filme zu drehen? Nein, nur der Literaturtip in der 3sat Kulturzeit. Uff.
Im schwedischen Design-Museum sieht es wild aus. Jedes Exponat wird von einem eigenen Strahler angstrahlt, der als Stehlampe daneben steht. Exponat-Titel und Name des Künstlers hängen wie auf Ikea-Preisschildern an der Lampe. Die Strahler verdoppeln gewissermaßen die Zahl der Exponate und lassen die Ausstellungsfläche leicht überladen wirken. Außerdem stellen die Schweden selbst Handys und Werkzeuggriffe als Kunst aus. Und sie verschenken am Eingang kleine Aufkleber statt Eintrittskarten. Das führt dazu, dass die Verkehrsschilder rund ums Museum nicht mehr zu erkennen sind, weil alle Welt ihren Aufkleber drauf klebt. Auf dem Rückweg zur S-Bahn-Station Eberswalder Straße komm ich an einem Buchladen vorbei, in dem stapelweise modernes Antiquariat verramscht wird. Der höchste Stapel ist der mit Günther Amendts Sex-Buch. Ich hab jetzt auch eins. Für eine ganze Mark.
Das SO36 in Kreuzberg steht auf meiner Liste mit dem Pflichtprogramm. Vor 20 Jahren löste der Schuppen gerade im Saarland große Wanderungsbewegungen unter jungen Menschen aus. Immer wieder hör ich bei meinen Interviews mit ausgewanderten Saar-Künstlern: „und dann das Live-Programm im SO36…!“ Als bedürfe es keiner weiteren Erklärung. Legendär eben. Der Name Programm. Ein Mythos. Jaja, das SO36…, wiegt der Chefredakteur wissend das Haupt. Und jetzt reicht´s mir. Ich will wissen, was es damit auf sich hat, mit diesem SO36. Dem früheren Punk-Club. Einmal selbst dringewesen sein. Mitreden können. Wenn auch spät.
Ohne MTV und VIVA im Hotel-TV sitze ich in der Hauptstadt, für vier Wochen der musikalischen Aktualität entrissen. Da gab´s doch einen Song, den ich noch im Hinterkopf hatte: die Gorillaz, „Clint Eastwood“. Einen Discman hab ich ja dabei. Und neben dem Hotel ist ein Saturn-Mediamarkt. Vielleicht…? Lief immerhin schon als Video auf MTV, kann mich erinnern. Vielleicht erklimmt´s so langsam die Charts? Vielleicht find ich´s ja? Ich schwing die Hufe und enter den Saturn. Such bei G wie Gorillaz: nix. Such bei T wie The Gorillaz: nix. Naja, vielleicht in den Top Forty, mit ein bißchen Glück… Ich roll die Charts von hinten auf: nix, nix, nix – och! Platz 1! So kann´s geh´n. Überhaupt ist der Saturn die bessere Adresse. Jedenfalls im Vergleicht zum Kaufhof, aber das bin ich ja aus Saarbrücken gewohnt. Damals hab ich den Soundtrack zu „Blue Note – The Story of modern Jazz“ gesucht. Gibt´s nicht in Deutschland, hieß es im Kaufhof. Ist nur in Amerika veröffentlicht. Und Importieren ginge auch nicht. – Amerika? Importieren? Aber… Aber… Aber der hatte auf der Berlinale Premiere!
Übrigens: Ich hab eine neue Brieffreundschaft. Mit der Telekom. Eigentlich will ich nur einen Handyvertrag abschließen, und das geht in meinem Fall nur postalisch. Jetzt faxen wir uns munter Formulare hin und her, die Telekom und ich. Uns fehlt leider noch eine Unterschrift, Frl. Katja. Und noch eine. Und noch eine… Auf dem Blatt ist kaum noch Platz, ich blick schon lange nicht mehr durch. Aber eines Tages wird er kommen, der Tag der Lieferung. Hallo Frl. Katja! Hier sind ihr Handy und die drei Waschmaschinen…
Mein Zimmer liegt im zehnten Stock. „Möchten Sie gern hoch wohnen oder lieber tiefer?“ hatte die Frau an der Rezeption beim Einchecken gefragt. Das Hotel ist 123 m hoch, es hat über 30 Stockwerke. „Tiefer.“ Ich hab ja große Angst vor Hotelbränden und denke, die Sprungtücher eher zu treffen, wenn der Abstand nicht zu groß ist. „Ach“, sagt Gabi, die mich begleitet, „wenn´s brennt, nimmst Du einfach den Aufzug.“
Im Fernsehen blamieren sich gerade Deutschlands döfste Promis. Helmut Karasek weiß nicht, seit wann der aktuelle Papst in Betrieb ist. Und alle zusammen wissen nicht, dass Linux ein Betriebssystem ist. Günter Jauch betont „Vulkanier“ auf der letzten Silbe, i-e-r zusammengenommen. Wie Scharnier. Spock wird´s vernommen haben, irgendwo im Weltall. Marcel Reif macht als einziger etwas richtig. Er legt die Stirn in Dackelfalten und sieht aus wie George Clooney. Dirk Bach weiß, dass man Essensreste im „Doggy Bag“ mitnimmt. Keine Überraschung. Im Ersten setzt Sabine Christiansen ihre Ich-guck-jetzt-Eure-Schularbeiten-nach-Brille auf und stellt die Gäste vor. Walter Leisler Kiep wirkt verheult. Er bedankt sich für die Einladung und grüßt erstmal seine ganze Familie. Egon Bahr guckt professionell desinteressiert. In Wahrheit sammelt er Material für seinen neuen Roman. Backstage. Die Show ist nur das notwendige Übel. Dann schlaf ich ein.
Ich stöber so durch die Stadt. Mal wieder in den Zille-Hof. Fasanenstraße, kurz hinterm Kempinski. Meine Mutter schimpft am Telefon: aufgeräumte Flohmärkte seien einfach das Letzte. Und im Zille-Hof sei alles so akkurat in Regale geräumt. Ich dagegen würde mich über mehr Ordnung im Zille-Hof sehr freuen. Wenn zum Beispiel in der Vinyl-Abteilung die Disco-Platten nicht munter verstreut zwischen Volksmusik und Weihnachtsliedern stünden. Ich werde trotzdem fündig. Bei den Singles. „Lied der Schlümpfe“, „Was wird sein, fragt der Schlumpf“, „Polonäse Blankenese“, „Ja wenn wir alle Englein wären“, „Silverbird“ – und Walter Scheels „Hoch auf dem gelben Wagen“! Coverphoto: Charles Wilp. Lokalkolorit: Schloß Gymnich bei Köln. Heute im Besitz der Kelly Family. Über die Leidensgeschichte dieses Schlosses ließe sich ein langes, dramatisches Fernsehfeature drehen… Die Preise im Zille-Hof sind noch dieselben wie vor 15 Jahren. LPs zwei Mark, Singles eine Mark.
Am Prenzlauer Berg gibt es sogar einen riesigen Biergarten namens „Prater“. Fast ein Drittel seiner Fläche sind Fahrradständern vorbehalten – und noch immer bleiben massig Bänke übrig, unter riesigen Laubbäumen mitten zwischen noch riesigeren Häusen, mitten in Berlin… Hinter manchem Haus drängeln sich noch drei weitere, was dazu führt, dass die mittleren nicht mal im Sommer richtig Licht kriegen. Ich werde auf einen Hinterhof geführt, in dem sich DDRler einen richtigen kleinen Park angelegt haben, mit Spielplatz, Spazierwegen und improvisiertem Skulpturengarten. Als der protzige Fassadenschmuck irgendeines Prunkgebäudes entsorgt werden sollte, haben die Bewohner dieser Häuser einfach zugegriffen und die Brocken auf ihren Hof geschleppt. Hier liegen sie nun rum, sind Gebrauchskunst, wie der Kletterbaum für uns Kinder im Garten meiner Eltern. Recycling auch ein paar Straßen weiter: die Kulturbrauerei war mal das, was ihr Name schon verrät, eben nur für Bier. Jetzt ist sie eine Art Holiday Park für Freunde alternativer Kultur, vom Programmkino bis zum Theater. Mich erinnert das ganze Gelände an die Industriekultur meiner saarländischen Wahlheimat, und nun sind es schon drei Dinge, die mir in Berlin Heimat bedeuten: „The House of Villeroy&Boch“ am Ku´damm, die Stimme von Karl-Heinz Kaul in den ARD-Trailern und die Prenzlauer Hütte, äh, Kulturbrauerei. Eine Saarbrücker Straße gibt es in Berlin auch. Die sieht ungefähr so aus, wie der übrige „urige“ Prenzlauerberg. Einzig ein saniertes Haus macht auf Extrawurst: das Haus, das Alfred Biolek gekauft hat. Und der Marmor im S-Bahnhof neben der Thüringischen Landesvertretung stammt aus Hitlers Reichskanzlei, ja-ha. All diese Dinge lerne ich von einem Mann, den ich vorher nur von Zeit zu Zeit in Briefmarkengröße aus meiner Zeitung blicken sah: Bernard Bernarding, der Berlin-Korrespondent der Saarbrücker Zeitung.
Um die Ecke liegt der Kollwitzplatz, der Inbegriff Prenzlbergscher Ausgeh-Idylle. In dem stilvollen Altbau gegenüber des Spielplatzes wohnt Wolfgang Thierse, der Aufhebens und Sicherheitsmaßnahmen gleichermaßen scheut. Einziger Tribut an seine Prominenz: das Tor zu einem jüdischen Friedhof hinter seinem Haus bleibt nun durch eine Kette verriegelt. Hier endet meine Privatführung durch den Prenzlauerberg, veranstaltet durch einen saarländischen Autor, der schon ganze vier Wochen länger in Berlin ist als ich. Er wird auch noch etliche Monate länger bleiben, denn er hat ein Stipendium für ein komplettes Berlin-Jahr. Frl. Katja hat sich immerhin vier Wochen erschrieben, kein schlechter Schnitt. Jetzt wäre wieder mal ein Heiratsantrag eines Lesers fällig…
Ich mach mir ein bißchen Sorgen. Gerade hab ich mir eine Jeans gekauft. Eine von diesen dunkelblauen mit den riesigen Umschlägen am Hosenbein. War letztens für die Zeitung auf einem Elektronik-Event, da waren viele Kunststudenten und haben durch ihren Anblick wohl meinen modischen Wagemut geweckt. Aber jetzt hab ich mir zu dieser Hose auch noch Turnschuhe gekauft, und zwar so richtig große, klobige Skaterschuhe. Was soll das werden? Ein laufendes Kindchenschema? Ich fühl mich eigentlich ganz wohl drin, aber die Proportionen gehen irgendwie wieder in Richtung Kindergartenalter. Wenn ich mir noch einen Brotbeutel um den Hals hänge, holt mich sicherlich morgens jemand ab. Eigentlich warte ich drauf, dass mich im Job mal jemand drauf anspricht. Vielleicht eine genervte Chefin, die mich fragt, ob ich ihr so von vornherein jeden Wind aus den Segeln nehmen will, falls sie mal auf die Idee käme, mich zu kritisieren. Ich weiß auch nicht, was ich machen soll. Aber etwas gedrungenere Turnschuhe sehen zu der Hose einfach Scheiße aus.
Der Sommer kommt auf valiumgetränkten Füßen. Vielleicht ist er auch nur noch nicht richtig wach, wer weiß. Vielleicht ist es auch nur, dass ich den Sommer meines Lebens kommen spüre. Dies wird ein melancholisches Nähkästchen… Woran ich das merke, das mit dem Sommer? Daran, dass die Frauen mit kleinen Kindern langsam jünger sind als ich? Nö. Daran, dass ich mir gerade „The Girl from Ipanema“ gekauft hab? Ja. Du liebe Güte, wenn man auf sowas steht, ist man alt. Es braucht schon eine milde Depression, um sowas gut zu finden. So wie Stan Getz damals, als er sich dachte: Ich schreib mal einen Latin-Song, der alle Klischees von wegen „feurig“, „temperamentvoll“ und so… Lügen straft. Statt dessen heb ich die Apathie aufs Schild. Und eine Sängerin, die kaum den Mund aufkriegt und gleich vorm Mikro einschläft. Kommt trotzdem gut. Und ist dennoch gewagt, sowas auf einen Sampler namens „Jazz Samba“ zu packen. Aber da ist noch mehr von der Sorte drauf: „Tristeza“, „Cried, Cried“, „If you went away“… Na, dieser Sommer kann ja heiter werden.
Blöde ARD. Normalerweise hack ich ja auf dem ZDF rum, das war schon mein großes Thema im letzten Jahrtausend. Bleibt es vermutlich auch in diesem, etwa in bezug auf Herrn Herles. Der ist seit ein paar Monaten der neue Aspekte-Mensch, vielleicht sogar neuer Kultur-Chef beim ZDF. Das funktioniert ungefähr so wie im Bundeskabinett: Wer gestern Bau-Minister war, wird morgen vielleicht Gesundheits-Minister, who cares. Muss sich halt nur ein bißchen einlesen und auf seine Mitarbeiter vertrauen.
Vor einigen Jahren machte ich Ferien in der Normandie. Ich war nie zuvor da gewesen, aber die kleinen Fachwerkhäuser und der mittelalterliche Charme der Straßen kamen mir erstaunlich bekannt vor. Ein Déjà Vu-Erlebnis, aber woher? Allmählich kam mir ein Jubiläums-Band der Peanuts in den Sinn, ein Making of-Buch, in dem Charles M. Schulz von seiner Stationierung in Frankreich erzählte, Mitte der 40er-Jahre mit der amerikanischen Armee. Über 30 Jahre später kehrte er nochmal zurück und fertigte eine Reihe von Skizzen, die er zum Abdruck freigab. Eben diese Zeichnungen hatten sich in meinem Unterbewußtsein festgefräst und nährten mein Normandie-Bild, noch bevor ich die Gegend überhaupt kennenlernte.
Heute mach ich mir mal ein paar Gedanken zu Max Schautzer. Und zu seiner Redaktion. Nachtgedanken sozusagen, zwangsläufig. Es ist schon ein Phänomen. Da macht ausgerechnet ein Mann im Unterhaltungs-Genre Karriere, dessen „Zimmer frei“-Sendung nie regulär gesendet wurde, weil sie einfach totlangweilig war. Erst vor ein paar Monaten wurde sie im Rahmen der langen „Zimmer frei“-Nacht des WDR verbraten, zusammen mit einigen anderen ungesendet im Archiv vor sich hinschimmelnden Folgen. Mit Gästen wie Waldemar Hartmann, Heinz Schenk und Christoph Schlingensief. Und Dirk Bach, der erfolgreich vorführte, warum er im Comedy-Metier genausowenig verloren hat wie Max Schautzer, und was sich unter dem albernen Lukas-Kostüm tatsächlich befindet: ein arroganter, misanthroper Giftzwerg.
Ich dachte ja immer, meine Kolumne hätte in erster Linie was Selbst-Therapeutisches, also, damit ich nicht irre an mir selbst werde. In Zukunft wird es sich wahrscheinlich mehr und mehr um einen Backstage-Report handeln. Das Interessanteste ist ja, was hinter den Kulissen passiert. Was das Publikum gar nicht mitkriegt. Immer öfter wünsch ich mir, ich selbst würde es auch nicht mitkriegen.
Aber von vorn: Um mal kennenzulernen, wie sich das anfühlt, für einen Artikel Geld zu kriegen, hab ich bei der hiesigen Tageszeitung angeheuert, deren Namen ich jetzt nicht nenne. In der Feuilleton-Redaktion. Hab schließlich Literatur- und Musikwissenschaft studiert, da geht man nicht zum Sport. Oder zur Seite „Stadtverband – Vereine aktuell“. Kein Witz, die gibt´s. Nein, man geht zur Kultur und freut sich, freche Pamphlete über den Sloterdijk-Habermas-Streit schreiben zu dürfen und böse Leserbriefe vom Konzertveranstalter zu provozieren, wenn man den Gig einer Pink-Floyd-Cover-Band verreißt. Pink-Floyd-Cover-Band… Aus der Reihe: Dinge, die die Welt nicht braucht. Das Original ist ja schon unerträglich genug. Aber dann noch so´n Phantom auf der Bühne. Hilfe!
Nein, dann doch lieber zu Rockbitch. Diese nackten Mädels, die sich on stage Gegenstände in die Vagina stecken. Ich glaub, auch Tiere. Und sich gegenseitig in den Mund pissen. Naja, das haben sie hier, in dieser Stadt, aus der ich jetzt schreibe, nicht gemacht. Polizeiliche Auflagen… Das sind mir schöne Schlampen, die sich von sowas beeindrucken lassen. Aber irgendwie müssen die wohl auch ihr Geld verdienen. Kommt nunmal nicht viel in die Kasse, wenn ständig Auftritte verboten werden, weil man so toll skandalös ist. Aber glaubt mir, die bereits erwähnten Rockbitch-Sperenzchen hätten immer noch zehnmal mehr Substanz gehabt als die Pink-Floyd-Cover-Band. Ich werd schon wieder ganz müde, wenn ich nur dran denk. Ach übrigens, das berühmte goldene Kondom haben Rockbitch leider auch nicht in die Menge geworfen. Das hätte den Empfänger zu einem Backstage-Erlebnis ganz besonderer Art berechtigt…
Naja, also, Rockbitch halt. Ich selbst kannte die ja gar nicht. Bis ein Kommilitone in der SR-Kantine erzählte, dass er da hingeht. Und dass das mehr was für Männer sei, weil (s. o.). Freigegeben erst ab 18 und so. Bei dem Punkt wußte dann selbst mein Bruder sofort wieder, wer Rockbitch sind. (Hatte mit ihm telefoniert und gefragt, ob er die kennt.) Das Ende vom Lied war dann, dass besagter Kommilitone gar nicht auf dem Konzert war, weil er dachte, geht eh keiner mit, den er kennt. Weil er die Mitteilung der zum Rockbitch-Konzert beorderten Zeitungs-Kritikerin, die mit ihm studiert hat, nicht mehr rechtzeitig auf seinem Anrufbeantworter abhörte. Die Kritikerin hat sich dann aus Gründen der eigenen Sicherheit ihren Freund mitgenommen. War aber alles halb so wild.
Schön war allerdings, dass die gleiche Kritikerin nachmittags noch einen Termin beim Orchesterwettbewerb Saar hatte. Sicher einer der seltsamsten Tage ihres Lebens. Nachmittags zwei Zitherensembles, abends Rockbitch! Davon erzählt sie noch ihren Enkeln.
Vielleicht erzähl ich ihnen auch von heute. Wenn ich mich wieder beruhigt habe. Denn dieselbe Tageszeitung, die so gute Konzertkritiker hat, macht diesen manchmal das Leben auch ganz schön schwer. Gegen Geld allerdings, das wollen wir hier nicht vergessen.
Eine Woche lange durfte ich mich also freuen, morgen zum Auftritt von Jürgen von der Lippe zu gehen. Klasse, der war vor zwanzig Jahren zwar noch besser, aber ich seh ihn sehr gern im Fernsehen, und warum eigentlich nicht. Außerdem ist das in der Kongreßhalle, dacht ich mir, also bestuhlt, mit Rauchverbot und pünktlichem Beginn. Nicht wie die Rockkonzerte in der sogenannten „Garage“, wo ich mir die Beine in den schmerzenden Rücken stehe, trotz Ohrenschutz morgens nen dicken Kopf hab, nach Qualm stinke, immer schauen muß, dass ich gut seh, und die Hauptband selten vor halb zehn anfängt zu spielen. Man weißes aber nie so genau, muß also schon halbwegs pünktlich kommen. Da lob ich mir Heinz Rudolf Kunze, der hat Schlag Viertel nach acht angefangen zu spielen. Der ist ja auch kein Punk, sondern ein Deutschrocker. Die können die Uhr lesen. Sogar mit Zeigern.
Soweit also die Welt noch in Ordnung. Morgen abend, Jürgen von der Lippe, Kongreßhalle, dum di dum. Außerdem wollte mein Freund mitkommen, was ja auch eher selten der Fall ist. Weil, solche Schmankerl krieg ich nicht oft. Zumal bestuhlt und mit Rauchverbot. Da hätt ich ihm mal richtig was bieten können, dacht ich. Wo schon das Büffet nach der Waechter-Lesung am Samstag nicht so toll war. Schlechter Catering-Service. Als Abschluß eines Symposiums zum Thema „Agressionsmanagement bei Kindern und Jugendlichen“. Und glaubt mir, ich hab die Teilnehmer der Vorträge gesehen, seitdem weiß ich: Psychologen können nicht nur keine Schleifen, sondern sie ertragen auch keine klackernden Absätze. Nie hab ich soviele von diesen Schuhen zum Reinschlüpfen mit den superhohen und superdicken, schwarzen Gummisohlen gesehen. Mit diesem leichten Schwung in der Mitte der Sohle. Sehen ein bißchen klobig aus. Buffalos für Erwachsene. Oder? Sind jedenfalls zur Zeit schwer angesagt, Bettina Böttinger trägt die auch. Bei der sehen sie aus wie Turnschuhe. Ich hab bei dem Symposium aber auch welche gesehen, da war die Sohle geschnitten wie ein Cowboy-Stiefel. Vorne spitz zulaufend und sich nach oben reckend. Mann, sah das Scheiße aus. Und es war bestimmt kein Zufall, dass soviele dieser Psychologen die Dinger trugen. Damit können sie sich besser an die Patienten ranschleichen. Oder während der Analyse rausschleichen und eine Rauchen gehn, wenn die Kindheitserinnerungen der Patienten zu langweilig sind. Die sehn das ja nicht. Die liegen auf der Couch, starren an die Decke und denken, hinter der Rückenlehne des riesigen Sessels, da wird schon jemand sitzen. Im besten Fall sogar der Therapeut… Oder die Psychologen haben eine kollektive Absatz-Klacker-Phobie. Das ist der Horror, die eigenen Schritte zu hören. Und mit diesen weichen Megasohlen geht man wie auf Samtpfoten. Ich weiß, wie das ist. Hab neulich auchmal so Dinger im Geschäft anprobiert. Aber normale Menschen halten das nicht lange aus.
Am Rande des Symposiums hab ich übrigens, es klang schon an, Friedrich Karl Waechter interviewt. Den von Titanic, Pardon, Welt im Spiegel und Twen. Diesen Cartoonisten. Mit diesen langen, wallenden blonden Locken. Sieht ein bißchen aus wie Langhans, isses aber gottseidank nicht. Hat den Anti-Struwwelpeter gemacht. Aber noch viel wichtiger: ein Werk, das spätere Zeitungskritiker schwer beeinflußt hat. Nämlich „Wir können noch viel zusammen machen“. Wo ein Schwein fliegen lernt, ein Fisch laufen und ein Vogel schwimmen. Inge, Harald und Philip. Hatte ich schon, da war ich noch nichtmal im Kindergarten. Ist mein liebstes Kinderbuch, les ich heut noch gern. Sieht auch entsprechend aus. Wie schlimm, das hab ich festgestellt, als ichs FK Waechter gezeigt hab. Der hat es erst gar nicht wiedererkannt, sondern sorgenvoll in der Hand hin und her gewogen, ein bißchen geblättert, gefragt, wo ich das herhab und verzweifelt gesucht, welche Ausgabe das ist. Denn es gibt irgendeine Neuauflage, deren Aufmachung ihm gar nicht behagt. Aber schließlich konnte ich ihm erklären, dass das Buch vor 25 Jahren durchaus mal einen Einband hatte und nicht immer schon so zerfleddert und vollgekritzelt war. Endlich fiel der Groschen: Ach so, dieses Buch wurde gelesen! Da hat er sich gefreut. Später hat er mir sogar die Fahne seines nächsten Werks vorab zu lesen gegeben. Da hab ich mich gefreut.
Ja, so war das. A propos, noch ein Wort zu den Lesungen. Und zu Theater-Aufführungen. Eben alles, wo es leise ist. Alles, was nicht Beethoven- oder Rockkonzerte sind. Da ist es, laßt euch dies von einer erfahrenen Konzertkritikerin sagen, ratsam, vorher anständig gefrühstückt zu haben. Denn nichts ist schlimmer als ein knurrender Magen, wenn alles ringsumher angestrengt lauscht. Ist mir bei Dietrich Schwanitz, dem Autor des „Campus“, passiert. Mann, war das peinlich. Das einzig Beruhigende ist immer, dass es der „Künstler“ selbst nicht mitbekommt, weil der zu weit weg sitzt.
Neulich war ich bei einer Einführungs-Matinee in der Feuerwache. Wieder nix gegessen gehabt. Diesmal hat mein Magen allerdings so laut geknurrt, dass ein besonders konzentriert lauschender Kleiderschrank von einem Mann schräg vor mir zusammengezuckt ist! Das fand ich klasse. Nie hab ich mich so stark gefühlt. Ich schaffe es mit bloßem Magenknurren, einen Drei-Zentner-Mann zu erschrecken. Wow! Da war ich mit meinem Magen wieder versöhnt.
Aber eigentlich robbe ich ja immer noch auf meine eigentliche Pointe zu. Das Jürgen-von-der-Lippe-Konzert, hätt ich fast gesagt. Obwohl das ja mehr Comedy ist. Nun, leider hat meine Zeitung eine ganze Woche gebraucht, um festzustellen, dass der Mann mit einem alten Programm tourt, das lange schon journalistisch abgewickelt ist. Ehrlich gesagt, hab ich noch mehr das Gefühl, dass die Zeitung das schon länger weiß und nur eine ganze Woche gebraucht hat, um es mir zu sagen. Die Sekretärin rief nämlich eigentlich nur noch wegen des Ersatz-Termins an, ich bräuchte nicht traurig zu sein, ich dürfte statt dessen woanders hin. Statt wessen? „Ach, hat man Ihnen das noch nicht gesagt?“ Nein, und ehrlich gesagt, wünschte ich auch den Rest nie gehört zu haben. Denn seit Wochen betrachte ich mit Argwohn den Konzertplan der „Garage“, auf dem für morgen Abend das nackte Grauen angekündigt ist: Knorkator! Seit Wochen erbebe ich innerlich bei jedem Telefonklingeln, wann er mich wohl ereilt, der Knorkator-Auftrag. Und stelle neulich hocherfreut fest, dass mir gar nix mehr passieren kann, weil ich mir am selben Abend was ganz anderes, und noch dazu was Angenehmes reinziehen darf. Und jetzt das!
Kann man sich das vorstellen? Statt es mir morgen vor meinem Fernseher gemütlich zu machen, ein gutes Buch zu lesen oder einfach nur in ein schwarzes Loch zu fallen, weil ich nicht zu Jürgen von der Lippe darf, werde ich mir in der stinkigen „Garage“ die Beine zu den zermürbenden Klängen von Knorkator in den schmerzenden Rücken stehen. Und meine Ohrenstöpsel noch tiefer reindrücken als sonst. Toll! „Ja, ich kann Ihre Enttäuschung verstehen, Frau Preißner. Kann ich mir vorstellen, dass das nicht das Gleiche ist. Aber vielleicht wird’s ja auch ein bißchen interessanter.“ „Eher ein bißchen unerträglicher.“ Worauf die Sekretärin tatsächlich: „Oh, wirklich? Na, dann werd ich ihren Artikel dazu auf jeden Fall lesen. Das will ich dann aber doch wissen, was das ist.“ Ach, gute Frau, lesen Sie doch einfach meinen CD-Verriß vom Sommer, nur Subway to Sally waren noch schlimmer. Aber na gut. Ich brauch das Geld. We´re only in it for the money.
Mein Freund weiß noch gar nichts von seinem Glück. Der hat heute morgen nur mal kurz gefragt, warum ich letzte Nacht so schrecklich mit den Zähnen geknirscht hab. Das ist meine letzte Chance: vielleicht hab ich ja alles nur geträumt? Das würde auch das Zähneknirschen erklären. Rackrack.
Epilog. Eigentlich ist mir nach dem oben Geschilderten nicht nach Scherzen. Aber ein paar TV-Impressionen muß ich doch noch loswerden. Dr. Zapp hat, glaub ich, noch Urlaub. Also mach ich das jetzt. Geht ganz schnell, sind nur ein paar sprachliche Klöpse.
Kennt Ihr meine Lieblingswerbung auf MTV? Vor einem Vierteljahrundert schickten sich ein paar Bands an, die Rockmusik auf den Kopf zu stellen. Oder besser: ihr die Power, das letzte Fünkchen Leben auszutreiben. Irgendwie so halt. Sinngemäß müßte es jedenfalls wahrheitsgemäß so heißen. Is ne Werbung für einen 60er Jahre-Sampler, ne 5-CD-Box oder so. Mein Lieblingssatz ist nun der folgende: „Sie könnten ins Extrem gehen, um den Sound dieser Ära wiederzubekommen.“ Soll was heißen? Sie könnten sich mit Drogen vollpumpen? Sie könnten in einen Plattenladen einbrechen? Und dort töten, um an die Alben der Künstler billiger ranzukommen? Who knows.
Who knows auch, was sich der Mitarbeiter einer Trickfilmfirma dachte, als er im ZDF-(Hallooooooo!)-Mittagsmagazin das Expo-Maskottchen Wimbsy (oder so ähnlich) folgendermaßen anpries: „Also, für mich hat diese Figur etwas sehr Integratives. Nicht ohne Grund trägt sie einen männlichen und einen weiblichen Schuh.“ Sehr schön, ja. Vor allem wissen wir alle, wie integrativ hierzulande das Tragen eines männlichen und eines weiblichen Schuhs wirkt. Vor allem in Kombination mit einer raffiniert geschnittenen Zwangsjacke.
Mein Favorit ist aber eindeutig ein Satz (oder zumindest der Versuch) von Jürgen Fliege, gesprochen im Trailer zur Sendung „Die Liebe hat mich alles gekostet“: „Bei mir sind heute vier Menschen zu Gast. Die Liebe hat ihnen alles gekostet.“ Diagnose: Hals gebrochen beim Pluralisieren eines Reflexivpronomens. Ziemlich seltene Angelegenheit. Das Ding leg ich in Spiritus ein und komm damit beim Kongreß der Grammatik-Pathologen ganz groß raus!
13.44 Uhr Es geht los. Ankomme in Essen. Im Rahmenprogramm: Tante Lisbeth (für mich meine Oma, in Wirklichkeit deren Schwester), die fleißig trainiert, ihren Blutzucker zu messen, und nun mit „Essen auf Rädern“ leben muß.
Elisabeth, ihre Tochter, erzählt, wie man 100 Jahre alt werden kann: „Steht in der Bildzeitung!“ Peter, ihr Bruder, verdreht die Augen. Elisabeth (verteidigt sich):“Du wirst lachen: was in der BILD steht, steht am nächsten Tag genau so in der WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Anm. d. Ü.)!“ Keine Reaktion bei Peter, wenigstens keine überraschte.
20 Uhr Uli, meine Tante, schnuppert alarmiert nach unserer Begrüßung und murmelt: „Das ist was Sexuelles, das ist was Sexuelles. Moschus oder sowas.“ Es stellt sich dann raus, sie meint tatsächlich mein Deo „White Musk“ aus dem Body-Shop.
22.30 Uhr Übernachte bei Winni, meinem Onkel, in Mülheim a. d. Ruhr. Und siehe da: ich hab einen HipHopper in der Familie: mein Cousin „Thorti B“ (17), der mir seinen 2 DIN A4-Seiten(!)-langen Text „Die Stunde der Wahrheit“ präsentiert! Spätestens jetzt ist mir egal, daß ich die Konzerte in Köln verpasse, weil ich kein Hotelzimmer mehr gekriegt hab.
Freitag, 20.8.
7.30 Uhr Noch mehr Cousinen und Cousins. Alle groß geworden („gewachsen“) und total sympathisch. Trudeln nach und nach in der Küche ein: „Oh Mann, hier gibt´s ja Frühstück!!!“ Mampfe beschämt mein Hefe-Brötchen mit Schoko-Splits. Winni weigert sich, seine Kinder zur Schule zu fahren. Zehn Minuten später sitzen wir im Auto Richtung Hauptbahnhof. Steige beschämt in den Zug.
10 Uhr Köln Köln-Messe: Congress-Centrum Ost, Halle 13. Akkreditiere mich am Presse-Schalter und hole meine PopKomm-Tasche ab. Erste Enttäuschung: keine Süßigkeiten, nix zu Knabbern drin. Nicht mal Kulis, Streichhölzer oder so. Dafür ein Mundschutz als Supplement des Magazins „Loop“. Laut Chefredakteur sieht Hinter-Net!-Mitarbeiter Roland Keimel damit aus wie Michael Jackson. Roland ist schwarzhaarig.
Treffe Hinter-Net!-Kollegen Kai Florian Becker an der Rolltreppe. Kann sich nicht entscheiden, ob er vor Stolz platzt, weil er für die Saarbrücker Zeitung Bericht erstatten darf, oder ob er profimäßig über den Streß stöhnt. Rollen ins Pressezentrum. Kai Florian haut seinen Artikel in den Computer, und ich stelle fest, daß Journalisten eindeutig die schlechtestgekleideten Personen dieses Planeten sind, allen voran vermutlich die von Rundfunk und Printmedien. Der Gipfel: ein Typ mit kurzen braunen Hosen, weißen Socken, Lederhalbschuhen und einem „Hardrock Café“-T-Shirt. Ausnahme: die Antenne Bayern-Maus, von der sich Kai Florian Feuer geben läßt. Dann trotten wir in Richtung Europasaal: Pressekonferenz des WDR in Sachen „Pop 2000. 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur in Deutschland“, eine zwölfteilige TV-Doku. Ab 12.9. über kurz oder lang in allen Dritten Programmen.
11.20 Uhr Gedränge vorm Europasaal. Wir stehen direkt an der Tür. Die Security läßt noch keinen rein. Dafür Kellner mit Tabletts. Kai Florian greift sich irgendein Glas. Wasser? Sekt? Wein?
11.30 Uhr Endlich Einlaß. Wir sitzen weit vorne, in der vierten Reihe. Der Saal ist voll. Vor der Bühne warten die Fotografen auf die Promis. Fotografen sind noch schlechter angezogen als Rundfunk- und Printmedienjournalisten, denn sie kommen garantiert nicht mit auf´s Bild, weil sie ja die Bilder machen. Und alle tragen sie diese ärmellosen Westen mit den vielen Taschen. Nicht nur in Krisengebieten, sondern auch hier, auf der Popkomm.
11.45 Uhr Die Promis kommen. Zuerst die ganzen Macher von WDR, Me, Myself and Eye, MusikKomm, EMI und so. Dann die echten Promis, allen voran Herbert Grönemeyer, bei dessen Label CD-Box und Compilation zu „Pop 2000“ erscheinen. Neben ihm, an der Seitenwand des Europasaals: Campino. Und daneben: Hinter-Net!-Mitarbeiter Carsten Frank, der keinen Platz mehr gekriegt hat. Zwei Langeweiler von den Guano Apes schlendern vorbei. Echt schlurfen zu ihren Sitzen. Westbam läßt sich nieder, aber den erkennen wir erst später, als er namentlich auf der Bühne präsentiert wird. Drei Reihen vor uns nimmt Smudo Platz, ich stoße Kai Florian an und teile das Gesehene mit, aber der macht sich gerade Notizen und reagiert nicht.
11.50 Uhr Auf der Bühne erscheint Kai Florians und mein eigentlicher Promi, der Mann, wegen dem wir hier sind: Moderator Götz Alsmann! Kai Florian freut sich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Ich mich auch. Alsmann begrüßt uns mit „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder“ und erklärt das Konzept dieser Doku-Reihe über eine Zeit, in der „junge Erwachsene anfingen, sich scheiße anzuziehen“, er beleidigt Krautrock-Bands, Nena, Til Schweiger und Beckmann, letztere sind als Zeitzeugen in den Appetizer-Filmchen zu sehen.
Die Macher erläutern ihre Intentionen. Dieter Kosslick von der Filmstiftung NRW beispielsweise wollte einfach nochmal die Bilder des legendären Bill Haley-Konzerts irgendwo in NRW sehen, wo die Musiker der „Vorgruppe“ (das Jazz-„Orchester Kurt Edelhagen“) nach dem Auftritt ihre Instrumentenköfferchen fest umklammert hielten, weil schon bei den ersten Takten von „Rock around the clock“ die Stühle flogen. Meine Intention, diese Episode zu erwähnen, ist der Hinweis, daß meine Mutter damals ebenfalls beim Bill Haley-Konzert war (ihr Klavierlehrer hat sie mitgenommen), allerdings in der Essener Gruga-Halle. Aber auch mit Kurt Edelhagen. Und mit Stühlefliegen. Götz Alsmann weist auf den damaligen Sänger des Orchesters Kurt Edelhagen hin: Bill Ramsey. Zu den Machern auf der Bühne gesellt sich ein Mann vom Spiegel (Lothar Gorris). Er ist als einziger unfähig, sich auch nur halbwegs vorteilhaft auf der Präsentations-Couch zu positionieren. Als er sich mit übereinandergeschlagenen Beinen seitlich nach hinten lehnt, sieht man seine nackten Schienbeine, seine dicken Schenkel und von ihm selbst fast gar nichts mehr, weil er sich cool zurücklehnt und die Arme auf die Rückenlehne legt. Alle anderen kauern vornübergebeugt und frontal zum Publikum auf der niedrigen Sitzfläche. Gewußt, wie!
Wir erfahren, daß der Spiegel auch ein ganz großer Kulturpromoter mit eigener CD-Edition (unter Ausschluß der Öffentlichkeit) ist und sich ganz heftig für Jugendkultur interessiert. Götz Alsmann merkt an, welch schlechtes Zeichen es sei, als Kultur-Act im Spiegel besprochen zu werden, spätestens dann sei es mit der Karriere vorbei. Der Spiegel-Mensch kontert mit der Rückfrage, wann er selbst denn zum letzten Mal dringestanden hätte, und Alsmann antwortet: „Vor zwei Jahren. Man sieht ja, was draus geworden ist.“ Die Journalisten überschlagen sich übrigens mit intelligenten Fragen, etwa, wie teuer die CD-Box wird (140 bis 150 DM), warum sie selbst nicht bestückt werden, und wer denn sowas kaufen soll. Ob die TV-Reihe auch ins Ausland verkauft wird, welche Archive geplündert wurden (hauptsächlich die der ARD) und warum man denn nun wirklich glaubt, daß solch eine Doku noch nötig sei.
12.30 Uhr Grönemeyer kommt auf die Bühne und erläutert das CD-Projekt: die Box mit der Musik-Historie und die Compilation, auf der aktuelle deutsche Acts wahllos Hits deutscher Kollegen covern. Jetzt werden auch die restlichen Musik-Promis auf die Bühne geholt. Drei Reihen vor uns erhebt sich Smudo, und ein begeisterter Kai Florian stößt mich an: „Mann, guck mal, der sitzt da schon die ganze Zeit, und ich merk nix.“
12.31 Uhr Wir erfahren Unglaubliches über die Entstehung der Compilation. Also, Grönemeyer ruft Smudo an und sagt: „Hallo, hier ist Herbert Grönemeyer, ich ruf aus London an, willst Du einen Song zu ner Compilation beisteuern?“ Und Smudo sagt: „Ja klar, hier ist der Papst, ich sitzt an meinem Schreibtisch in Rom (Rest unverständlich, Anm. d. Ü.)“ und legt auf. Rest kann man sich denken, jedenfalls haben die Fantastischen Vier ihren Song beigesteuert. Dann ein Langeweiler von den Guano Apes, der versucht, witzig zu sein: „Ja, auch uns hat Herbert Grönemeyer zu Hause angerufen, nein, Quatsch, also wir wurden jedenfalls auch gefragt, ob wir mitmachen blabla…“ Weiter mit Campino: „Uns hat niemand angerufen, aber wir wollten unbedingt mitmachen.“ Gelächter im Saal. Ein Kind von Echt ist einfach ehrlich: „Also, wir hatten unseren Song sowieso schon fertig, auch ohne Compilation.“ Besonders anerkennender Applaus im Saal. Und so weiter…
Grönemeyer legt Wert darauf, daß ihm als Herausgeber der CD enorm peinlich war, selbst auch als Coverversion mit eigenem Song vertreten zu sein, Peter Maffay hatte sich nämlich ausgerechnet „Alkohol“ ausgesucht und ließ sich auch nicht durch Grönemeyers Bitten davon abbringen: „Den oder keinen!“ Dazu Campino: „Wieso Herbert, Du hast uns doch selbst gesagt, wenn wir zwei Deiner Songs covern, kommen alle beide aufs Album?!“ Gelächter im Saal und auf der Bühne. Ach ja, Westbam hat auch was gecovert und freute sich darüber vor allem, weil er hier auch mal zum Singen kam, wozu ihm sein eigenes Projekt so selten Gelegenheit gibt.
12.50 Uhr Kai Florian muß schon gehen, denn er hat noch einen Termin um 14 Uhr. Ich bleib noch die restlichen 10 Minuten bis zum Schluß.
13 Uhr Kurzer Abstecher ins Pressezentrum, aber mit dem Chefredakteur, der in Köln beim Bekannten eines Bekannten gepennt hat, bin ich erst in einer Stunde verabredet. Also auf ins bunte Messe-Getümmel. Mit meinen Cousins und Cousinen im Hinterkopf lange ich kräftig zu und schleppe bald kiloweise Kataloge, Broschüren, Flyer, Postkarten, Mousepads, Aufkleber und CDs mit mir rum. Doch die Enttäuschung hält an: keine Kulis, keine Drops, keine Chips, keine CDs aus Kaugummi. Noch schlimmer: MTV hat nicht mal Pressemappen, und VIVA will seine erst nach der morgigen Pressekonferenz rausrücken. Dafür gibt´s am Musikmarkt-Stand Tragetaschen. Kräftige, belastbare Tragetaschen, in die man seine Katalog-Massen packen kann. Einfach nur Tragetaschen, und doch werden mich noch wildfremde Menschen mit leuchtenden Augen fragen, wo es denn die Taschen gibt.
13.15 Uhr Vergleiche die Messe-People mit denen vor zwei Jahren, bei meinem ersten PopKomm-Besuch. Damals fühlte ich mich leicht deplaziert unter all den coolen Business-Leuten mit ihren Handys und den hippen Promo-Girls mit den blauen Haaren. Aber so viele hippe Typen gibt´s dies Jahr nicht mehr, Handys sind längst nichts Besonderes mehr, ganz in Schwarz mit Jeansjäckchen kann man nicht viel falsch machen, und unter uns Rundfunk- und Printmedienjournalisten bin ich eindeutig eine der bestgekleideten! Vermisse die überdimensionalen Beavis- und Butthead-Ausgaben von vor zwei Jahren.
14 Uhr Treffe den Chefredakteur im Pressezentrum. Nach 31stündiger Trennung. Bei der Begrüßung merke ich meine Entzugserscheinungen. Kurzer Austausch über Erlebtes. Muß noch lernen, an den Ständen Snacks und Getränke zu schnorren, bin kurz vorm Verhungern, doch der Chefreakteur hat meine geliebten Puffreiscräcker mit Schokolade dabei! Gemeinsamer Bummel über die Messe. Verabredung des Chefredakteurs mit einem Bekannten, sie erbeuten ein Café-Tischchen, ich bummel weiter. Stelle fest: Plattenfirmen-Leute sehen nicht halb so cool aus wie Promo- und Marketing-Leute. Eher so linksliberal-alternativ. Zumindest die von den kleinen Labels.
15 Uhr Hab in einer Stunde einen Interviewtermin, werd langsam nervös. Entdecke in einer Ecke eine Ausstellung mit Einrichtungsgegenständen aus den 70ern. Cool! Auch viele Musik-Stände sind als Wohnzimmer gestaltet und bieten Sitzgelegenheiten. Manche absichtsvoll spießig mit röhrendem Hirsch an der Wand, am Spiegelstand mit Nierentischchen, 50er Jahre-Fernseher und mintfarbener Chaiselongue, bei Viva plüschig in Pink mit bunten Barbie-Puppen hinter Glas und durchsichtigen Plastikblasen, die von der Decke hängen mit irgendwas drin. Eindeutig hipper als bei MTV, wo´s nur wie eine große weiße Lounge aussieht. Und keine Pressemappen gibt.
15.45 Uhr Im Pressezentrum dreht ein Typ ab, der entfernt aussieht wie der Musiker, den ich gleich interviewen soll. Ich kriege Angst. Jemand mit einer Tropenkappe aus Jeans-Stoff auf dem Kopf kommt: es ist Axel, unser Hinter-Net!-Fotograf. Er trägt eine ärmellose Weste mit vielen Taschen dran. Er erklärt mir, daß sie einfach ungemein praktisch seien, gerade auch für die vielen Filmröllchen und so. An die Weste sind zwei auffällige Orden gepinnt, der mit dem Nicole-Foto (die Schlagersängerin, Anm. d. Ü.) ist vom Flohmarkt…
15.55 Uhr Gleich ist es soweit, ich werde Nick Laird-Clowes alias „Trashmonk“, Ex-Dream Academy, Backings Vocals auf dem letzten T. Rex-Album, Mitarbeit an Pink Floyds „Division Bell“, Ex-Mitbewohner von Paul Simon, Ex-Gast von John Lennon, in dessen Haus er auch seine Unschuld verlor, und Ex-Ratgeber von Brian Wilson interviewen. Sein Promo-Manager holt uns ab: mich, die Interviewerin, Axel, den Fotografen, und den Chefredakteur, den Mann mit dem Mini-Disc-Aufnahmegerät. Mit dem Aufzug fahren wir in die KölnLounge. Ich hab immer noch Angst, aber der Promo-Manager erzählt, daß Mr. Trashmonk total gut drauf ist, er sprudele nur so vor Mitteilungslust. Jetzt bin ich nur noch aufgeregt.
16 Uhr Nick Laird-Clowes ist eine zierliche Person um die 40 und von umwerfender Freundlichkeit. Während der Chefredakteur das Aufnahmegerät positioniert und aussteuert, radebreche ich auf englisch eine Art Begrüßung, und erfahre, daß Laird-Clowes zum ersten Mal in Deutschland ist, aber schon die Basics drauf hat: „Ein Kolsch bitte!“ Zum Interview setzt er sich eine Brille mit durchgehenden blauen Gläsern auf die Nase, die läßt er auch an, nachdem Axels Fotoshooting beendet ist.
16.33 Uhr Trashmonks Promo-Manager läßt sich blicken: Zeichen, daß ich zum Ende kommen muß. Ich bin nicht mehr aufgeregt, sondern nur noch glücklich. Nick Laird-Clowes hat 30 Minuten lang gesprudelt und ist nach wie vor von umwerfender Freundlichkeit. Das Interview lest Ihr natürlich hier bei Hinter-Net!
16.45 Uhr Nochmal gemeinsamer Bummel mit dem Chefredakteur über die Messe. Abstecher bei zwei Fotoausstellungen in den Hallenecken. Kurze Begegnung mit Kai Florian. Keine Begegnung mit dem Bekannten des Chefredakteurs, der den Schlüssel zur Wohnung hat, in der beide übernachten. Abstecher an den Ständen von Blue Rose und Indigo, kleines Gespräch mit einem Menschen von Marina. Am Plattenmeister-Stand wird ein Foto vom Chefredakteur gemacht, wie jedes Jahr. Dann trennen sich unsere Wege.
17.15 Uhr Bin wieder allein. Am Blackout-Stand wird mir angeboten, mich künftig regelmäßig mit dem gleichnamigen Black-Music-Magazin zu bestücken, ich soll ein aufwendiges Formular ausfüllen: jetzt lohnen sich die Visitenkarten! Bekomme noch eine coole Kassette: Blackout Tape #4! Am Perry Rhodan Stand gibt’s Schlüsselanhänger mit Hologramm-Motiv. Und ein kleines, grünes Fläschchen mit „Vurguzz“, dem Weltraum-Getränk. In der Pressemappe liegt eine Perry Rhodan-CD-ROM. Die coolste Pressemappe ever krieg ich allerdings am Stand der „Techno Parade“ (am 18.9. in Paris): ein „Dossier de Presse“ in Form einer Feuerwehr-roten LP-Hülle mit Broschüre, Aufkleber etc.
Von weitem leuchtet mir ein schwarzer Schriftzug auf weißem Grund mit rotem Rand entgegen, der mir spontan kein Begriff ist, aber ich merke: irgendwo tief in mir schreit es: „Kindheit“! Und richtig, „Europa“ vertreibt Kassetten-Klassiker wie „Die drei ???“, „Hanni und Nanni“, „TKKG“ und „Fünf Freunde“. Am Stand selbst dichtes Gedränge, obwohl es praktisch nichts gibt außer Europa-Fähnchen und Europa-Tüten. Beim Stand eines Zeitschriftenverlag krieg ich ein Döschen mit Mint-Pastillen. Sieht eher aus wie die typischen Süßstoff-Behälter. Weiter zum Visions-Häuschen, das heuer nur ein Thema kennt: South Park. Auch ich freu mich auf die kultige Trickserie mit den bunten Pfannkuchengesichtern (ab September bei RTL) und decke mich ein mit Zeitschriften, Postkarten und Plastikkärtchen.
Das jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung hat übermorgen eine Veranstaltung im Rahmen der WortKomm, am Stand gibt´s Magazine und lustige Postkarten mit den berühmten Trimm Dich-Taschen meiner Jugend. Noch schnell zu den Niederlassungen der Schweden und der Finnen: nicht uninteressant für Liebhaber skurriler und erfrischender Musik. Die Schweden sind freigiebig mit wirklich hübsch aufgemachten Compilations zu den Stilrichtungen Urban Pop, Jazz World, Dance und Rock, mehr zum Inhalt in den entsprechenden Rezensionen. Bei Ceraton gibt´s einen Sampler von Deutschlands ältestem DJ, wie hip der ist, wird sich noch zeigen.
18.30 Uhr Warten in den superbequemen Sesseln des klimatisierten Pressezentrums. Es leert sich, in einer halben Stunde macht die Messe dicht. Weiter hinten werden gerade die Computer runtergefahren. Mir gegenüber sitzt noch eine Journalistin, die unterm Walkman ihren Artikel fertigschreibt. Jetzt will sie ihn wegfaxen. Computer werden wieder hochgefahren. Die Antenne Bayern-Maus von morgens ist auch wieder da für ihre ISDN-Überspielung. Hat einen Laptop und verwirrend viele Kabel, doch der Leiter des Pressezentrums hilft beim Einstöpseln. Ich hör sie fragen: „Ist das da mein Loch?“
18.45 Uhr Der Chefredakteur kommt ins Pressezentrum, weder er noch ich haben seinen Bekannten mit dem Schlüssel zur Wohnung gesichtet. Also auf ins Hotel zu Kai Florian, mit fünf Taschen und 100 Kilo Katalogen unterm Arm. Alles meine.
19.10 Uhr Im Hotel Anruf beim Bekannten. Der ist schon in der Wohnung und wartet auf uns. Wir machen uns auf den Weg. Es regnet.
19.40 Uhr In der Wohnung seines Bekannten sitzt unser Bekannter beim Durchblättern seiner Kataloge, raucht eine Zigarette und fragt, wer Kaffee will. Wir verschnaufen, der Chefredakteur packt seine Sachen zusammen und macht sich mit mir auf den Weg nach Mülheim a. d. Ruhr.
20.20 Uhr Ankommen am Kölner Hauptbahnhof, drei Taschen und hundert Kilo Kataloge wandern ins Schließfach. Mir ist dabei etwas mulmig zumute, doch der Chefredakteur beruhigt mich: „Denk mal an die Gangster in den Filmen, die tun ihre Sachen auch in immer in Schließfächer.“ Ich bin beruhigt. Am Dom nur ein winziges Baugerüst, das ist ungewöhnlich. Sollte er tatsächlich fast fertig sein? Mit Löchern im Bauch machen wir uns auf die Suche nach einem asiatischen Restaurant. Finden einen Chinesen direkt überm McDonalds. Der Chefredakteur läßt meinen verschmutzten Teller zurückgehen. Und schläft fast im Sitzen ein. Beim Rausgehen entdecken wir im Treppenhaus ein Fischbassin, so groß wie ein kleines Schwimmbad. Das schreit nach einem Tatort, der im Chinesen-Mafia-Milieu spielt. Dazu bräuchte man nur ein paar der alten Drehbücher neu zusammenzuwursteln.
23 Uhr Ankommen Essen Hauptbahnhof. Mein Onkel wartet schon am Gleis. Im Rahmenprogramm heute: meine Cousine Kerstin, die uns ihre zwei Ratten und zwei Kaninchen zeigt. Ich sehe zum ersten Mal ein Widder-Kaninchen. Die werden ziemlich groß. Ich erzähle von meiner Ratte, die aber schon seit 11 Jahren tot ist. Ich bin ja auch schon über zwanzig, und Ratten sind nunmal Bestandteil der Jugendkultur… „Die Stunde der Wahrheit“ ist inzwischen instrumentalisiert und auf CD gebrannt. Leider schlafen alle CD-Player schon. Das Radio meines Onkels noch nicht, da läuft ein Hörspiel von Francis Durbridge. Für den Chefredakteur gibt´s eine eigene Matraze, niemand wird ihm nachts die Arme in den Nacken schlagen. Er freut sich.
Samstag, 20.8.
8 Uhr Mein Onkel hat wieder klasse Frühstück gemacht. Die anwesenden Kinder haben sich mittlerweile dran gewöhnt. Jetzt treff ich auch meine Tante, die die ganze Woche Frühdienst im Krankenhaus hatte. Mein Onkel, der deutschen HipHop-Texten recht kritisch gegenübersteht, zeigt uns seine Chor-Noten: „Laß mich dein Badewasser schlürfen“, „Unter den Pinien von Argentinien“.
10.30 Uhr Mit meinem Onkel im Auto nach Köln. Während der Chefredakteur hinten döst, quatschen wir uns tot. Immerhin fast zehn Jahre nicht gesehen, da hat man was nachzuholen. „Weißt du noch, wie du dich mal auf dem Weg zu meinem Kindergarten verfahren hast, als du mir das Märchen von den sieben Geißlein erzählt hast, die allein zu Haus waren, weil ihre Eltern auf ner Fortbildung waren…“ „Weißt du noch, wie ich immer mit deinem spacigen 70er Jahre-Radio ´Raumschiff´ spielen durfte…“ „Weißt du noch, wie ich in eurer alten Wohnung unterm Dach gepennt hab, damals ist Karajan gestorben…“ Ja, wußte er fast alles noch.
11.45 Uhr Wieder auf der PopKomm. Der Chefredakteur hat eine Verabredung mit einer Bekannten, die sich gerade als Promoterin selbständig gemacht hat. Ich zieh allein los. Zwischenstop am Stand mit dem „Jahrbuch Pop & Kommunikation“, kurzer Kontrollblick: juhu, wir stehen drin, alles richtig geschrieben, sogar mit korrekter neuer Adresse! Naja, wär auch schlimm, wenn nicht, denn die Hinter-Net!-Anmeldung hab schließlich ich ausgefüllt.
12 Uhr Viva-Pressekonferenz im Europasaal. Keine Stuhlreihen wie am Vortag, bloß ein paar Stehtische. Naja, das journalistische Interesse hält sich auch in überschaubaren Grenzen. Auf der Bühne ein Mann, der mal als Rundfunk- oder Printmedienjournalist angefangen haben muß, wahrscheinlich war er sogar Fotograf: der mit Abstand schlechtestaussehende Mensch dieser Messe und zugleich ihr Gründer – Viva-Impresario Dieter Gorny!
Lahm und müde führt er durch die Veranstaltung, brüstet sich mit der Coolness der TV-Branche in Sachen „Digitalisierung“, während den Kollegen von der Tonträgerindustrie ja vor Angst die Haare zu Berge stehen. Trallala, das Fernsehen hat damit kein Problem, in zehn Jahren ist eh das ganze deutsche Broadcasting-System digitalisiert, von der Regierung längst beschlossen, so what?! Und von der ersten privat-öffentlich-rechtlichen Koproduktion weiß er zu berichten: die Verleihung des Komet-Musikpreises am Vorabend. Mindestens dreimal tut er dem ZDF die Liebe, auf den heutigen Erstausstrahlungstermin hinzuweisen. Das übliche BlaBla: die Zielgruppe, nein, richtiger – die Stilgruppe – sei ja so schwer zu fassen, weil sie halt echt auf Glaubwürdigkeit gehe, und diese sei nicht vorzutäuschen, Schleim… Dann blitzschnell die Wende: aber so und so und so werde man sie – wörtlich – „fassen“! Ohne Umschweife. Zack, zack, zack. Viva, der Markenartikel, die Heilsbringer mit der freiwilligen 40%-Quote, der Markt eh mittlerweile zweigeteilt. Viva, der Trendsetter, das Familienmitglied, der große Kommunikator mit der nonverbalen und emotionalen, straightaway ins Herz gehenden musikalischen Botschaft. Präsentation der neuen Werbeclips. Dann die Bekanntgabe der Neuheiten: Live-Sendungen nun auch am Vormittag. Interaktive Chartshow. Neue Deko („Jugendzimmer werden auch immer wieder neu tapeziert.“). Neues Filmmagazin etc. Jetzt beginnt ein trauriges Schauspiel, daß sich einige Male wiederholen wird: nach und nach werden die Viva-Moderatoren auf die Bühne geholt, stellen sich kurz vor, sagen was zu ihrer Show, versuchen, gut drauf und sein – und wissen nicht mehr weiter – „äh, ja, das war´s eigentlich. Dieter, willst du wieder das Mikro?“ Dieter will immer. Von Katharina Schwarz (das neue Filmmagazin), dem Typ von „World of bits“, dessen Namen ich nicht mehr weiß, einer kleinen Schwarzen namens „Milka“ – und von Lämmermann. Kotzwürg.
12.55 Uhr Gorny geht über zum Thema „Viva 2“. Eine Zielgruppe, die noch schwerer zu fassen ist, weil zu unabhängigen, eigenwilligen Konsumenten gereift. Die kriegt man nur durch gutes Design, durch „kommunizierende Optik“… Ich muß dringend zum Treffen mit dem Chefredakteur ins Presszentrum.
13.05 Uhr Der Chefredakteur und ich auf dem Weg zum Kölner Hauptbahnhof. Ankunft bei den Schließfächern: unsere Sachen sind noch da. Schwer bepackt schleppen wir uns wieder zum Bahnsteig, wo Unmengen von Ringfestbesuchern auf die gleiche S-Bahn warten wie wir. Die erste kommt und ist sofort voll. Wir stehen noch draußen. Die Türen gehen endlich zu, doch die Bahn fährt nicht ab. Jetzt, in diesem Moment, kommt eine Gruppe hipper Girlies mit Häkelmützchen auf die Idee, da noch mitzufahren. Türen wieder auf, aber nichts geht. Ein entnervter Schaffner kommt und beginnt freundlich zu verhandeln: „Ich mach Euch einen Vorschlag, da kommt gleich noch eine, hier paßt ihr eh nicht mehr rein blabla.“ Es stellt sich heraus, daß die Mädels ohnehin keine Ahnung haben, wie sie wohin müssen, der zweite Zug ist auch nichts für sie. Der Schaffner ist auf dem Rückweg zu seiner Kabine. Eines der Mädchen ruft ihm nach: „Heh, das war kein Vorschlag!“ Endlich die nächste Bahn, wir fahren mit.
13.50 Uhr Ausstieg am Messe-Bahnhof. Vor fünf Minuten waren wir mit dem Mann verabredet, der uns mit zurück nach Saarbrücken nehmen will. Der Chefredakteur läuft schon mal vor, erwischt unseren Mann noch am Aufzug. Rauf aufs Parkdeck mit inzwischen einer Tonne von Katalogen. Rein ins Auto, mit 180 über die Autobahn, unterwegs die ersten Fußballergebnisse im Radio, obwohl sich der Chefredakteur für´s abendliche „ran“ aufsparen wollte. Gottseidank nur der Halbzeitstand. Um fünf sind wir da.
17.30 Uhr Bin frisch geduscht. Der Chefredakteur schaut seine e-mails durch. Wühl mich durch die Katalog-Berge auf dem Sofa, schleiche mit einer halben Tonne doppelter Exemplare zum Papiermüll, bin schon halb aus der Tür, als der Chefredakteur vom Schreibtisch dröhnt: „Und DAS hab ich GESCHLEPPT?!!!“ Okay, nächstes Jahr sortier ich vor der Rückfahrt aus. Aber dann haben wir auch wieder ein Hotelzimmer in Köln, wo man sowas gemütlich machen kann. Denn das Durchgehen der Kataloge ist der halbe Spaß bei der PopKomm und läßt sich nicht so zwischen Tür und Angel im Pressezentrum machen. Nein, das Checken der Beute ist Höhe- und Schlußpunkt einer jeden PopKomm und die Basis eines jeden PopKomm-Tagebuchs. In diesem Sinne: bis zum nächsten Jahr!
Epilog:
Beim Durchschauen des Materials zeigt sich: es gibt ein neues Fun-Magazin namens „blond“, das sich optisch extrem an die üblichem Lifestyle-Magazine anlehnt und sich im Editorial über drei Seiten hinweg trotzig dafür rechtfertigt, daß es eben nur Spaß haben will und sich entsprechend gebiert. Offenbar gab´s böse Leserbriefe und Watschen von Kollegen nach dem Debüt. Die Aufmachung ist okay, der Inhalt ausgelutscht: Titelstory über Pornos (war letztes Jahr das Big Thing), Will Smith und Star Wars. Das Blatt-eigene „Warenkörbchen“ ist von mir geklaut, die Idee mit der Rubrik „Scheiß Job“ schwebt uns schon lange für eine Hinter-Net!-Top Ten vor. Auch „IQ“ hat sich „Music. Mode. Run. Real“ auf die Fahne geschrieben, hat ein cooles, fast quadratisches Format und läßt sich auch wirklich gut anfassen, ist aber leider auf rauhem Karton-Papier gedruckt, also naturgemäß entspiegelt und somit für uns optikversessene Zeitschriftenausschlachter unbrauchbar. Unsere natürlichen Feinde sind logischerweise die Fanzines: 0815-Papier, ohne Bilder und wie zu Hause mit selbstgeschnitzten Kartoffeln gedruckt. Nein, wir brauchen glänzendes Hochglanzpapier mit bonbonfarbigen Abbildungen, das sind unsere ganz perspönlichen Glasperlen, für die wir sofort allen Grund und Boden rausrücken. Immerhin, IQ wartet mit einem Gemeinschaftsinterview mit den Sternen und Tocotronic auf, und ich hab mir auch ein paar Seiten mit guten Design-Ideen rausgerissen.
Die üblichen Musik-Magazine: Intro, Musikexpress, Spex, Indigo Notes, Musikwoche, Feedback und Metalhammer (hab mich sowas von gefreut, weil momentan ja mit Hetfield-Privatinterview drin, und am Kiosk war´s mir zu teuer.) Die ungewöhnlicheren: Generation S. Das Junge Schlecker Magazin und Popcorn. Auf dem Cover von Generation S: Jordan Knight. Drinnen: Infos über Musik, Film und allerhand Medien-Amüsement. Auf festem Hochglanz-Papier. Ich werde mißtrauisch. Das kann nicht das Schlecker sein, das ich kenn, wo´s immer so eng ist und an der Kasse höchstens eine gedruckte Sammlung redaktionell aufbereiteter Sonderangebote auf Billigstpapier, wenn auch im Vierfarbdruck, gibt. Hhm, ich bleib weiter am Thema dran. In der Popcorn ein Blech-Anhänger in Herzform, wie man ihn nicht mal im ekligsten Kaugummi-Automaten ziehen könnte. Dazu eine Seite mit winzigen Star-Porträts in Herzform. Zitat Popcorn-Gebrauchsanweisung: „Wähle Deinen persönlichen Lieblings-Star und schneide das Herz-Motiv an der Bildkante entlang vorsichtig aus. Dann nimmst Du das Popcorn-Herz aus der Tüte. Mit etwas Klebstoff befestigst Du Dein Star-Motiv im Star-Herz-Anhänger. Warten, bis der Klebstoff trocken ist – fertig!“ Na gut. Schnell hab ich meinen Star ausgeguckt, schnibbel und warte, bis der Klebstoff trocken ist – und schon baumelt Flat Eric an einer Schlinge um meinen Hals!
Hallo! Ein alter Bekannter ragt aus meiner PopKomm-Tasche: das „Kultur“-Heft des Spiegels. Sah ich bis dato nur ein einziges Mal, nämlich vor zwei Jahren – in meiner PopKomm-Tasche! Find ich nie am Kiosk, gibt´s vermutlich nur im Abo. Damals war Elvis vorne drauf, jetzt isses Simmel. Der Niedergang des Blattes ist förmlich mit Händen zu greifen.
Sonst noch was? Ja, ein Perry Rhodan-Fanzine namens SOL; ein Presse-Heft der Polydor, aufgemacht wie die Hauszeitung eines Fußballvereins; 1999: ein superdickes, von der Allianz gesponsertes Jugendmagazin auf teurem Papier, aber mit zurückhaltender Optik und im Untertitel den Slogan der hedonistischen Techno-Generation: „Go Future“! Außerdem noch ein weiteres Heft der Polydor („Profile“), ein „NewsZine“, „Live in Corner“, das Musikmagazin „Gaffa“, „Berlin BETA 2.0“ mit Supplement „Beam me up“ nach Art der üblichen Tageszeitungen und ein „Music manual“. Jetzt kann ich nicht mehr, und der Chefredakteur muß das Zeug noch gegenlesen, redigieren, zensieren und hochladen. So long.
Liebe Lesende! Sein Leben lang ist der Mensch in Gemeinschafts-Haushalte gepreßt. Erst in der Familie, dann in Studenten-WGs, und zum Schluß in der ersten „gemeinsamen Wohnung“. Nur Laien denken, daß es sich dabei einfach um eine Form der Zweckgemeinschaft handelt, die ökonomischen und romantischen Bedürfnissen gleichermaßen entgegenkommt. Insider wissen, daß es sich in Wirklichkeit um eine erdbebenhafte Erschütterung für Individuum und Paar gleichermaßen handelt. Was die Soziologen „Selbstüberwindung“ oder „Konsensfiktion“ nennen, schlägt sich nicht zuletzt auch rein optisch in der Wohnungs-Gestaltung nieder.
Hallohallo, könnt Ihr mich verstehen? Ich war sehr erkältet, die Stimme ist noch nicht wieder ganz da, und ein bißchen verschnupft kling ich auch noch, aber ich denk, es wird gehen. Ja, mich hatte es richtig erwischt, denn ich war so doof, mich direkt an den ersten schönen Tagen (die berühmte „Übergangszeit“) zu dünn anzuziehen, und zack – schon war´s passiert. Das waren diese herrlich warmen Sonnentage vor circa zwei Wochen, wo mir Oskar so leid tat, denn hier in Saarbrücken war´s wochenlang eklig verregnet und naßkalt, und dann gibt´s endlich mal gutes Wetter, und man ist auch grad beruflich weniger eingespannt – und darf trotzdem nicht raus oder höchstens in den Garten, weil vorne die ganzen Journalisten lauern…! Naja, nu isser ja weg, und in der Saarbrücker Zeitung war ein klasse Photo, wie sich Familie Lafontaine aus dem Staub macht: sie vorne (ungeschminkt!) in diesem kuriosen uralt-Benz, angestrengt übers Lenkrad gebeugt, daneben der Sohn mit der gruseligen Prinz-Eisenherz-Frisur, und er hinten (im „Fond“), auf der Rückbank, einen Arm nach vorne gestreckt und auf irgendwas deutend, jedenfalls in klassischer Pascha-Pose (Fahr da rechts! Siehst du das Schild da?! Da lang! oder so…).
So, die Feiertage sind rum, viele Leser kommen gerade zurück aus der Ski-Freizeit (ein schönes Wort aus meiner Schulzeit, gefiel mir einfach besser als „Ski-Urlaub“ oder gar das prosaische „Ski-Fahren“), vom Magenauspumpen oder aus der Psychiatrie, wo sie sich vom weihnächtlichen Familienzwist erholt haben – und da kommt ein neues „Nähkästchen“ zur Aufmunterung gerade recht!