Phat World (6)

Heute mit Mary J. Blige, Common, DJ Cam, Drag-On, Eminem, En Vogue, Kurupt, Outsidaz, Tony Touch und ABS, Deichkind, DJ Desue, Doppelkopf, Patrice.

From the US…

Von Mary J. Blige gibt es dieses Mal „nur“ eine Singleauskopplung ihres hervorragenden „Mary“-Albums. „Deep Inside“ (MCA/Polydor/Universal) heißt der Track, der eine Neubearbeitung der Elton John-Nummer „Benny And The Jet Sets“ ist. Ein wunderbares „Remake“, das Mary J. Blige in überzeugender Art und Weise feilbietet. Die B-Seite ist ein Remix des in Amerika angesagten Produzenten Hex Hector. Nachdem sich bereits Madonna, Simply Red und Mariah Carey auf dessen Maßarbeit verlassen haben, musste Mary gleichziehen und tat gut daran. Hex Hector hat einen tanzbaren, groovigen House-Mix abgeliefert, der die Tanzfläche zum Beben bringen sollte. Grosse Klasse.

Common könnte mitunter die Lücke schließen, die einst die Native Tongue-Truppe A Tribe Called Quest hinterlassen hat. „Like Water Like Chocolate“ (MCA/Polydor/Universal) ist ein lässiges Stück HipHop geworden, das Vergleiche mit eben jener Crew oder auch mit Mos Def nicht scheuen braucht. Conscious Rap hat man das früher mal genannt und ehrlich gesagt gibt es von solchen Blüten viel zu wenige im Reimgarten. „The Light“ ist ein Ausnahmehit wie es „You Got Me“ von The Roots und Erykah Badu einer ist. Und wenn Common zusammen mit Mos Def wie in „The Questions“ (featuring Monie Love) das Mikrofon rockt, dann ist dieses Duo besser und genialer als Mos Def & Talib Kweli alias Blackstar. Nicht zu vergessen dieser absolut überragende Tune „The 6th Sense“, den DJ Premier, der Producer-Großmeister perfekt in Szene gesetzt hat. Irgendwie hat sich Common die derzeitige Creme de la Creme der Szene ausgesucht (weiterhin dabei u.a. ?uestlove, D’Angelo, Bilal, Slum Village Rahzel und MC Lyte), um auf „Like Water Like Chocolate“ präsent zu sein. Dieses Album ist das Tüpfelchen auf dem i, die Sahne auf dem Kuchen, die Schokoglasur ohne die der Kuchen nur halb so gut schmecken würde – ergo, dieses Album ist essentiell.

Über DJ Cam weiß ich leider fast gar nichts, außer dass er Franzose ist. Das sollte euch jedoch nicht daran hindern, in sein neuestes Werk „Loa Project (Volume II)“ (Columbia/Sony Music) reinzuhören. Es könnte sich ohne weiteres lohnen, glaubt mir. DJ Cam ist ein Turntable-Rocker der feinsten Sorte. Er bedient sich ohne mit der Wimper zu zucken oder lange zu zögern querbeet im Musikregal und mischt Soul, Dub, Funk, HipHop, R’n’B und House. Erinnert mich leicht an den hervorragenden Sampler „Super Discount“, der ungefähr vor zwei Jahren aus Frankreich an mein Ohr drang. Das Land des Weines, Käses und Flûtes scheint immer größeren Wert auf tanzbare Musik zu legen und nun hat es mit DJ Cam einen ganz vorzüglichen DJ an der Hand, der diese Vorgabe mit Bravour umzusetzen vermag.

„Ich bringe das Feuer“, tönt Drag-On mit großer Klappe und will uns weismachen, dass er der Plattenindustrie Feuer unter dem Arsch machen kann. Hm, ich weiß nicht, was das nun wieder soll. Typisch Amerika. In Deutschland will keiner die Industrie in Schutt und Asche legen. Da reicht es auch aus, mit musikalischen Argumenten die potentielle Zielgruppe zu überzeugen. Wollen wir aber nicht Drag-On begraben, bevor er geboren ist. Daher zu den Fakten: 1. Er ist ein Ruff Ryder und fühlt sich im Dunstkreise von DMX und Eve wohl. 2. Eigentlich stottert er, doch er kann seine Texte ohne hörbare Probleme flüssig ins Mikro schreien. 3. Im Alter von neun Jahren wurde er verhaftet und schrieb zum Zeitvertreib im Knast erste Reime nieder. 4. Mit 17 Jahren stand er neben DMX im Studio und arbeitete bei dessen „It’s Dark And Hell Is Hot“-Album mit. 5. Jetzt ist er 19 Jahre alt und hat sein Handwerk sicherlich gelernt, doch der Ruff Ryders-Sound ist mir zu glatt, zu golden glänzend, zu hochpoliert, zu gangbanging-mäßig, zu reich, zu eins-wie-das-andere. Auch Drag-On bleibt auf „Opposite Of H2O“ (Interscope/Motor/Universal) dem Ruff Ryders-Clan stilistisch zu treu.

Slim Shady isn’t back, but Marshall Mathers is! Eminem hat nicht viel Zeit verstreichen lassen, den Nachfolger seines Megasellers „The Slim Shady LP“ in die Läden zu bringen. Auf „The Marshall Mathers LP“ (Aftermath/Motor/Universal) behauptet der kleine weiße Rapper, den jeder anfangs belächelt hatte, dass er keine weiße oder schwarze Musik sondern „fight music“ macht. Dieses Statement geht mir nun nicht mehr aus dem Kopf. Hört man genauer hin, weiß man, was er damit gemeint haben könnte. Er reagiert sich in seinen Texten ständig ab, verwandelt Aggression in Silben und feuert diese aus seinem Mund ins Mikro ab. Hören sich seine Tracks noch so lustig an, unter der Oberfläche brodelt es. Er verarbeitet seine Ängste und Phantasien, in dem er auf diesem Album in die Rolle des Antistars geschlüpft ist, dessen Album es nie zur Veröffentlichung bringen wird, da er sich den Regeln des Biz nicht unterzuordnen vermag. Ihm stinkt es, er hat genug. Einmal sagt er so schön: „You want me to fix my words up, while the President’s getting his dick sucked“ („Who Knew“). Oder: „I’m just a regular guy, I don’t know why all the fuzz about me“ („Marshall Mathers“). Das sagt irgendwie alles. Warum immer in die Defensive und nicht lieber in die Offensive. Marshall Mathers ist das Alter Ego von Eminem, um sich Luft zu verschaffen und zurückzuschlagen. Ein äußerst gelungener Rundumschlag, wie ich finde.

Nach der Veröffentlichung der Singleauskopplung „Riddle“ legen die drei Diven En Vogue nunmehr ihr neues Album „Masterpiece Theatre“ (Elektra/eastwest) nach. Die Single eröffnet das Album, das unterstreichen soll, dass hier keine x-beliebige Girl Group am Werke ist, sondern eine, die davon überzeugt ist, Spuren hinterlassen und viele beeinflusst zu haben. Terry, Maxine und Cindy sind jedenfalls älter geworden. Sie haben Kinder bekommen, Boutiquen eröffnet und Parfümprodukte in Umlauf gebracht. Vielleicht sind sie gar nicht mehr auf Tantiemen angewiesen, um ihren Unterhalt zu sichern, trotzdem würde ich ihnen nicht unterstellen, weniger ambitioniert zu agieren. Besagtes „Riddle“, „Love U Crazay“, „Love Won’t Take Me Out“, „Latin Soul“ und „Those Dogs“ (hallo Missy!) haben durchaus Hitpotential. Irgendwie doch besser als uns das manch Feuilleton weismachen möchte.

Snoop Dog, Warren G, KRS-One, Xzibit, Daz Dillinger und Dr. Dre hat er im Schlepptau, der bebrillte Rapper der HipHop-Brutstätte Philadelphia mit Namen Kurupt (ex-Dogg Pound). Im Gegensatz zu seinen ehemaligen Nachbarn The Roots oder Bahamadia ist Kurupt ganz dem West Coast-Style verfallen und lebt seit Anfang der 90er in Los Angeles. Dass daher Namen wie Snoop Dog und Dr. Dre auf der Gästeliste seines zweiten Albums „Tha Streetz Iz A Mutha“ (Antra/PIAS/Connected) auftauchen, ist wenig überraschend. Er geht in diesem Style voll und ganz auf und liefert in meinen Augen ein weitaus besseres Album ab als es Snoop Dog zum Beispiel jüngst getan hat. Er ist ein Straßenkind und singt von der selbigen. Dadurch entstand eine smoothe Gangsta-HipHop-Rille, wie sie seit langem nicht mehr auf den Markt kam. Den Jungen sollten wir im Auge behalten.

Chris Schwartz, der bereits den Grundstein für das mittlerweile aufgelöste Label Ruffhouse (Fugees, Lauryn Hill, Cypress Hill) gelegt hatte, gründete jüngst Rufflife. Eines seiner ersten Signings sind die Outsidaz aus Newark, New Jersey. Das erste Mal richtig bekannt wurden sie durch ihren Beitrag zum Fugees-Track „Cowboys“ auf deren Multiplatinalbum „The Score“. Weitere Projekte u.a. mit KRS-One und Redman folgten. Jetzt ist die Zeit reif, dass die Outsidaz auf eigenen Beinen stehen. Die acht Outsidaz – Azz-Izz, Pace Won, Axe, Young Zee, Yah Yah, Denton, D.U., NawShis und DJ Muhammed – überzeugen mit ihrem Debüt „Night Life“ (Rufflife/Intonation/Virgin) von Track eins bis sieben. Da sie bereits mit Eminem und Rah Digga in den Staaten tourten, ließen es sich beide Artists nicht nehmen, Outsidaz gastmäßig zur Seite zu stehen. Neben den Floorfillern „The Rah Rah“ und „Night Life“ gehören ihre Joints, also der lässige Singalong-Tune „F**k Y’all Niggaz“ (Rah Digga) und „Rush Ya Clique“ (Eminem), zu den Höhepunkten dieser EP und runden das positive Gesamtbild, das die Outsidaz hinterlassen, nochmals ab.

Tony Touch ist ein weiterer DJ, der uns in diesem Monat von seinen Künsten überzeugen möchte. Sein Album „Piece Maker“ (Tommy Boy/eastwest) ist ein Aufeinandertreffen vieler derzeit angesagter US-Acts: Gang Starr, Eminem, De La Soul, Mos Def, Mobb Deep, Xzibit, Wu-Tang Clan, Defari, Flipmode Squad und so weiter. Was muss das ein Gedrängel im Studio gegeben haben, als der 30jährige Joseph Anthony Hernandez zum Stelldichein einlud. Vorher hatte er aber gehörig viel Arbeit am Hals, denn er produzierte natürlich nicht nur das Album, sondern schrieb auch alle Rhymes im Alleingang. Nicht schlecht für eine einzelne Person. Doch wer bereits 1982 als B-Boy anfing, der hat mit 30 Jahren sein Handwerk perfektioniert. „Piece Maker“ ist eine nette Mix-CD, die nicht unbedingt auf Frontalangriff aus ist und eher mit gedrosseltem Tempo durch die Boxenkabel schlingert.

… to Germany.

ABS, das steht für das Antiblockiersystem aus dem Ruhrpott. Genauer gesagt kommen ABS aus dem idyllischen und malerischen Bochum. Die beiden MCs Steve Austin und Mr. Ecan mit Backup von Producer dISCOpOLO und DJ Salicious schicken „Mathematik / Klarkomm“ ihrem demnächst folgenden Debütalbum als Appetizer voran. Beide Tracks sind auf Frontalangriff (jetzt aber!) ausgelegt und präsentieren uns wortgewandte, ideenreiche MCs die alles andere sind als blutige Anfänger. ABS treten selbstbewusst auf und brauchen sich hinter nichts zu verstecken. Ich bin gespannt, wie es mit denen weitergeht.

Es waren einmal drei Deichkinder. Die veröffentlichten zwei EPs und sammelten damit erste Erfahrungen im Biz. Dann gingen Malte, Philipp und Buddy ins Studio, um endlich eine Langspielplatte in Angriff zu nehmen. Da trafen sie auf Sebastian Hackert und mochten seine Produzentenqualitäten so sehr, dass er seit kurzem viertes Deichkind ist. Wer sich nun fragt, wer Deichkind sind, der sollte sich daran erinnern, dass da ein Floorfiller (hi, hi!) namens „Bon Voyage“ von den Musiksendern ausgestrahlt wird. In dem Videoclip seht ihr einen Burschen von der Waterkant mir Afro, der sein Haupt hektisch von links nach rechts und zurück schüttelt. Das sind Deichkind bzw. Deichkind zusammen mit Nina, die neben Bintia, Dendemann und Nico Suave Gastfeatures auf ihrem Album beisteuert. Ein obercooles Video und ein Hammer-Tune, meine Damen und Herren. Das lässt sich auch für das komplette Album „Bitte Ziehen Sie Durch“ (Showdown/Wea) prophezeien. Deichkind rocken das Haus und ich wette, dass sie nicht so schnell wieder von der Spitze zu verdrängen sind. Die haben’s drauf. Sowohl die Beats und Cuts sind erste Sahne als auch die Rhymes und deren Inhalt – höre „Schweiß & Tränen“, „Evergreens“ oder „T2wei“. Zum Glück nehmen sich die Vier nicht zu ernst und geizen nicht mit flotten, lustigen Sprüchen. Das macht sie nämlich unglaublich sympathisch.

Die Globalisierung im HipHop nimmt immer größere Ausmaße an. DJ Tomekk angelt sich Grandmaster Flash zum Batteln an den Turntables, dann holt er sich GZA ins Studio und lässt ihn deutsche Rhymes aufsagen. Auf der anderen Seite haben wir DJ Desue, der schon öfters in die USA eingeflogen wurde, um zum Beispiel Defari und den Dilated Peoples produktionstechnisch unter die Arme zu greifen. Hut ab, kann ich da nur sagen. „O.L.C. (Operation Left Coast)“ (RahRah Entertainment/Groove Attack) heißt der nächste Schritt deutsch-amerikanischer HipHop-Verständigung. Es ist eine Compilation, die DJ Desue zusammen mit seinem Label erstellt hat. Dazu hat er sich 16 Rapper aus den Staaten gesucht, die allesamt der Likwit Crew angehören und den West Coast HipHop präsentieren. Jeder durfte einen Track beisteuern, der natürlich unter der Federführung von DJ Desue im Studio ins rechte Licht gerückt wurde. Nicht alle Stücke sind donnernde Kopfnicker-Tunes, aber diese Compilation ist besser als der übliche Durchschnitt – besonders der aus Übersee.

Die Jungs von Doppelkopf rotieren hart auf MTV. Ihre Auskopplung „Supa Stah (Chan Chan)“ (Hong Kong/EMI) erfreut sich großer Nachfrage. Daher gibt es auf der dazugehörigen Single ein paar nette Versionen. Neben der Album- und einer abgespeckten Single-Version tummeln sich noch ein Hong Kong Allstars-Mix und natürlich die beiden Videocuts, die unter dem Banner Doppelkopf vs Yard laufen – einmal mit, einmal ohne Lyrics. Irgendwie lässt sich jede Version gut an, wobei „Supa Stah (Chan Chan)“ trotzdem die beste von allen ist. Das liegt sicherlich am gut gewählten Buena Vista Social Club-Sample.

Hinlegen, eincremen, Sonnenbrille auf, Beine ausstrecken, Zehen spreizen und ganz tief durchatmen. Patrice hat endlich seinen Longplayer am Start und verzaubert uns von nun an mit seinem „Ancient Spirit“ (YoMama/Zomba). Den hat er mit den Jahren auf seinen Reisen über den Globus gefunden. Von allerlei Musik inspiriert konnte er sich nicht von der Idee lösen, auch selbst zum Instrument zu greifen. Komponiert hat er die 16 neuen Songs auf einer akustischen Gitarre. Auch wenn manch einem der Albumtitel hochnäsig erscheint, seinen Songs wohnt eine ganz besondere Seele inne. Fast könnte man annehmen, er sei ein deutscher Nachkomme von Bob Marley, trennen beide doch in musikalischer Hinsicht nicht unbedingt Welten. Wer Reggae aus Deutschland bis dato verpönt hat, der sollte mal Patrice anchecken und staunen.

Phat World VII erscheint Anfang Juli (und das trotz EM). Ehrenwort.

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