Ein Interview mit Mark Eitzel; von Mike Lehecka und Kai Martin
„It’s the end of the world as we know it“, dachten sicher die meisten treuen Fans von Mark Eitzel, als sie hörten, daß R.E.M.-Gitarrist Peter Buck der musikalische Partner auf dem zweiten Solo-Album ihres melancholischen Lieblingssängers sein würde.
Was ist wohl zu erwarten von der Kooperation eines zwar brillanten, aber düsteren und spröden Singer/Songwriters mit einem notorischen Gastmusiker, der mit seiner megaerfolgreichen Band mal einen Superhit mit Namen „Shiny Happy People“ hatte?
Wer beeinflußt da wen, und vor allem: wie? Verliert Eitzel seine ernste und pessimistische Aura? Wird er so peinlich wie Michael Stipe, der Sänger von R.E.M, und kippt den Sinn seiner Texte zugunsten bedeutungsschwangerer Symbolik über Bord? Ist Peter Buck am Ende der Aufnahme-Sessions so frustiert, daß er sich eine seiner 25.000 E-Gitarren in den Bauch rammt und daran verblutet?
Fragen über Fragen, die sich um künstlerischen Ausdruck, um Glaubwürdigkeit und selbstgesteckte Ansprüche drehen. Fragen, die den Gründer, Songschreiber und Sänger des American Music Club, Mark Eitzel, aber nicht im geringsten beschäftigen:
Ich bin daran interessiert, auf viele verschiedene Arten zu arbeiten. Mit Peter Buck habe ich da gar keine konkreten Resultate erwartet, ich dachte einfach nur, das ist ein netter Kerl und ein guter Musiker.
Kennengelernt habe ich ihn, als er sich einen meiner Auftritte in Seattle ansah. Nach der Show hingen wir noch ein bißchen zusammen rum und haben eine Menge getrunken. Wir haben uns über Musik unterhalten und über unsere Einstellungen und wir stimmten in allen Punkten überein. Wir tauschten unsere Telefonnummern aus und vier Monate später hat er mich dann in San Francisco besucht, mit seiner Frau zusammen. Wir aßen zu Abend und redeten weiter und so kam uns die Idee, etwas zusammen zu machen.
Ein paar Wochen später brachte er seinen Bass mit, um an einem meiner Songs zu arbeiten. Es endete damit, daß wir stattdessen Songs zusammen schrieben und ich bin sehr froh darüber, es hat mir enormen Spaß gemacht.
Das Album war nicht von Anfang an geplant. Es ist meiner Meinung nach auch kein besonders kommerzielles Album geworden, vielleicht einzelne Songs, aber als Ganzes ist es eine ziemlich abgefahrene Kiste.
Eine Einschätzung, der man nicht unbedingt folgen muß. „West“, die zweite Veröffentlichung Eitzels nach der Auflösung des American Music Club, klingt nach einem Kompromiß zwischen poppigem Schönklang mit Anspruch und dem sperrigen Output eines bitteren, zum Teil auch zynischen Poeten. Wahrhaftig kein schlechter Kompromiß, aber die Vokabel „abgefahren“ klingt aus dem Mund eines Mannes, der schon weitaus gewagtere Alben hervorbrachte, doch etwas befremdlich.
Natürlich bleibt sich Eitzel textlich treu; musikalisch gibt es einige freie, fast atonale Elemente (mit sehr überzeugenden Saxophon-Passagen), doch der Einfluß Peter Bucks ist zu hören und er ist eher besänftigend als verstörend. Stücke wie „Free of Harm“ oder auch „In your Life“ sind sehr schöne, fast upliftende Mid-Tempo-Nummern, die zwar zu Mark Eitzel passen, aber dennoch ungewöhnlich aufgeräumt und locker klingen. Das ist dann quasi POP!
Betrachtet man sich die Rollenverteilung der Beteiligten, dann ist das keine Überraschung:
Eigentlich habe ich mit der Musik auf dem neuen Album gar nicht viel zu tun. Ich war nur der Sänger. Die Musik war Sache von Peter, der Band Tuatara – Peters Nebenprojekt mit Barrett Martin (Screaming Trees) und Skerik (Critters Buggin) – und Scott McCaughey, einem der Gastmusiker auf der Platte.
Wir haben uns dazu entschlossen, keine fetten E-Gitarren zu verwenden. Ich weiß auch nicht, die langweilen uns nur. Wer braucht das noch? Wir wollten akustische Gitarren in den Vordergrund stellen.
Bevor wir mit „West“ anfingen, hatte ich gerade die Arbeit an einem Album beendet, bei dem ich mit Steve Shelley von Sonic Youth, James McNew von Yo La Tengo und Kid Congo Powers gespielt habe. Das ist eine richtige Rockplatte. Sie heißt „Caught in a trap and I can’t back out, ‚cause I love you too much, Baby“ und wird wahrscheinlich nicht vor Ende dieses Jahres erscheinen, auch unter meinem Namen.
Ich betrachte „West“ nur als ein Projekt, es hat einfach Spaß gemacht, dieses Album aufzunehmen. Für mich ist das kein „Richtungswechsel“ oder etwas in der Art. Die Platte ist okay, so wie sie ist. Hätte ich mehr Einfluß auf die Musik genommen – was ich ja gar nicht wollte – wäre sie vielleicht etwas aggressiver geworden.
Auch Mark Eitzels erste Soloplatte, die 1996 erschienene „60 Silver Watt Lining“, bietet allenfalls textliche Aggressivität. Die Musik ist ruhig und schön, fast schon zu schön, soll heißen: beunruhigend hohe Kerzen-und-Rotwein-Kompatibilität.
Daß damals mit dem Trompeter Mark Isham auch ein nicht gerade für seine Alternative-Credibility bekannter Musiker beteiligt war, könnte den Verdacht nahelegen, Eitzel suche den Anschluß an bekannte, erfolgreiche Namen, um vielleicht endlich etwas von dem Geld einzufahren, das ihm schon lange zustünde, gäbe es einen Rock-’n‘-Roll-Gott.
Ein Gedanke, den Eitzel schnell entkräften kann:
Um ehrlich zu sein: Es war überhaupt nicht geplant, dieses Album mit Mark Isham zu machen. Der Trompeter, den ich eigentlich wollte, konnte nicht spielen; er hatte Schwierigkeiten mit seinem Mund, irgendeine Entzündung, und so haben wir Mark mit rein genommen. Das war ein glücklicher Zufall.
Touché. Ein Argument, das überzeugt.
Dennoch sieht sich Mark Eitzel mit einem Problem konfrontiert, das vermutlich jeder Künstler kennt, der lange genug dabei ist und sich durch seine seriöse, sehr persönlich geprägte Arbeit Fans – oder sollte man sagen: Anhänger – erworben hat. Wenn er sich im Laufe der Jahre verändert und die Perspektiven sich verschieben – was bei einem 38jährigen, der seit 14 Jahren Platten veröffentlicht, ja durchaus verständlich ist – gilt er plötzlich als Verräter:
Ich weiß noch, als bekannt wurde, daß ich ein Album mit Peter Buck mache, da haben alle geschrieben, jetzt macht Eitzel den Ausverkauf, jetzt verkauft er sich. Das wollte ich mir dann nicht mehr reinziehen, auf diesen negativen Kram kann ich wirklich verzichten, vielen Dank auch.
Ich bin stolz auf die Kooperation mit Peter und würde es jederzeit noch mal tun.
Natural-born-gegen-den-Strom-Schwimmer, sozusagen. Und in der Tat: Aufgewachsen als Sohn eines Soldaten in Taiwan und England, war Eitzel nie lange am selben Ort und lebte mit der Erfahrung, immer unterwegs und auf sich selbst zurückgeworfen zu sein.
Wenn du jung bist und oft auf Reisen, dann lernst du vor allem eines: allein zu sein und dich zu beschäftigen. Es gibt eine Menge Leute, die nicht in der Lage sind, mit sich allein zu sein. Ich kann das.
Wahrscheinlich hat seine Biographie mit dazu beigetragen, daß er als Singer/Songwriter so unabhängig geworden ist und mehr seinem Urteil vertraut als dem anderer Leute. Natürlich muß auch er seine Brötchen verdienen, und ob dies ein unbewußter Antrieb oder vielleicht ein willkommener Nebenaspekt bei der Arbeit mit Peter Buck war, muß dahingestellt bleiben, weil das niemand beurteilen kann.
Aber ist das eigentlich wichtig? Am Ende zählt doch nur das Resultat, und „West“ klingt nicht so, als ob Eitzel sich dafür hätte verbiegen müssen. Sein zweites Soloalbum ist abwechslungsreich und intelligent, es ist dunkel und gelegentlich freundlich und ohne jeden Zweifel ist Mark Eitzel drin, wo auch Mark Eitzel draufsteht.
Es klingt glaubhaft – wenn auch ein wenig desillusioniert – , wenn er seine Randexistenz beschreibt und auf seiner musikalischen Individualität beharrt, selbst in einer solch großen und vielschichtigen Musikszene wie die seiner Heimatstadt San Francisco:
Wir waren immer Außenseiter in San Francisco. Ich habe zwar einige Freunde, die in Bands spielen, aber wir waren nie Bestandteil einer Szene. Wenn wir überhaupt je zu einer Szene gehörten, dann am ehesten zu der frühen San-Francisco-Punkrock-Szene, jedenfalls eher dazu, als zu der Neo-Folk-Bewegung, die vor ein paar Jahren angesagt war..
Wir spielten zwar häufig Konzerte mit Musikern wie Penelope Houston oder A Subtle Plague und wir gehen auch in die selben Bars, aber … eigentlich weiß ich gar nicht, ob man überhaupt von einer Neo-Folk-Szene in San Francisco sprechen kann. Und wenn es sie doch gibt, dann interessiert sie mich kaum. Meine Bereiche sind ohnehin eher Rock ’n‘ Roll und Disco als irgendein neuer Folk-Trend.
Disco??? Wir warten gespannt auf Mark Eitzels nächstes Projekt.
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