Goldfrapp: Felt Mountain

Wenn die Sängerin von Goldfrapp auf der Bühne steht – mit Brianna-Corrigan-Gedächtnis-Frisur und Wallekleid -, dann sieht sie aus, als wäre sie gerade aus dem Orchester von André Rieu geflohen. Brianna Corrigan war übrigens die Sängerin der Beautiful South. Ihr Lockenköpchen sah aus wie das von kleinen Plastikpüppchen, die nach Erdbeer riechen. Und es könnte zum Insignum guter Popmusik werden.

Denn auch Goldfrapp machen das, was von allen Menschen der Welt wohl am besten die Briten können: aus den berühmten 8 Tönen kleine Melodien so zu drapieren, dass sie wie der Schlüssel zu einer verzauberten, besseren Welt klingen.

Im Fall von Goldfrapp sind das hoffnungslos romantische Traummelodien, sphärisch und fließend. Nur manchmal wechselt ??? zur strengen Domina-Stimmen, die Band fährt eine lateinamerikanische Rythm-Section auf, und statt zarter Streicher gibt´s dunkle Bläser-Stöße. Aus der geheimnisvollen Elfenmusik werden harte Agentfilm-Klänge.

Aber meistens sind es eben doch die verträumten Space-Klänge, die wie Nebelschwaben vom Boden aufsteigen. Seltsam irreal, mystisch angehaucht und mit unverhohlenem Hang zum Kitsch. Zeit zu sagen, dass Goldfrapp eine Elektronik-Band sind. Was schon mal ein gutes Zeichen ist. Denn moderne Technik und Sehnsucht nach rosé Wolken – das ist an sich schon eine aparte Mischung. Portishead sind damit auf die Suche nach der dunklen Seite des Mondes gegangen. Air haben die Romantik zurück in die Clubs gebracht. Goldfrapp sind nicht so traurig wie Portishead. Nur sentimental. Sie schreiben bessere Songs als Air. Erzählen wirkliche Geschichten statt nur Impressionen anzudeuten. Und sie sind bei Mute unter Vertrag. Was das zweite gute Zeichen ist.

Mute ist das britische Kult-Label in Sachen Synthie-Pop. Depeche Mode, Yazoo, Erasure. Auch Nick Cave ist dort unter Vertrag, und die Einstürzenden Neubauten haben bei Mute mal angefangen. Alles in allem ein reichlich inzestuöser Kreis von Bands und Band-Ablegern. Der Klienten-Stammbaum ist ein kleines, aber undurchdringliches Knäuel aus Überschneidungen und Querverbindungen. Goldfrapp sind die dringend nötige Blutauffrischung. Und für Mute die größte Chance seit Erasure, wieder die Popcharts zu erobern. Vom Dauerbrenner Depeche Mode mal abgesehen.

In die Linie der großen Mute-Stars fügen sich Goldfrapp als Elektroniker nahtlos ein. Fallen aber wieder aus dem Rahmen, weil sie die Errungenschaft des Frickelns mit der orchestralen Geste und Musikalität eines Burt Bacharach kreuzen. Mit der Liebes-Hymne „Utopia“, die wie eine Vertonung von Freuds Theorie des Unterbewussten klingt, sind Goldfrapp dem perfekten Popsong gefährlich nahe gekommen. Schön, dass es nicht der einzige Lichtblick des Albums ist. „Felt Mountain“ sprüht vor Ideen. Altertümlich klingende Balladen, bedrohlich und klirrend schön, wie dem „Twin Peaks“-Soundtrack entsprungen. Samba-angehauchte Instrumental-Märsche, die blitzschnell zum Lounge-Flair alter „Love Boat“-Folgen switchen. Melancholische Piano-Balladen mit Shirley-Bassey-Gesang. Machismo-schwangere Flamenco-Fassungen der eigenen Songs mit spanischen Texten. Kurz: ein Album mit James Bond-Songs und den zartesten Versuchungen seit der Erfindung des Elektronik-Pop.

Goldfrapp: Felt Mountain
Mute
VÖ: 11.9.2000

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