Bernd Begemann: Sag Hallo zur Hölle

Glanz und Elend der Großstadt wollte er einfangen. Und die Menschen der Großstadt feiern, der Bernd Begemann. Die Erläuterungen zu seinem Album klingen genauso poetisiert wie alles aus dem Mund dieses wohl besten deutschen Singer-Songwriters. Was er anpackt, umgibt er mit einer Aura. Gekleidet in wohlfeile Worte. Gesungen mit samtweicher „Kandisstimme“ (Spex), manchmal auch mehr gehaucht, gehacht (kein Druckfehler!). Und meist liebevoll übertrieben, nein: ausgekostet. Er legt sich halt richtig rein in seine Texte, wie man es sonst nur vom Schlager kennt. Dieses Militant-Emotionale, Affektierte, in sich Versunkene oder einfach nur Herzzerreißende. Mit dem schnoddrigen Charme des Westphalen, der schon zu lange in Hamburg lebt und I´s gern als Ü´s ausspricht. Ürgendwie…

Die ganze Kunst des Bernd Begemann steckt für mich in einem einzigen Lied über den abgedankten TV-Oberinspektor Derrick. Ein zarter, verhuschter Shuffle, der sich zu tragischer Ekstase hochschraubt und explodiert. Man muß die ersten drei Minuten – musikdramaturgisch gesprochen ein einziger „Vorhalt“ – erdulden, um den Gipfel samt Oktavsprung auszukosten. Eines Liedes, in dem sich „Harry Klein“ auf „Derrick weint“ reimt. Ein Meisterwerk des Vortrags! Bege-Best!!!

Doch die Momente, wo man Begemann für sich selbst sprechen fühlt, sind rar. Der Mann ist ein Meister des Rollengedichts, und so lässt er ein neuzeitliches Pandämonium vorbeiflanieren, wie man es vermutlich nicht nur in Hamburg antrift. One-Night-Stands, glücklose und verliebte Paare, eingeschüchterte Ducker, haßerfüllte Fahrradkuriere, Teilzeit-Träumer, Luxus-Neurotiker, bemüht originelle WGs, Philosophen, Intellektuelle und hippe Business-Hohlköpfe. 23 Mikrostudien, Psychogramme oder einfach eine stichprobenartige Sammlung von Augenblicken. Begemann, der lyrische Chronist mit dem Röntgenblick.

„Sag Hallo zur Hölle“ musikalisch auf einen Nenner bringen zu wollen, ist aussichtslos. Begemann experimentiert mit elektronischen Klangteppichen, geisterhaftem Drum´n´Bass, Verzerrern und Hall auf der Stimme. Nur ein Teil der Songs ist süßer Gitarren-Pop mit Ohrwurm-Melodien. Wie das „Kelly Family-Feeling“ (Zitat: „gammelig, aber zusammelig“…). Übrigens mit Co-Sängerin Sophie Rois, besser bekannt als Bühnen-Aktrice. Ansonsten ein paar Blues´, eine Klavier-Ballade und viel atmosphärische Sounds, die vor allem über den Rhythmus die Stimmung des Songs unterstreichen. Manchmal voll kalkulierter Häßlichkeit und unorganisch, wie es gewissen Geschehnissen nunmal angemessen ist. Alles in allem: ein buntes Mosaik großer Momente, durchsetzt mit szenischen Zwischenspielen, Mini-Hörspiel und Dialogfetzen-Collagen. Eine Kunstform allein reicht eben nicht aus, um den begemann´schen Ideenstrom zu fassen. Für die Charts mal wieder zu eigenwillig und zu kunstvoll. Aber für Kenner ein Quell der Freude.

Bernd Begemann
Sag Hallo zur Hölle
(Rothenburgsort/EfA)

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