„Nichts auf dieser Welt ist schlimmer als ein leeres Hotelzimmer.“
(Nena)
Naja. Krieg vielleicht. Tod. Zerstörung. Armut. Nenas Solowerk. Aber so ein leeres Hotelzimmer ist auch ziemlich schlimm. Meins ist schätzungsweise 12 Quadratmeter groß und geht mit dem Fenster auf die Rückseite des Alexanderplatzes. Die dunkle Seite der dunklen Seite des Mondes. Wirklich leer ist es eigentlich nicht. Weil: ich bin ja da. Und fast der gesamte Inhalt meines Kleiderschranks. Wir sind also in Wahrheit recht viele. Was leer ist, ist die Hälfte meines Doppelbetts. Und das ist doch der Punkt. Niemand muss Fernseher aus dem Fenster werfen, wenn das benachbarte Kissen zeitgleich zum eigenen beschnauft wird. Niemand muss Mobiliar zertrümmern oder in der Bibel lesen. Niemand muss Kolumnen schreiben, so wie ich. Nach Jahren der Zweisamkeit zurückgeworfen in Alleinwohn- und Single-Zeiten. Zumindest für viereinhalb Wochen. Verzweiflungstaten: Lektüre, Theaterbesuche, Erkundungstouren.
Wo ist das Centrum-Kaufhaus hin, mit seinem erschwinglichen Plaste-Sortiment? Wo die Buchhandlung mit der Schlange vor der Tür? Und den Körbchen, die´s im Westen nur in Drogeriemärkten gab? (Oder in solch teuren Supermärkten, dass ihnen die pure Existenz von Einkaufswägen schon einen unschön proletarischen Anstrich verliehen hätte.)
Dafür sind die Dönerläden da. In der ganzen Stadt. Auch hinterm Bahnhof Friedrichstraße, wo David Bowie vermutlich heute hinziehen würde, zöge er wieder nach Berlin. Weil´s da aussieht wie in den trübsten Tagen der trüben Anfang-Achtziger. Als würden die Neubauten im Keller „Musik“ machen und Effjott Krüger im Hinterhaus gerade das Pomade-Glas aufschrauben. Gleich gegenüber, nur getrennt durch die dreckige, dreckige Spreebrühe, liegt das Theater am Schiffbauerdamm. Und – Überraschung: Hier würde Bowie nicht einziehen!! Weil: kein Altbau mit grußlos verschwindender Tapete und bröckelndem Putz. Sondern: Kronleuchter, Stuck, Blattgold. Geschockt sei sie gewesen, beim ersten Mal, erzählt meine Freundin Angelika. Hier habe Brecht sich doch nicht etwa wohlgefühlt? „Heda, Genossen Handwerker! Jetzt mal nicht so knausrig! Darben kann ich, wenn ich tot bin. Tragt mal ruhig richtig fett auf. Sieht ja keiner.“ Schnell gucken, ob das Grab vielleicht auch schon… Mit Marmor, Goldschrift, Mausoleum? Nein. Immer noch der alte Findling, an die Backsteinmauer gelehnt.
Der Döner schmeckt übrigens Klasse. Leider gibt´s ihn nicht zum Mitnehmen. (Dass es ihn doch zum Mitnehmen gibt, commod in Alufolie eingeschlagen, erfahre ich erst Tage später.) Grad mal, dass noch Alibi-Papiertüte und Serviette beigelegt werden…
Das wissen leider auch die Tauben. Und so scharen sie sich schon lässig auf den Platten vor der Bude. Cooler als die Rabauken in „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Bedrohlicher als die Krähen in den „Vögeln“. Traumatische Erfahrung für mich taubenphobisches Bündel: Berliner Tauben sind ausgesprochen selbstbewusst. Viel selbstbewusster als Saarbrücker Tauben. Das hab ich noch nicht erlebt, dass eine Taube zurücktritt, wenn ich sie trete! Seufz. Aber naja, es gilt andere Dinge zu verarbeiten während des Döner-Genusses. Zum Beispiel, wie eine Mahlzeit derart reüssieren konnte, die so albern und schweißtreibend zu essen ist?! Das Verspeisen eines Döners demütigt den Esser in jeder Sekunde. Angefangen, wenn der freundliche Döner-Mann dem Kunden das dampfende Paket in die Hand drückt, noch bevor der den Geldbeutel zücken kann. Lächelnd sieht der Döner-Mann zu, wie der Gast sein Portemonnaie hervorkramt, während dabei das erste Drittel der Döner-Füllung auf den Boden klatscht. Jetzt lächeln auch die Tauben. Mit jeder kleinen Bewegung landet mehr Füllung auf der Erde. Das macht es unmöglich, mit dem Döner eine gemütliche Bank ein paar Straßen weiter aufzusuchen. Dankbar lässt man sich auf dem Mäuerchen neben der Bude nieder. Im Rücken ein kleines Areal mit etwas, das mal Erde war, und jeder Menge Zigarettenkippen. Unter sich Taubenscheiße. Zwischen den Füßen: Tauben. Mehr und mehr Füllung wandert nach unten, der Rest klebt im Gesicht oder tropft auf die Jacke. Lächelnd genießt der Dönermann eine kleine Pause. Und sieht zu, wie der Esser sich lächerlich macht. Eine kleine Revanche…
Zurück im Westen brechen glamourösere Zeiten an. Vorm Kempinski wird gedreht. Das heißt – grad ist Pause. Aber etliche Stative stehen rum. Und LKWs einer Filmfirma. Aus einem steigt Heiner Lauterbach und stiefelt direkt an mir vorbei. Dick geschminkt, wie das auch besser ist. Die Hand der besten Freundin meiner Mutter krallt sich in meine Schulter. Das war doch…! In der Bleibtreustraße sitzt ein femininer Brünetter mit Freunden vorm Café. Ich erkenn nix, und Gabi kommt nicht auf den Namen. Vier Kinder. Lässt sich grad von seiner Frau scheiden. Helmut Zierl, weiß die Gala-Leserin. Langsam wünsch ich mir eines dieser alten Terroristen-Plakate. Ich schreib einfach die Namen der bekanntesten Berliner Promis unter die Fotos und ixe einen nach dem anderen aus. Zierl kann schon weg. Lauterbach auch. Der war als Axel Springer verkleidet – das zählt doppelt. Rolf Eden fehlt mir noch. Wolfgang Völz. Und Didi Hallervorden. Um die Sache etwas zu beschleunigen, schau ich schon mal nach Karten für die „Komödie am Kurfürstendamm“. Das bringt mir Herbert Hermann, Wolfgang Spier und Michele Marian, hehe… In der Giesebrechtstraße, Ecke Meyerinckplatz, stehen die Fenster offen zum Lüften. Zumindest an der Frontseite. Seitlich sieht man Hände hinter Glas, die geschäftig Bücher durchblättern und das ein oder andere Lesezeichen entnehmen. Vorm Café gegenüber sitzen zwei Schwule mit traurigen Augen. Aber niemand legt Blumen vor die Tür von Evelyn Künneke. Das macht man nicht, in Berlin, sagt Gabi.