Alte Oper, Frankfurt. 10.03.2004
Im Vergleich zum Wilsons Pet Sounds-Konzert vor zwei Jahren war meine Vorfreude irgendwie nicht überwältigend. Pet Sounds gehört ja zu den größten Alben der Popgeschichte, während Smile, das unvollendete Beach Boys-Konzeptalbum von 1967, das Wilson dieses Jahr zum ersten Mal live spielte nur das größte Rätsel der Popgeschichte ist. Obwohl mir die meisten einzelnen Smile-Stücke bekannt sind (s. das Good Vibrations-Boxset), wusste ich einfach nicht, was ich von dem Konzert erwarten sollte. Zumindest, was den zweiten Teil mit Smile anging.
Der erste Teil lief ähnlich wie 2002: Brian und seine zehnköpfige Band spielten Beach Boys Hits und Misses und erst nachträglich fällt mir auf, wie verwöhnt ich gewesen sein musste, um nicht von einer Live-Version des 1972er Klassikers Marcella begeistert zu sein. Ja, er hat es auch vor zwei Jahren gespielt, und ja, seine Stimme war vielleicht damals noch ein Tickchen stärker, aber immerhin war es auch dieses Mal verdammt gut. Und Überraschungen gabs auch: Good Timin, ein vergessener Juwel aus den 70ern; eine a capella Version von And Your Dreams Come True; zwei neue Lieder, wobei eins davon, das wunderbare Soul Searchin, schon in den 90ern geschrieben und in einer Version von Solomon Burke veröffentlicht wurde.
Erst in der Pause habe ich darüber nachgedacht, was für ein eigenartiger Event das Konzert war. Siebenunddreißig Jahren Spekulation über Smile würden bald beendet werden. Ich habe in den letzten 10 davon zahlreiche Chat-Groups und Webseiten gelesen, die nur dazu da sind, um über Smile zu reden (und zu streiten). Die Songliste und Reihenfolge sind die Streitpunkte und Beach Boy Mike Love der Sündenbock für das damalige Nicht-Erscheinung des Albums, aber in einem Punkt sind sich alle einig: Smile wäre das perfekte Album gewesen, besser als Pet Sounds. David Thomas, Kopf von Pere Ubu, hatte ein überzeugendes Argument in dem Arte-Dokumentarfilm Die Beach Boys und Der Satan: Pefektion kann es nie geben, also ist Smile perfekt, weil es nicht existiert. Wir haben die Stücke, aber nicht das Ganze. Und jetzt, da es das Ganze hier auf der Bühne in der Alte Oper geben wird, ist es nicht mehr perfekt? Ich wusste immer noch nicht genau was zu erwarten, war aber ziemlich begeistert.
Smile fing also an mit dem a capella Our Prayer und Heroes and Villains in einer 10-minütigen Version. Das Medley aus The Old Master Painter und You Are My Sunshine war dabei, Child is Father of the Man kam interessanterweise vor Surfs Up, und langsam fragte ich mich, wann Good Vibrations kommen würde. Der Überhit wäre auf jeden Fall auf Smile gewesen und zwar, glaubten die meisten, irgendwo in der Mitte. Jetzt war es aber klar, dass GV erst am Ende kommen wird; ein Kompromiss, dachte ich zuerst, damit Brian mit einem bekannten Stück Schluss machen könnte. Als vorletztes Stück kam der letzte Teil der Elements Suite, nämlich I Love To Say Da Da mit dem Wa, Wa, Water Mantra. Wasser als Vater des Lebens; was zur Zelebrierung des Lebens wurde, als Good Vibrations anfing. Das Publikum, das weitgehend wenig von der Smile-Legende zu wissen schien, war aus dem Häuschen und in einem schönen Moment kapierte ich, dass Smile schon immer seinen Sinn hatte. Siebenunddreißig Jahren musste es warten: es ist kein perfektes Album, aber ein gutes.
Jim Irvin behauptet in seiner gutgeschriebenen Kritik des London-Konzerts für Mojo, wäre Smile 1967 veröffentlicht worden, hätte es eher für Verwirrung als Sensation gesorgt. Was durchaus stimmen mag. Oder auch nicht. Gott sei Dank, es gibt immer noch Diskussionspunkte.