Cannabis Mythen – Cannabis Fakten

Das 1997 in den USA erschienene wissenschaftliche Standardwerk „Marijuhana Myths, Marijuhana Facts“ ist seit neuestem in einer deutschsprachigen Ausgabe erhältlich. Der in Kreisen Hanf-Interessierter recht populäre Bröckers fungiert als Herausgeber, und glücklicherweise auch nur als das: Sowohl seine quasireligiösen Lobpreisungen aller denkbaren Verwendungsarten der Pflanze wie seine neuesten wilden Verschwörungstheorien tauchen im Buch nicht auf.

Das ist aber noch der kleinste Pluspunkt dieses Werkes. 20 Mythen über Cannabis als Einstiegsdroge, Kriminalisierer, Gehirnverdampfer etc. werden unter die Lupe genommen. Egal ob es sich um Fahrtüchtigkeit oder Zeugungsfähigkeit handelt, Zimmer und Morgan haben sich durch einen Berg von Studien und Statements des 20. Jahrhunderts gegraben. Herausgekommen ist, dass die Gefährlichkeit von Cannabis, egal in welchem Zusammenhang, immer wieder mit nicht reproduzierbaren oder unseriösen Studien extrem überdramatisiert worden ist. Statistische Hütchenspiele und politische Ignoranz waren die Regel, ganz zu schweigen davon, Cannabis als Verursacher von individuellen Problemen hinzustellen, die schon vor dem Konsum bestanden.

Auch für Laien verständlich referieren Zimmer und Morgan zu Beginn jedes Kapitels den jeweiligen Mythos, ergänzt um mehrere belegende Zitate, um daraufhin die zusammengefasste Widerlegung dagegen zu stellen. Anschließend werden ausführlich verschiedene Studien referiert, analysiert und gegeneinander interpretiert, bis gesicherte Erkenntnisse und offene Fragen einigermaßen klar sind. Das Eingeständnis dieser offenen Fragen spricht für die Redlichkeit der AutorInnen: So wird z.B. weitere Forschung zur im Vergleich zu Tabak geringen Lungenschädlichkeit im Spezialfall immunsystemgeschwächter AIDS-Infizierter geraten, ebenso wie genauere Erforschung des Einflusses von Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit.

Obwohl es sich um ein wissenschaftliches Buch voller Fußnoten mit empirischen Belegverweisen handelt, ist es sehr unterhaltsam zu lesen und steckt voller Anekdoten. So zum Beispiel die von dem Leistungsmotivationstest, der die Arbeitsmotivation von Gelegenheitskonsumenten mit Dauerbekifften vergleichen sollte. Unter Laborbedingungen wurde harte stupide Arbeit mit Wertmarken vergütet, die während des 31-tägigen Tests gegen Joints eingetauscht, aber auch gespart und am Ende zu Bargeld gemacht werden konnten. Während der ersten zwangsweise rauschfreien Tage arbeiteten die starken Cannabiskonsumenten dabei so viel, dass sie anschließend in ihrer weniger produktiven Phase jede Menge Joints rauchen konnten und zum Schluß trotzdem noch ebensoviele Wertmarken zum Bargeldtausch wie die Gelegenheitskonsumenten vorweisen konnten. Ergo: Dauerkiffer haben mehr vom bürgerlichen Leben?

Claudia Müller-Ebeling hat gute Übersetzungsarbeit geleistet: Amerikanische Institutionen werden strikt mit Originalnamen genannt und sogleich in Kommentarklammern übersetzt. Wo neuere europäische Forschungsergebnisse der letzten Jahre bekannt sind, werden auch diese kurz erwähnt, wodurch die deutsche Ausgabe auf einem geringfügig aktuelleren Stand ist als das Original. Der seit 2003 in eine neue Runde gegangene bundesdeutsche Gerichtsstreit um dem Führerscheinentzug taucht allerdings noch nicht auf.

An manchen Stellen scheinen drogenpolitische Einschränkungen durch, die in der wissenschaftlichen Diskussion so schon nicht mehr Konsens sind, nämlich die Fokussierung auf Cannabis als besonders legalisierenswerte Droge Abgrenzung zu den auch nur repressiven Mythen, die sich um andere illegalisierte Substanzen ranken. Aber vielleicht ist das ja nur eine Taktik der kleinen Schritte.

Einige Kapitel (wie z.B. Cannabisgesetze und Justiz) beziehen sich so stark auf die USA, dass sie im deutschsprachigen Raum eher von kulturwissenschaftlichem als von aufklärerischem Interesse sind. Ergänzend zur Buchlektüre möchte ich darum noch eine leicht zugängliche Empfehlung geben: Prof. Dr. Stephan Quensel, Birgitta Kolte, Frank Nolte: Zur Cannabis-Situation in der Bundesrepublik Deutschland, Bremer Institut für Drogenforschung 1995. → http://www.bisdro.uni-bremen.de/quenselnl/brd.pdf oder → http://www.bisdro.uni-bremen.de/quenselnl/brd.html.

Lynn Zimmer, John P. Morgan, Mathias Bröckers:
Cannabis Mythen - Cannabis Fakten. Eine Analyse der wissenschaftlichen Diskussion.
24 €, Nachtschatten Verlag Solothurn, 2004
ISBN: 3037881208

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