Fischmob: Power

Der Sommer groovt aus allen Poren, und den Soundtrack dazu liefern heuer Fischmob, deren Namen man sich mal in seinen Einzelteilen auf der Zunge zergehen lassen muß: Cosmic DJ, der Schreckliche Sven, Stachy (sprich: Stachi) und Koze (sprich: Kotze). Auswendig lernen und dreimal täglich vor den Mahlzeiten aufsagen!
Engel können fliegen, weil sie sich leicht nehmen, alle anderen (Menschen, Nashörner, Elefanten etc.) müssen leider unten bleiben. So ähnlich ist das auch mit Hip Hop vs. Rap: während letzterer ausgeprägte Bodenhaftung aufweist, kommt ersterer beschwingt auf kleinen Luftkissen daher und steigt auf in schwindelnde Höhen über den Wolken, wo die Freiheit mutmaßlich grenzenlos ist.

A propos: „Susanne zur Freiheit“ wurde von Mitgliedern der Hinter-Net!-Redaktion bereits zum Sommerhit der Saison gekürt, und das nicht etwa in vorauseilender Panik vor Monstern à la „Macarena“ oder „Samba de Janeiro“, sondern aus gutem Grund. Die Jungs spielen „Ich packe meinen Koffer…“ und haben sich zur Unterstützung Smudo und Hausmarke ins Studio geholt („Fischmob Allstars“) – kongeniale Partner in Sachen Relaxing, man denke nur an den „Tag am Meer“. Mit diesem kann sich das Fischmob-Opus durchaus messen, deshalb: anhören und zurücklehnen, denn „wenn ihr nicht dabei seid, dann herzliches Beileid“!

Die Musik von Fischmob hat was von einem gebutterten Baguette (solangs nicht vom Bäcker „Georges“ bei mir an der Ecke kommt, wo alles Scheiße schmeckt und vor dem an dieser Stelle mal gewarnt werden muß): innen weich und luftig, außen cross und obendrauf was Fettes. Will sagen: zwirbelige Beats, groovende Samples, nette Pop-Melodien – aber auch mal härterer Stuff und schön schwülstig-kitschiger Philly-Sound (s. „Susanne zur Freiheit“: welchen Beruf hat Jackie Brown nochmal…?!!!). Wo wir gerade davon sprechen: ähnlich wie Meister Tarantino (der selbst auch dran glauben muß: „Du (Äh, Du)“ verbrät Teile von Ricky Nelsons „Losesome Town“, seinerzeit „Pulp Fiction“-Untermalung) sind Fischmob große Klasse im Zitieren, vor allem aus dem Arsenal der 80er Jahre. Die liegen nun lange genug zurück, um Peinliches in Kult zu verwandeln (s. Modern Talking). Depeche Mode- und NDW-Parties waren die Vorreiter, jetzt tummeln sich auch in den Charts Seite an Seite mit Falco Neuaufgüsse von Smash-Hits wie „Cherish“ und „When the rain begins to fall“, von Puff Daddys Police-Recycling klingen uns sowieso noch die Ohren…

Für Leute, die in den 80ern jung waren, ist das ein einziges großes Suchbild mit psychohygienischem Effekt in Form von Erfolgserlebnissen. Und die sind Balsam auf der Seele von Menschen, die sich angesichts der Fragen der SDR 3-Musikrätselsendung „Dr. Music“ nur noch in ein großes Fragezeichen verwandeln! Jaja, „time keeps on slippin´… (into the future)“, wie Fischmob korrekt zitieren. Auch die Zeilen „Life is live“ und „Let the music play“ kommen einem bekannt vor (Shannon, einst 1983…), ein weiteres Implantat ist der legendäre Anfang von „Shout“ (Tears for fears, 1985). Schmankerl sind auch die Stimmen von Magnum (Hey, kennt noch jemand die Dame, mit der er Tennis spielen will? „The Night“, 1984… Aber wer zum Teufel ist Lawrence Ampson?) und „Herzblatt“-Susi sowie zahlreiche Anspielungen in den Lyrics. Wahre Fundgruben der Pop-Kultur sind „Susanne zur Freiheit“, der Lowfi-Song „Tranquilo“ und mit Einschränkung auch „Du (Äh, Du) und „Mach doch“. Von Ray Charles, Diogenes und Babapapa über Pur, Richard Sanderson, Otis Redding, Rappelkiste, Dream Warriors und Robert Schneider bis hin zu den Smiths ist alles abgedeckt…

Überhaupt – die Texte! Was Udo in den 70ern und die Ärzte in den 80ern waren, sind Deutsch-Hip-Hopper wie die Fantas – und Fischmob! – für die 90er. Prädikat: besonders hörenswert! Meine Lieblingszeilen sind „Dieses Kribbeln im Bauch, das du nie mehr vergißt, so als ob sich Ungeziefer durch die Bauchdecke frißt“ (aus dem super-ekligen „Dreckmarketing“) und „Ich weiß nicht, was passiert ist, ich weiß nicht, was geschieht, weil die Zeit an mir vorbeizieht, ich glaub, sie ist auf Speed“ (aus dem Aufsteh- bzw. Liegenbleiblied „Tranquilo“)! Und last not least noch die zutreffende Festellung „Haste Haschisch in der Blutbahn, kannste rappen wie´n Wutan“ („Susanne zur Freiheit“)…

Am Ende stellen Fischmob die Frage aller Fragen („David“): Was macht eigentlich…? Wie lebt es sich in der Versenkung? Die 80er (und nicht erst sie) hatten eine Flut von Ex-und-Pop-Sternchen hervorgebracht (One-Hit-Wonders mag ich sie nicht nennen, denn die meisten waren die ganze Dekade über gute Bekannte und hatten mehr als nur den einen Hit samt obligatorischer Nachfolgesingle), und der Rückblick auf sie hinterläßt einen beklemmenden Beigeschmack. F. R. David („Ist er Scientologe oder der nette Mann vom Kundendienst?“) war zugegebenermaßen ein One-Hit-Wonder, aber was wurde z. B. aus Kajagoogoo und Limahl, Andrew Ridgeley (Ex-Wham!), Kim Wilde und Jimmy Somerville (immerhin Konstanten der 80er!), Laura Branigan, Rick Springfield (wird nächstes Jahr 50!), Gazebo, Alphaville, Spandau Ballett, Level 42, Matt Bianco, OMD, Sigue Sigue Sputnik, Bad Boys Blue, den restlichen Bananaramas und den Bros-Zwillingen, A-ha, Dead or Alive, Trans X, Pepsi & Shirley und den Thompson Twins, Paul Young, Howard Jones, Den Harrow, Tiffany, Sabrina, Rick Astley, Billy Idol, Black, Fancy, Corey Hart, Nik Kershaw, Sade, Captain Sensible, C. C. Catch, Lisa Stansfield, Paul Hardcastle, Terence Trent D´Arby, Curiositiy killed the cat, Belinda Carlisle, T´Pau und Johnny hates Jazz… Was machen Icehouse, Real Life, Men at work und Men without hats, Marillion, Huey Lewis, Feargal Sharkey, David Lee Roth, Billy Ocean und Lionel Richie (zählt wahrscheinlich sein Geld…)?

Welch skurrilen Beschäftigungen gehen die einstigen Chartbreaker heute nach – und welch zerstörte Persönlichkeiten (s. Rob Pilatus) mögen sich dahinter verbergen? Man weiß: Sandra ist Hausfrau und Mutter auf Ibiza, Cyndi Lauper desgleichen in New York, Adam Ant schauspielt, Paul King begab sich vor die MTV-Kameras und der 3. „Bros“ Craig Logan hinter die Kulissen der Musikbranche, Samantha Fox und Boy George tauchen von Zeit zu Zeit in Party-Reports der Regenbogen-Presse auf, Jason Donovan ist ein Junkie und Thomas Dolby Chef eines Unternehmens für Web-Seiten-Sounds. Vor diesem Hintergrund nehmen sich die Karrieren von Madonna, George Michael und Kylie Minogue um so beachtlicher aus. Exkurs beendet.

Fazit: „Diese Platte eröffnet das Zeitalter des Allround-Styles! Digital oder analog. Schrammel oder Beats. Alles wird gut. Denn die Mutter von alledem heißt Musik. Und Mutter hat immer Recht“. Dieser Fischmob-Selbstaussage ist nur zuzustimmen: es groovt, zirpt und blubbert, schrammelt, sampelt und schmilzt allerorten. Stilistisch legen sich die vier nicht fest und bauen zudem noch Werbe-Comics und Polizeifunk-Fetzen ein.

Alsdann:
„Wir begrüßen die Passagiere des Fluges Fischmob FM 98 an Bord und wünschen Ihnen einen angenehmen Flug“…

Fischmob: Power
(Alternation/Intercord)

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