Dpr erklärt euch das Internet

Was ist das Internet. Das Internet ist das Leben, also ein krimineller Ort. An ihm haust der Idealist einträchtig neben dem Intriganten, hier trifft sich intellektueller Tiefsinn mit der Facebookhymne „Bin gerade aufgestanden“, hier blättert man von einem Foto der syrischen Gräuel unvermittelt zu dem einer geschändeten Vierjährigen. Im Internet werden Geschäfte gemacht und zwar im doppelten Wortsinn, wobei der Teufel wie immer auf den größten Haufen scheißt. Es wird beschenkt und bestohlen, ge- und missbraucht, ein Philosophensatz besitzt die gleiche digitale Wertigkeit wie der Satz eines geistigen Brandstifters. Also, noch einmal: Das Internet ist das Leben ist ein krimineller Ort, eine Inszenierung, ein Konvolut von Texten, Literatur im Rohzustand, die darauf wartet, dramaturgisch hergerichtet zu werden, ein Krimi.

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Ach übrigens: die Zeiten ändern sich

Damit ich auch mal was zum Urheberrecht gesagt habe und zum „JA!“, das einem gerade auch aus krimiliterarischer Richtung entgegenschallt: Verschissen, Leute. Arschkarte gezogen. Das läuft jetzt so wie in der Musikindustrie, als MP3 aufkam. Unsere MP3s heißen ebooks und vergesst mal schnell so etwas wie „Kopierschutz“. Die illegale Verbreitung von ebooks wird man nicht verhindern können, es sei denn, man stellt einfach keine mehr her, was aber illusorisch ist.

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Michael Molsner: Dich sah ich

dich_sah_ich.jpg Der Krimi lässt vieles mit sich machen, mehr oder weniger klaglos, wenn man das Ächzen im Gebälk der Story, der Sprache, der Intention gnädig überhört. Eine Prise Krimi als geschmackliche Verfeinerung, der Spannungskick als Einschlafverhinderungshilfe und, versteht sich, schlagendes Verkaufsargument. Die entscheidende Frage lautet dann zuverlässig: Würde der Text auch ohne das Krimikorsett eine gute Figur machen und, falls ja, warum braucht er dann überhaupt diese Stütze? Bei Michael Molsners „Dich sah ich“ fällt die Antwort leicht: Ja, macht eine gute Figur, doch, Krimi kann nichts schaden.

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Das nächste wird gezeigt und das übernächste angekündigt

bote_2_200.jpg Oops, da ist Grafiker Markus aber ein ziemlicher Fauxpas unterlaufen! Was soll denn der Computer unten rechts? Egal; Mitte März ist er endlich unterwegs, der Bote durch die Zeit. Und das erste Kapitel des übernächsten Büchleins ist auch schon geschafft. Und, hey, es ist eine Fortsetzung! Der „Menschenfreunde“! Vielfach erwünscht!
Hm… ich setz jetzt mal den →Amazonlink zum „Boten“, okay? Will ja eh keiner was Signiertes, persönlich Gewidmetes ohne Mehrkosten und Porto und Verpackung und so. Oder doch? Dann→ Nachricht.

Guido Rohm: Letzte Interviews

die-sorgen-der-killer.jpgSo ist das. Zwei Jungs haben eine Geschäftsidee, dann kommt ein Krimiautor und macht sie zunichte. Nicht irgendein Krimiautor, sondern Tom Torn. Sein Freund Guido Rohm berichtet wahrheitsgemäß, was da geschah. Die Botschaften vorweg: Schriftsteller sind Idioten, es lebe der Neoliberalismus, die Presse ist sensationsgeil und Guido Rohm veröffentlicht bald einen neuen Erzählband, →„Die Sorgen der Killer“, den nicht zu erwerben ein krimiwürdiges Verbrechen ist.

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Translate this!

„Jackie Brown, sechsundzwanzig, sagte ohne Ausdruck im Gesicht, dass er ein paar Schnellfeuergewehre besorgen könne.“ (aus: George V. Higgins: „Hübscher Abend bis jetzt“. Hoffmann & Campe 1973, übersetzt von Ben Witter)

„Jackie Brown, sechsundzwanzig und ohne eine Regung im Gesicht, sagte, dass er ein paar Kanonen besorgen könne.“ (aus: George V. Higgins: „Die Freunde von Eddie Coyle“. Goldmann 1989, übersetzt von Jürgen Langowski)

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Liebe Verlage,

Entschuldigung, wenn ich euch störe, liebe deutsche Krimiverlage. Ich weiß, ihr habt immer alle Hände voll zu tun. Der neue Südafrikakrimi… der neue Finanzhaiekrimi… der neue Moralkackselbstbespiegelungskrimi… aber auf ein Wort, liebe Krimiverlage: HIGGINS! George V. Higgins, kennt ihr nicht, aber toller Autor, mein Wort drauf. Wäre auch gerade frei, also rechtemäßig, wohlfeil, fünf Übersetzungen aus den Endachtzigern, den Anfangsneunzigern liegen vor, gar nicht mal schlecht. Hat Goldmann damals in Auftrag gegeben, na ja, war nicht so der Kassenbrüller, aber ihr macht das besser, ja?
Versucht’s einfach mal! Natürlich mit „Die Freunde von Eddie Coyle“ anfangen, nur bitte nicht in der Übersetzung von Ben Witter (Hoffmann & Campe 1973), das klingt – um mal einen Kollegen zu paraphrasieren – als wäre der Sprache der Gummizug ihrer Unterhose gerissen und sie würde jetzt tölpeln durch den Text storchen (okay, doofes Bild mit zwei Vögeln). Und nennt das Ding auch bitte nicht „Hübscher Abend bis jetzt“, sonst wünsch ich euch einen Albtraumabend ab jetzt! – Hm, oder lasst das Ganze einfach neu übersetzen, mir fällt da gerade ein guter Name ein, die kann das…

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Buddy Giovinazzo: Piss in den Wind

giovinazzo-piss-in-den-wind.jpg Ein Buch – zwei Meinungen. Nein, kein Kritikerstreit, denn beide sind sich einig: Buddy Giovinazzos „Piss in den Wind“ erzählt eine ebenso gradlinige wie vertrackte Geschichte, die ihr Thema mit Respekt und ohne die sonst üblichen Beigaben des Pompösen und Schaurig-Sensationellen aufbereitet. Dass zeitgleich mit dem Erscheinen von „Piss in den Wind“ auch Giovinazzos Debüt „Cracktown“ eine verdiente Neuauflage erfahren hat (und Neuauflagen weiterer Werke angekündigt sind), gibt dem Ganzen eine besondere Note – und allen Interessierten Gelegenheit, den erstaunlichen erzählerischen Reichtum des Autors in aller Ruhe zu begutachten.

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Projekt ORGASMUS

In letzter Zeit häufen sich →die Klagen über schädliche, weil nicht den Vorstellungen der Autorinnen und Autoren gemäße Besprechungen literarischer Werke. Der wirtschaftliche Schaden, den solche „Rezis“ anrichten, ist in der Tat enorm und gerade in Zeiten von Eurokrise, schleichender Inflation und Sinnverlust ein nicht zu unterschätzender Standortnachteil für die deutsche Literaturwirtschaft. Doch solange jede und jeder als „Rezensent“ tätig sein kann, solange kein Regelwerk den respektvollen Umgang mit Literatur auf eine vernünftige objektive Grundlage stellt, lässt sich diesem Unwesen kaum Einhalt gebieten.

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Joachim Linder (1948 – 2012)

Es waren nicht die Kriminalromane an sich, die ihn interessierten. Aber er suchte das Kriminelle in den Romanen, die Spuren des Rechts in der Literatur, das Literarische in der Rechtsprechung ebenso. Vor allem letzteres verhinderte, dass er sich Illusionen über das „objektive Recht“ machte, gar von einer Gleichsetzung Recht = Gerechtigkeit träumte. Er war ein Realist, der die Literatur liebte und befragte, ein Kenner jener „alten Krimis“ zumal, von denen man anderswo immer noch nicht weiß, dass es sie gibt. Und er war, natürlich, ein streitbarer Diskussionspartner. Im Laufe der Zeit hatte man sich angewöhnt, auf Joachim Linders Reaktionen zu bestimmten Themen geradezu zu warten. Und natürlich kamen sie. Jetzt nicht mehr. Am 12. Januar 2012 ist Joachim Linder, Betreiber des Blogs →„Notizen und Texte“ im Alter von 63 Jahren verstorben.

Exposé für einen sehr deutschen Thriller

Liebe Gesine!
Ich darf Sie doch so nennen, meine hochverehrte Lektorin? Jedenfalls hat es mich sehr gefreut, dass Sie meine IDEE, ach was: meinen HAUCH von einer Idee für einen wirklich realitätshaltigen Thriller gewissermaßen auf Südafrika-Wirklichkeitsniveau nicht sogleich in Bausch und Bogen verworfen haben, wie es leider Ihre Kolleginnen und Kollegen anderer großer Verlagshäuser getan haben. Sie haben noch Mut zum Neuen! Sie sind noch innovativ! Aber genug des Lobes. Ich erdreiste mich, Ihnen anbei ein kleines Exposé zu übersenden, das heißt, ich möchte Ihnen zunächst einmal ganz zwanglos den PLOT meines Romanes umreißen. Es wird ein dicker Roman. Hardcover? 500 Seiten mindestens, also 19,90 €!

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Kommentarlos

Dass es hier Probleme mit den Kommentaren gibt, ich nach wie vor mit Spam zugemüllt werde – es dürfte euch nicht entgangen sein. Und jetzt komm ich dahinter, dass RICHTIGE Kommentare ganz rigoros gar nicht erst diesen Blog zu erreichen scheinen. Oder irgendwohin verschwinden, wo ich sie niemals vermuten würde. Dachte schon, ihr mögt mich nicht mehr… Würdet ihr mal ein paar Kommentare schreiben und mitteilen, wie toll oder beknackt wtd ist oder ob es bei euch gerade regnet, stürmt und schneit? Ich versuche dann mal, die unerforschlichen Wege der Kommentare zu verfolgen. Es ist ein Jammer…

Matthias Wittekindt: Schneeschwestern

wittekindt.jpg Reden wir über Kitsch. Was ist das? Kitsch ist die Nachahmung des Originellen, das Errichten potemkinscher Fassaden vielzimmriger Worthäuser, aber eben nur die Fassaden, ein Täuschungsmanöver für flüchtige Augen. Im Kitsch offenbart sich falsches, weil oberflächliches Lesen. Alles etwa, was heutzutage „romantisch“ daherkommt, hat Romantik nie wirklich verstanden, ahmt den Ton nach, trifft ihn aber nicht. Kitsch will mehr sein, Kitsch will Kunst sein, unbedingt, Kitsch strebt nach dem Höheren und löst sich doch nie von seinem traurigen Ausgangspunkt: dem Unvermögen zur originellen schöpferischen Leistung.
Kitsch zu erkennen, ist nicht immer leicht, denn entgegen der landläufigen Meinung steckt er nicht nur in „Lore“-Romanen und schwülstigen TV-Arztserien. Er verbirgt sich in Worthülsen, ist Modeschmuck, Talmi, er schwingt sich zu Gedanken auf, die einen in Ehrfurcht erstarren lassen, große Gedanken über die Menschen und die Welt und die Moral und überhaupt. Das beeindruckt, wenn man es beim ersten Blick und der wie mit Kanonen verschossenen Botschaft belässt. Und die Claqueure tun, was Claqueure nun mal tun: sie applaudieren. Bis irgendwann die Klatschhändchen erlahmen, weil die Zeit (nein, nicht die Wochenzeitung, die nicht) einen bösen Verdacht mit sich gebracht hat: Das ist alles Kitsch. Das ist das gute daran: Irgendwann entlarvt sich Kitsch von selbst, mal früher, mal später.

Wir hegen also die begründete Hoffnung, dass es auch einmal MatthiasWittekindts „Schneeschwestern“ erwischen wird. Der Inhalt des Buches kann lapidar in wenigen Sätzen zusammengefasst werden: Ein Mädchen wird ermordet. Und hätte die Polizei von Anfang an ihre Arbeit vernünftig getan, wäre der Fall nach 80 Seiten gelöst gewesen. Hätte sie zum Beispiel nach der Tatwaffe gesucht anstatt Polizistinnen „den Mond anschreien“, sie durch den Schnee stolpern und viele tiefgründelnde Flachheiten vom Stapel hauen zu lassen. Aber auch die potentiellen Täter sind nicht besser. Was sind sie eigentlich? Weiß man nicht so genau. Irgendwie Getriebene, die sich nicht im Griff haben oder ständig beim Pfarrer Dinge beichten wollen, die sie nicht getan haben. Und die Opfer? Jugendliche halt. Als potentiell dreidimensionale Wesen in der Handlung abgeladen und dort von der Sprachwalze des Autors kundig platitüdiert. Das Ganze spielt übrigens in Lothringen, unweit der deutschen Grenze, auch in Saarbrücken wird mal ermittelt.

Aber am schlimmsten sind die Polizisten. Der eine hat ein Problem mit seiner Freundin, der andere damit, keine zu haben. Eine Polizistin (die den Mond angeschrieen hat) findet zwar einen Freund, aber es ist irgendwie nicht der richtige. Ginge ja alles in Ordnung, würden die Leutchen nur ihren Job richtig machen und sich nicht ständig daran erinnern, dass sie sich gerade an etwas nicht erinnern, das aber natürlich höchst wichtig ist…

Nein, Korrektur: Am schlimmsten sind doch nicht die Polizisten, am schlimmsten ist die Sprache, denn die ist Kitsch pur. Wir erinnern uns: Kitsch ist die Nachahmung des Originellen etc. Also eine Sentenz wie diese etwa:

„Die Straße. Weiß. Sein BMW. Schwarz. Noch immer eine kleine Freude, der Anblick. Roland Colbert steigt ein, startet den Motor, schaltet das Licht ein. Blau. Die Tachobeleuchtung ist blau. Roland Colbert achtet nicht darauf. Es geht jetzt um Wichtigeres.“

Um Missverständnisse zu vermeiden: Nicht die Sprache an sich ist hier kitschig und der Rezensent ist auch nicht der letzte Ritter dudenkonformer vollständiger Sätze. Sprache ist überhaupt selten kitschig, viel mehr sind es die Absichten dahinter. Und die Absicht hinter diesen Sätzen lautet: Literatur. Weder dienen hier die Ein-/Zweiwortsätze dazu, einen bestimmten physischen (Eile) oder psychologischen ( sich vergewissern) Zustand zu unterstreichen. Noch wird hier ein Erzählduktus konsequent durchgehalten. Nein, es ist viel simpler: Jemand setzt sich in sein Auto und fährt weg. Es einfach hinschreiben? ZU einfach. Denn Wittekindt möchte Literatur herstellen, leider hat er vergessen, dass die nicht nur darin besteht, ein paar halbtiefe Gedanken (gerne auch mit Schopenhauer-Erwähnung) in einer Untiefe aus sprachlicher Pseudoartistik zu baden, um sie schön manieriert zum Trocknen aufzuhängen. Stimmt ja. „Die Straße. Weiß. Sein BMW. Schwarz“: Das klingt nicht nach Schulaufsatzdeutsch, das klingt nach „mehr“.

Dieses „Mehr“ treibt gelegentlich in aberwitzige Sphären, so wie der Wind den Schnee auf einer Wehe. „Es schneit keine dicken Flocken, sondern mitteldicke. Und sie fallen natürlich auch nicht von oben, sie bewegen sich schräg.“ Aha. Was schräg runterfällt, fällt nicht von oben? Good to know.

Nun denn. Kitsch ist, wenn die Sprache ein eitles Eigenleben führt, eine Königin ohne Land, ohne Bezug zum Inhalt. Was bleibt übrig? Ein reichlich überflüssiger und wirrer Krimi, der 350 Seiten benötigt, um nichts zu erzählen.

dpr

Matthias Wittekindt: Schneeschwestern. 
Nautilus 2011. 349 Seiten. 18 €