Sommerkrimi -2-

Kein Zweifel: Der sogenannte „Island Krimi“ (sein Markenzeichen ist der fehlende Bindestrich) erfreut sich bei deutschen Lesern zunehmender Beliebtheit. Arnaldur Indridason nähert sich dem Bestseller-Status, Stella Blomkwist schreibt für ihren Verleger schwarze Zahlen – und Viktor Arnar Ingólfsson beweist mit seinem Erstling „Das Rätsel von Flatey“, dass die Insel im Nordatlantik mit ihren knapp 270.000 Einwohnern jederzeit für Nachschub sorgen kann.

„Das Rätsel von Flatey“ spielt 1960 auf der gleichnamigen Insel im Breidafjord in Islands Westen. Auf einem öden Eiland wird die schon stark verweste Leiche eines Unbekannten gefunden, der Vertreter des Bezirksamtmanns soll den Fall klären, aber er ist neu, überfordert und hat mit eigenen Leichen im Keller genug zu tun.

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D.B. Blettenberg: Harte Schnitte

Obwohl in diesem Roman vier Menschen gewaltsam zu Tode kommen, fällt es schwer, ihn einen Krimi nennen. Das kann Gutes oder Schlechtes bedeuten. Kann, beginnen wir mit dem Schlechten, einfach heißen, hier habe ein Autor mit böser Absicht Elemente aus der Krimikiste gemopst, um einen vielleicht zu spannungsarmen Text aufzumotzen. Kann aber auch (jetzt sind wir beim Guten) bedeuten, dass wir uns einer ungewohnten Form von Kriminalroman gegenübersehen, die uns zunächst einmal verleugnen lässt, was nicht offensichtlich ist.

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Sommerkrimi -1-

Leicht verdaulich sollen sie sein. Sonnentauglich und so vergänglich wie die Jahreszeit. Eine schöne Erinnerung, wenn es wieder kälter wird, mehr nicht. Sommerkrimis. Wir beginnen unsere kleine Urlaubsfahrt im aktuellen Russland.

Was man über „Blind ist die Nacht“ von Tatjana Ustinowa“ vorab wissen sollte, passt in einen Satz: Vor der Haustür der Moskauer Journalistin Kira Jatt wird ihr Chef erschossen aufgefunden. Alles andere folgt zwangsläufig: Kira gerät unter Verdacht, ihre Lage wird von Seite zu Seite heikler, falsche Spuren werden gelegt, Intrigen gesponnen, Missverständnisse provoziert und aufgeklärt – und das Ende ist so happy wie erwartet.

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David Peace: 1974

David Peaces „1974“ gehört in mancherlei Hinsicht zu den erfreulichsten Erscheinungen des bisherigen Krimijahres. Schon dass damit ein kleiner, gar nicht auf Krimis spezialisierter Verlag mehr als einen Achtungserfolg erringen konnte, stimmt optimistisch. Das Buch wurde hinreichend rezensiert, dominierte die →„Krimi-Bestenliste“, was wiederum die Notwendigkeit und den Nutzen eines solchen Instrumentes beweist.

Die Geschichte von Edward Dunford, Gerichtsreporter für das nördliche England, nimmt keine Rücksicht auf die sensiblen und durch jahrelanges Lesen höherer Literatur domestizierten Geschmacksnerven seiner Leser. Kleine Mädchen werden brutal ermordet, ein Bau- und Korruptionsskandal scheint damit verknüpft, Leeds und Umgebung sind trostlos, seine Einwohner verzweifelt oder zynisch, brutal oder hilflos, wahrscheinlich alles zusammen. Gewalt regiert, die Säfte fließen, unser Held ist so weit entfernt von einem Helden, wie es weiter nicht sein kann, am Ende überschlagen sich die Ereignisse, alles wird gut, das heißt: Alles wird noch schlechter.

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T. Jefferson Parker: Silent Joe

„Mouth shut, Eyes open“, unter dieser Maxime wurde Joe von seinem Vater ausgebildet. Abends ist Joe als Leibwächter, Bote und Fahrer seines Vaters unterwegs, tagsüber arbeitet er als Polizist, zuletzt als Aufseher im Staatsgefängnis. Im Alter von fünf Jahren wurde er von seinen jetzigen Eltern adoptiert und wuchs in einem sehr wohlhabenden Elternhaus mit engen Kontakt zu den sogenannten Eliten auf.

Zu Anfang des Buches begleitet Joe seinen Vater, einen hohen Aufsichtsbeamten des Orange County, auf einer seiner dubiosen nächtlichen Touren. Geheimnisvolle Unterhaltungen finden statt, kurze Worte werden ins Telefon gesprochen, viel, sehr viel Geld wechselt den Besitzer und ein etwa zwölfjähriges Mädchen wird im Auto mitgenommen – am Ende ist der Vater tot, erschossen. Joe fühlt sich schuldig und versucht zu rekonstruieren, was er jener Nacht nicht verstand, was sein Vater beabsichtigte und welches Geheimnis dieser vor ihm, seinem Sohn verbarg.

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Vargas, Stein, Rezension(3)

Vorweg: Liest man „Der vierzehnte Stein“ als herkömmlichen Krimi, fokussiert auf Handlungsführung und Plausibilität auf, funktioniert er wie die übliche Dutzendware aus Autorenwillkür und Unlogik.

Zwei Beispiele: Während eines Lehrgangs in Kanada lernt Adamsberg ein junges, etwas seltsames Mädchen kennen und schläft mit ihm. Einige Tage darauf ist das Mädchen tot, erstochen mit einem Dreizack, der Mordwaffe des diabolischen Richters. Er ist, so die einzige logische Folgerung, Adamsberg nach Kanada gefolgt, und hat das Mädchen getötet, um Adamsberg zu belasten.

Logisch? Also ich weiß nicht. Woher wusste er, dass Adamsberg ein Mädchen kennenlernen würde? Warum setzt er sich überhaupt der Gefahr aus, den Kommissar auf diese Weise auszuschalten? Weil er ihm auf der Spur wäre? Ist er doch gar nicht! Keiner glaubt ihm!

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Vargas, Stein, Rezension(1)

Ein Buch rezensieren: lesen, sich was dabei denken, aufschreiben. Ist man einigermaßen geübt: kein Problem. Doch dann kommen die Ausnahmen. Lesen, sich was dabei denken … und das Gefühl nicht loswerden, „falsch“ gelesen zu haben. Das ist mir bei Fred Vargas, „Der vierzehnte Stein“, passiert, und deshalb gibt es eine lange Rezension in drei Teilen. Wir beginnen mit dem deprimierenden Anfang.

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Ian Rankin: Black and blue

(Es hat zwar ein paar Jahre gedauert, doch das Warten hat sich gelohnt. „Das Souvenir des Mörders“, deutsche Übersetzung von „Black and blue“ des schottischen Autors Ian Rankin, wird allseits als Meisterwerk gelobt. Dr. Bernd Kochanowski hat das Original gelesen und kann nur zustimmend nicken.)

Sie sind mir suspekt: Diese endlosen Krimi-Serien mit zehn und mehr Büchern, die immer um die gleiche Zentralfigur kreisen. Was uns unter dem Vorwand der Entwicklung einer Person angeboten wird, entpuppt sich häufig als Masche. Aber, so muss ich zugeben, manche Autoren wie Ian Rankin schaffen es, ihre Serien weiter zu entwickeln und uns immer wieder mit neuen Inhalten und anderen Erzählstrategien zu überraschen.

Als Kritik am Seriengedanken ist es aber wohl nicht aufzufassen, wenn deutsche Verlage, eigentlich Sachwalter der Interessen eines Autors, bei ausländischen Autoren die eigentliche Reihenfolge des Erscheinens der Bücher einer Serien verändern. Ökonomische Gesichtspunkte sind hier wohl eher im Vordergrund zu sehen. So kommt denn, unter dem Titel „Das Souvenir des Mörders“, der deutschsprachige Leser erst jetzt in den Genuss des 1997 erschienenen und im gleichen Jahr mit dem „Gold Dagger“ ausgezeichneten Buchs „Black and Blue“ von Ian Rankin.

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Daniel Dubbe: Tropenfieber

Dieser Krimi hat Tempo. Detektiv Richard Karter wird beauftragt, seinen verschwundenen Kollegen Markmann zu finden, der wiederum auf Madagaskar hinter dem gleichfalls verschollenen russischen Dichter Limonov her war. Also ab ins Flugzeug – und schon finden wir uns an Karters Seite auf der großen mysteriösen Insel im Indischen Ozean wieder, hineingeworfen in Schwüle, Exotik und Hoffnungslosigkeit.

Alle Frauen sind scheinbar Prostituierte. Nun gut, ein Madegasse, der sich eine Woche ausschließlich im Rotlichtviertel einer deutschen Großstadt aufhält, wird wohl das hiesige weibliche Geschlecht ähnlich schildern. Die Männer, so sie schwarz sind, vertreiben sich ihre Zeit als Provinzdespoten und ihre Helfershelfer oder Chauffeure, so sie weiß sind, lassen sie sich, enttäuscht von der Welt, auf der Suche nach einer besseren, treiben.

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Laura Lippman: Butchers Hill

Je mehr Kriminalromane ich lese, desto wichtiger werden mir die Einzelheiten. Das Nebenpersonal. Die fleißigen Handlanger der Story, einzig geschaffen, den Erzählfluss am Laufen zu halten, Stichwortgeber für den Helden, die Heldin und den ersten Kreis der sie umgebenden Geschöpfe, die Auftraggeber, Verdächtigen, Opfer.

Sie nicht als bloße Objekte zu erschaffen, ist eine humane Geste des Verfassers / der Verfasserin, die besagt: Seht her: Ich nehme meine Arbeit ernst. Ich bin nicht darauf fixiert, eine mehr oder weniger spannende Story in all ihren essentiellen Punkten abzuhaken. Ich erzähle euch eine Geschichte, zeige euch eine Welt, und wie in jeder vernünftigen Welt hat auch hier alles was atmet seine Biografie. Und sei es nur ein kleiner Ausschnitt daraus. So gesehen, ist Laura Lippman mit „Butchers Hill“ ein sehr humaner Roman gelungen.

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S.J. Rozan: Winter and night

(Neu: Rezensionen fremdsprachiger Krimis auf der Grundlage der Originale. Nebeneffekt: Man freut sich auf Bücher, deren deutsche Übersetzung noch aussteht oder fragt sich, warum dieser Krimi bis heute nicht ins Deutsche übertragen wurde. So wie S.J. Rozans „Winter and night“ aus dem Jahr 2003. Der Rezensent wundert sich…)

„Du bist nichts, Dein Team ist alles“ so steht es in den Umkleideräumen des Hamlin Training Centers, welches Heranwachsende aus Warrenstown zu guten American Football Spielern ausbilden will. Eine eigenartige Faszination übt dieser Sport ja aus. Die einzelnen Spielzüge können ausgefuchste taktische Meisterleistungen und Zeichen einer ausgefeilten Choreographie sein, … aber … trotz Schutzausrüstungen: Er geht auf die Knochen. Er ist rau. Um die Unterordnung des Einzelnen unter die Mannschaft, auch darum geht es im Buch „Winter and Night“ von S.J.Rozan.

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Sandra Lüpkes: Halbmast

Carolin Spinnaker, Fotografin beim Nachrichtenmagazin Objektiv, steckt in mehr als einer Klemme. Sie befindet sich an Bord des Luxusliners Poseidonna, um dessen spektakuläre Überführung von der Werft ins offene Meer zu dokumentieren. Knifflige Arbeit, einen solchen Koloss über die Ems zu manövrieren. Und nicht unumstritten, weil man das Flüsschen dem Zweck hat „anpassen“ müssen.

Carolines Probleme beginnen, als Lars Minnesang, ihr Reporterkollege, spurlos verschwindet. Er war einer heißen Sache auf der Spur, einem Skandal – was ist mit ihm passiert? Statt seiner sind plötzlich zwei blinde Passagiere auf der Bildfläche. Einer will die Natur schützen und plant daher Sabotageakte. Den anderen haben Rachegründe auf die „Poseidonna“ getrieben.

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Andreas Hoppert: Die Medwedew-Variante

„Watching the detectives“ lässt lesen. Diesmal Dr. Bernd Kochanowski den neuesten Krimi von Andreas Hoppert, „Die Medwedew-Variante“.

Jeden Morgen das Gleiche. Ratlos liegt Marc Hagen da und weiß nicht, wer er ist, wo er ist und was gestern war: Er leidet an einer partiellen Amnesie. Alle Erinnerung an sein früheres Leben, an Familie, Freunde und Bekannte sowie an alles was sich gestern ereignete, ist in einem schwarzen Loch verschwunden. Seine einzige Verbindung zu der jüngeren Vergangenheit ist das Tagebuch, welches er führt. Tag für Tag kann er dort wieder nachlesen, was er in den Vortagen erlebte oder was ihm erzählt wurde. Nicht-personenbezogenes Wissen und sein logisches Denkvermögen sind nicht beeinträchtigt.

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John LaGalite: Zacharias

Vorstadt, Mietshaus, eine Frau ohne Mann, ein zwölfjähriger Sohn namens Zacharias, zuckerkrank. Eine Selbstmörderin fliegt durch die Luft, zerschmettert zu Zacharias’ Füßen, das heißt: Eine Wohnung wird frei.

Ein merkwürdiger Mann zieht ein, ein merkwürdiger Mann, weil er merkwürdige Gewohnheiten hat, Leute beobachtet, von Zacharias beobachtet wird. Der Mann hat einen Motorradunfall und ist querschnittsgelähmt, die Mutter, die Geld verdienen muss, pflegt ihn, Zacharias, der den Mann verhören will, hilft ihr. Warum verhören? Der Mann ist wahrscheinlich ein Frauenmörder, mehrmals schon hat er in der Nachbarschaft zugeschlagen. Zacharias ermittelt.

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Arnaldur Indridason: Menschensöhne

Alle bislang in deutscher Sprache vorliegenden Krimis des Isländers Arnaldur Indridson orientieren sich an einem identischen Zeit-Handlungsschema. Ein Verbrechen geschieht (oder wird entdeckt), dessen Ursachen in der Vergangenheit liegen. So etwas wird auf Dauer fad, und ich gestehe freimütig, dass ich spätestens beim dritten Roman eines solchen „Maschenautors“ aufhöre, mich für seine zukünftigen Produkte zu interessieren.

Bei Indridson ist das anders. „Menschensöhne“, eigentlich der Debütkrimi des Autors, aber nur Nummer Vier der deutschen Veröffentlichungschronologie, fesselt, obwohl man die Dramaturgie rasch durchschaut und die Handlung einer erkennbaren „Musterlösung“ zusteuert.

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