Mit einem Städtetripp nach Shanghai beschließen wir heute unsere kleine Reihe mit Sommerkrimis. Irgendwo vertraut, was uns an Verbrechen dort erwartet, aber doch auch fremd, überraschend und lehrreich.
WeiterlesenSchlagwort: Buchkritik
Norbert Horst: Todesmuster
Authentische Polizeiarbeit ist eine triste Sache. Berufsalltag halt und daher nur in Maßen krimitauglich. Da ist es fast ein Glück, dass die meisten Autoren nichts von Polizeiarbeit verstehen, ihr Wissen von Vorgängern übernehmen, die auch nichts davon verstanden haben oder ein recherchiertes Faktengerüst mit den Ergebnissen ihrer Phantasie behängen.
Norbert Horst versteht etwas von Polizeiarbeit; sie ist sein täglich Brot. So gesehen, beginnt man die Lektüre von „Todesmuster“ mit einer gewissen Befürchtung ob der drögen Dinge, die einem da wohl geschildert werden. Es braucht indes nur wenige Seiten, diese Befürchtung als unbegründet ad acta zu legen.
WeiterlesenCharles Benoit: Relative danger
Im US-amerikanischen Krimi kann man über die letzten Jahre eine Verschiebung, weg von verwurbelten Rätseln hin zum erzählenden Roman beobachten. Charles Benoits Erstling „Relative Danger“ ist ein gutes Beispiel für die neue Stilistik. Er ist ein Krimi gewordener Reiseroman, geschrieben für eine Nation, bei der man das Gefühl hat, dass für sie die Juden der Gegenwart die Moslems sind.
WeiterlesenSommerkrimi -6-
Italien dort, wo es stirbt. Ein kleiner Ort im Hinterland der Adria, ein paar Zwanzig Menschen, viele schon älter, eine Gemeinschaft, die vergangenen Zeiten nachtrauert und von den gegenwärtigen vergessen wurde. Und dann ist alles anders: In diesem drückend heißen Sommer wird ein Mann von einer Viper gebissen, und eine andere Person sorgt dafür, dass jede Rettung zu spät kommt. Etwas bewegt sich in Montesecco.
Bernhard Jaumann erzählt uns in „Die Vipern von Montesecco“ eine hochmoralische Geschichte, den allmählichen Einbruch des „Anderen“ in eine auf den ersten Blick idyllische Welt. Das Verbrechen schürt Misstrauen, bringt Dinge ans Tageslicht, die besser verborgen geblieben wären, und je mehr diese Welt ins Wanken gerät, desto bedrohlicher schiebt sich eine andere in die harmlose Topografie Monteseccos. Eine Welt ohne Ordnung, ohne Gesetz, eine Welt am Rande des Archaischen.
WeiterlesenGunnar Steinbach: Prälat Abels letzte Fahrt
Bei Krimis legt man nicht jedes Wort auf die Goldwaage. Sie sind handlungsorientiert und verbauen einen Gutteil ihrer Energien in Spannungsbogen. Die Sprache bleibt sekundär. Sie sollte uns nicht quälen; nicht gekünstelt sein aus „Literaturgründen“, nicht hingerotzt aus „Authentizitätsgründen“.
Aber es ist kein Naturgesetz, dass sich Sprache stets mit dem Transport von Inhalten begnügen muss, auch nicht in Krimis. Chandlers Sprache etwa war eins mit dem Inhalt. Ja, und weil dem so war, wurde sie selbst Inhalt. Das kann so weit gehen, dass, wie etwa bei Wolf Haas, die Sprache den Inhalt dominiert. Zu dieser Gruppe kann man auch Gunnar Steinbach mit seinem Romandebüt „Prälat Abels letzte Fahrt“ rechnen.
WeiterlesenJean Amila: Mond über Omaha
Jean Amila (1910 als Jean Meckert geboren, 1995 gestorben) war ein Vertreter der „série noire“, jener französischen Nachkriegsvariante des amerikanischen hard boiled. Eine sehr eigenständige Bewegung, die den moralischen Zynismus, die schriftstellerische Ökonomie der Vorbilder um einige Errungenschaften der „alten Welt“ ergänzte. Lakonische Parolen, wütend hinausgespuckte Moral, dabei politisch wach, literarisch durchaus am Experiment und an der Provokation interessiert.
WeiterlesenSchule der Rezensenten -1-
Das Kind hat verschiedene Namen. Rezension, Buchbesprechung, Literaturkritik. Müsste ich mir einen aussuchen, dann letzteren, weil „Literaturkritik“ in schöner Eindeutigkeit die Elemente benennt, um die es geht: Man kritisiert Literatur.
WeiterlesenLudwig Tieck: Der Bayersche Hiesel
Was soll man davon halten? Ein junger Autor schreibt die Lebensgeschichte eines Wildschützen und lässt keine Gelegenheit verstreichen, den Burschen zum „edlen Kriminellen“ zu erheben. Dann – den Wildschütz hat seine Strafe ereilt, er ist gerädert und gevierteilt – beendet er seinen Bericht mit einem schier unfassbar kecken Bekenntnis.
WeiterlesenRenate Kampmann: Fremdkörper
Über die Gründe für die nicht nur hierzulande enorme Beliebtheit von Krimis aus dem Forensikmilieu kann man nur spekulieren. Vielleicht ist es dieses Nebeneinander von archaischem Grauen und nüchterner Wissenschaft, das den Reiz des Zweiges begründet. Dass dessen Helden in aller Regel Heldinnen sind, mag das Bild abrunden. Die Frau als Mittlerin zwischen dem Irrationalen und dem Rationalen. Ende des psychoanalytischen Einstiegs.
Renate Kampmanns „Fremdkörper“ spielt in diesem Milieu. Ihre Protagonistin Leonie Simon arbeitet als Gerichtsmedizinerin in Hamburg, hat eine detektivische Ader und das ausgeprägte Talent, sich überall Feinde und sonstige Gegner zu machen.
WeiterlesenJeffery Deaver: The vanished man
Lincoln Rhyme ist gegenwärtig vermutlich der legitime Nachfolger Sherlock Holmes’. Wie dieser widmet er sich der minutiösen Analyse von am Tatort gefundenen Spuren. Während Sherlock Holmes mit aus heutiger Sicht etwas altmodischem Werkzeug zu Werke ging, verwendet Lincoln Rhyme [von Deaver allerdings sehr frei angewendete] „state-of-the-art“ – Werkzeuge, wie Gaschromatograph, hochauflösendes Mikroskop und die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets.
WeiterlesenWeltmacht Europa – Hauptstadt Berlin?
„Imperialismus“ prangt als Kategorisierung auf diesem konkret-Band. Das mag viele Leute erstmal irritieren, geht es doch um das friedliche Europa. Dieses wird in jüngerer Geschichte und aktueller Politik seziert, bis es gar nicht mehr so friedlich dasteht: „Die Autoren zeigen das Aggressionspotential der ‚Großmacht mit Herz‘, ihre antiamerikanische und antiisraelische Außenpolitik, die Förderung von Terroristen als ‚Widerstandskämpfer‘, die Destabilisierung durch völkische Minderheiten, den Kampf gegen den Dollar als Leitwährung und die Aufrüstungspläne zu einer weltweit kriegstauglichen EU-Armee“, so das Verlagsinfo.
WeiterlesenChristine Lehmann: Harte Schule
Erinnert sich noch jemand an das Champions-League-Finale Bayern München gegen Manchester United? Genau; das mit den beiden Toren in der Nachspielzeit, als die wackeren Bayern doch noch um die Früchte ihrer Arbeit gebracht wurden. In ähnlicher Erinnerung wird mir Christine Lehmanns „Harte Schule“ bleiben. Lehmann gegen die Unlogik, könnte man sagen, und zunächst sieht alles nach einem souveränen Sieg der Autorin aus.
Die in der ersten Halbzeit ihres Krimis alles richtig macht. Ein etwas zwielichtiger Lehrer wird ermordet im Schulhof aufgefunden, mit heruntergelassener Hose, erstochen. Lisa Nerz, Reporterin bei einer Stuttgarter Lokalzeitung, ermittelt, eine ungeliebte Volontärin im Schlepptau und nicht gerade mit konventionellen Methoden. Sie bricht ins Lehrerzimmer ein, macht sich an die Schüler ran, lernt einige merkwürdige Pädagogen kennen. Gut so.
WeiterlesenJohn Burdett: Bangkok 8
Britischer Humor, buddhistische Philosophie und thailändische Sexkultur, das ist der Mix für John Burdetts „Bangkok 8“. Sonchai Jitpleecheep ist Polizist in Bangkok. Der Sohn einer thailändischen Prostituierten und eines ihm unbekannten Amerikaners ist Buddhist und erzählt uns, den Weißen, den Farangs seine Geschichte.
Gemeinsam mit seinem Partner und langjährigen Freund verfolgt er einen schwarzen Amerikaner durch Bangkok. Der Amerikaner geht im Verkehrschaos verloren und als sie ihn wiederfinden, versucht eine Kobra vergeblich dessen Kopf zu verschlingen. Beim Versuch ihn zu retten, verstirbt auch Sonchais Freund und Partner an einem Schlangenbiss. Zusammen mit einer Mitarbeiterin vom FBI, die aus den USA kommt, macht Sonchai sich auf die Suche nach dem Verantwortlichen.
WeiterlesenSommerkrimi -3-
Wir waren in Russland, wir waren auf Island. Jetzt lassen wir die Sau raus. Mit Modesty Blaise in den Pazifik, viel Sonne, viel Sex, viel Zynismus, viel Spaß.
Hotel „Zum hemmungslosen lustvollen Lesen“, die Peter-O’Donnell-Luxussuite. Comictapete an den Wänden, aber alles sehr geschmackvoll. Eine Frau mit Signalmund und Traumkörper, böse Action: Haie werden per Nasenstüber zurechtgewiesen, revolverschwingende Pfarrer mitten in die Stirn genagelt, Nymphomaninnen greifen wahllos in die männliche Statisterie, ein größenwahnsinniger Millionär bekommt seinen Minderwertigkeitskomplex präsentiert. Latenter Sex, latenter Zynismus. Modesty Blaise.
WeiterlesenCarl von Holtei: Schwarzwaldau
Ich habe selten mit solch wachsendem Zorn und Unverständnis ein Buch gelesen wie Carl von Holteis „Schwarzwaldau“ – und das lag nicht an dem Buch, vielmehr daran, dass es ein Buch „Schwarzwaldau“ im handfest papiernen Sinne gar nicht gibt.
Seit seinem Erscheinen 1856 dürfte „Schwarzwaldau“ nicht mehr veröffentlicht worden sein; ein Kleinod der deutschen Kriminalliteratur, dessen man nur dank der vorbildlichen Arbeit der „Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser“ als →PDF-Datei habhaft werden kann, ein Kleinod, sage ich, das die uns gemeinhin als „Perlen der deutschen Kriminalliteratur im 19. Jahrhundert“ empfohlenen Werke à la „Judenbuche“ oder „Unterm Birnbaum“ als das erkennen lässt, was sie in Wirklichkeit sind: nette Petitessen, moralgetränkte, bestenfalls mit Küchenpsychologie gesäuerte Nebenarbeiten ihrer Schöpfer.
WeiterlesenNora Kelly: Old wounds
(Diese Rezension hätte auch in unserer aktuellen Sommerkrimi-Rubrik ihren berechtigten Platz. Cozy, meint der Rezensent – und nickt zustimmend.)
Krimis beschwören gerne die Geister der Vergangenheit und betonen die Verwurzelung von Verbrechen in der Vorzeit. Auch hierin offenbaren sie, in unserer zunehmend beschleunigenden Zeit, ihren im Kern eher konservativen Geist. So lebt dann auch Nora Kellys „Old Wounds“ von dem Wechselspiel zwischen den Erinnerungen Gillian Adams‘ an ihre Jugendzeit und der Gegenwart, die diesen Erinnerungen nur noch teilweise entspricht.
WeiterlesenSommerkrimi -2-
Kein Zweifel: Der sogenannte „Island Krimi“ (sein Markenzeichen ist der fehlende Bindestrich) erfreut sich bei deutschen Lesern zunehmender Beliebtheit. Arnaldur Indridason nähert sich dem Bestseller-Status, Stella Blomkwist schreibt für ihren Verleger schwarze Zahlen – und Viktor Arnar Ingólfsson beweist mit seinem Erstling „Das Rätsel von Flatey“, dass die Insel im Nordatlantik mit ihren knapp 270.000 Einwohnern jederzeit für Nachschub sorgen kann.
„Das Rätsel von Flatey“ spielt 1960 auf der gleichnamigen Insel im Breidafjord in Islands Westen. Auf einem öden Eiland wird die schon stark verweste Leiche eines Unbekannten gefunden, der Vertreter des Bezirksamtmanns soll den Fall klären, aber er ist neu, überfordert und hat mit eigenen Leichen im Keller genug zu tun.
WeiterlesenD.B. Blettenberg: Harte Schnitte
Obwohl in diesem Roman vier Menschen gewaltsam zu Tode kommen, fällt es schwer, ihn einen Krimi nennen. Das kann Gutes oder Schlechtes bedeuten. Kann, beginnen wir mit dem Schlechten, einfach heißen, hier habe ein Autor mit böser Absicht Elemente aus der Krimikiste gemopst, um einen vielleicht zu spannungsarmen Text aufzumotzen. Kann aber auch (jetzt sind wir beim Guten) bedeuten, dass wir uns einer ungewohnten Form von Kriminalroman gegenübersehen, die uns zunächst einmal verleugnen lässt, was nicht offensichtlich ist.
WeiterlesenSommerkrimi -1-
Leicht verdaulich sollen sie sein. Sonnentauglich und so vergänglich wie die Jahreszeit. Eine schöne Erinnerung, wenn es wieder kälter wird, mehr nicht. Sommerkrimis. Wir beginnen unsere kleine Urlaubsfahrt im aktuellen Russland.
Was man über „Blind ist die Nacht“ von Tatjana Ustinowa“ vorab wissen sollte, passt in einen Satz: Vor der Haustür der Moskauer Journalistin Kira Jatt wird ihr Chef erschossen aufgefunden. Alles andere folgt zwangsläufig: Kira gerät unter Verdacht, ihre Lage wird von Seite zu Seite heikler, falsche Spuren werden gelegt, Intrigen gesponnen, Missverständnisse provoziert und aufgeklärt – und das Ende ist so happy wie erwartet.
WeiterlesenDavid Peace: 1974
David Peaces „1974“ gehört in mancherlei Hinsicht zu den erfreulichsten Erscheinungen des bisherigen Krimijahres. Schon dass damit ein kleiner, gar nicht auf Krimis spezialisierter Verlag mehr als einen Achtungserfolg erringen konnte, stimmt optimistisch. Das Buch wurde hinreichend rezensiert, dominierte die →„Krimi-Bestenliste“, was wiederum die Notwendigkeit und den Nutzen eines solchen Instrumentes beweist.
Die Geschichte von Edward Dunford, Gerichtsreporter für das nördliche England, nimmt keine Rücksicht auf die sensiblen und durch jahrelanges Lesen höherer Literatur domestizierten Geschmacksnerven seiner Leser. Kleine Mädchen werden brutal ermordet, ein Bau- und Korruptionsskandal scheint damit verknüpft, Leeds und Umgebung sind trostlos, seine Einwohner verzweifelt oder zynisch, brutal oder hilflos, wahrscheinlich alles zusammen. Gewalt regiert, die Säfte fließen, unser Held ist so weit entfernt von einem Helden, wie es weiter nicht sein kann, am Ende überschlagen sich die Ereignisse, alles wird gut, das heißt: Alles wird noch schlechter.
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