Jacques Berndorf

„Seine Eifel ist nicht einfach nur fremdverkehrsamtlich ausgeschlachtete Kulisse, kein Marketingprodukt. Sie ist der Ort, an dem solide, durchaus unterhaltsame Krimis spielen – die man mögen kann, aber nicht mögen muss. Hinter denen ein professioneller Autor mit wackeren Absichten steht, dem es gelingt, Atmosphären zu schaffen, wie sie Krimifreunde nun einmal mögen: klare Fronten, schlimme Verbrechen mit garantierter Sühne, hübsche Landschaften und Identifikationsfiguren aus dem Bilderbuch der Lesepsychologie.“

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Der letzte Huelsenbeck

An allem ist zu zweifeln.“ Noch bevor die Story beginnt, wird schon mal gewarnt. Dem kuscheligen Gefühl, Bescheid zu wissen, soll’s hier an den Kragen gehen. Und in diesem Punkt werden Leser und Protagonisten im selben Boot sitzen. „Der letzte Huelsenbeck“, der Debüt-Roman von Christian Y. Schmidt, ist die Geschichte eines circa 60jährigen Mannes, der sich an eine Episode seiner Jugend erinnert: die Amerikareise 1978 mit einer Gruppe von Freunden, genannt „Die Huelsenbecks“, wobei: Freunde? Eher eine Clique oder Gang.

Der „Held“ hat eigentlich ein interessantes Leben: Reisejournalist, kommt rum in der Welt, heiratet eine Chinesin – obwohl er keine Ambitionen hat, ein bürgerliches Leben zu führen – , hat sogar Geld,  ist aber trotzdem kaputt und unglücklich. Und kann einfach nicht von seiner Vergangenheit lassen, den „Huelsenbecks“, die wild wie die Dadaisten sein wollten. Die Erinnerungen des Erzählers sind es definitiv. Vor allem entwickeln sie sich ganz anders, als man denkt. Sehr spannend, sehr unterhaltsam. Ein turbulenter Ritt, gewürzt mit trockenem Humor. Ein Schelmenroman, allerdings ein über weite Strecken sehr trauriger.

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Das große Städte-Labyrinthbuch

Vincent sagt: Ein Buch über riiiiesengroße Städte, wo man sich nicht zurechtfindet. Da muss man Hans und Grete zuerst mal zum Fernsehturm bringen. Indem man den richtigen Weg findet. Aber man darf nicht durch die roten Männchen durchgehen, denn die versperren den Weg.

Auf jeder Seite ist es anders. In London ist es schwieriger als in Berlin. In London sind nicht nur Riesenhäuser, da versperren auch ein paar Wächter Wege. Man muss zu dem Doppeldeckerbus kommen, der mitten in der Stadt steht. Wenn man jeden Tag übt, braucht man eine Minute, um den Weg zufinden. Ich brauch manchmal sogar eine Stunde.

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Leselinks I

Ab jetzt und in schön unregelmäßigen Abständen Gefundenes rund ums Thema Buch.

Wired: ↑The Unofficial Thomas Pynchon Guide to Los Angeles – and vice versa

Der Telegraph berichtet vom  Harrogate crime writing festival und der Guardian speziell über die immer wieder diskutierte Frage: ↑Why does crime still have such unpardonably low literary status?

Der in den Artikeln schon erwähnte George Pelecanos wird auch noch andersweitig interviewt. Einmal mit Schwerpunkt auf seine Mitarbeit bei der Fernsehserie „The Wire“  (↑Interview with George Pelecanos) und einmal einfach mit einem Standardfragebogen: ↑ One Minute With: George Pelecanos

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Zeit sparen

Was haben Marquez´ „100 Jahre Einsamkeit“, Don DeLillos „Weißes Rauschen“ und Jonathan Franzens „Die Korrekturen“ gemeinsam? Alle werden sie einem von literarisch interessierten Menschen ans Herz gelegt, nachdrücklich zumeist. Sie stehen aber auch auf einer Liste von The Second Pass

Below is a list of ten books that will be pressed into your hands by ardent fans. Resist these people. Life may not be too short (I’m only in my mid-30s, and already pretty bored), but it’s not endless.

DeLillo’s critique of society has all the depth and insight of the average teenager’s, and sometimes less.

Fired from the canon

Pandoras Büchse, offen

Fritz Effenberger nimmt sich auf Telepolis noch mal den „Heidelberger Appell“ vor

Was uns aus der Reuß-Tirade gegen digitale Publikationsmedien entgegenschlägt, ist kaum verhüllte Technophobie.

und formuliert einen eigenen „Augsburger Appell“:

Ich fordere daher die politischen Kräfte in unserem Land auf, nicht weiter über naive, da technisch unwirksame Verbote nachzudenken, sondern über die aktive Gestaltung des Urheberrechts in einer Zeit des technischen Umbruchs: Jeder Bürger kann sich heute via digitaler Weitergabe jedes Buch, jeden Film, jedes Musikstück besorgen, ohne dass dies technisch verhindert oder mitverfolgt werden kann; der Preis für die Verhinderung oder Aufdeckung wäre die Zerstörung des Internet, wie wir es kennen. Die Gesetze müssen dieser Realität entsprechend reformiert werden, der Urheber muss die ihm zustehende Vergütung erhalten

Geistiges Eigentum als Heidelberger Postkartenidylle

Verantwortungslose Kampagne

Das Aktionsbündnis “Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft’ nimmt in einer Presseerklärung Stellung zur fleissigen Lobbyarbeit der Initiatoren des „Heidelberger Appells„:

Das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ hat mit Bedauern und Sorge zur Kenntnis genommen, dass die für die Heidelberger Erklärung Verantwortlichen (Referenz dazu am Ende) ihre verantwortungslose Kampagne fortsetzen und sich nun auch direkt an die Bundeskanzlerin gewandt haben, damit diese sich für „Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte“ (so im Titel der Erklärung) einsetze.

Ein solcher Appell wäre an sich sicher in Ordnung, wenn nicht, so der Sprecher des Aktionsbündnisses Prof. Rainer Kuhlen, in der Heidelberger Erklärung ein rückwärts gerichtetes und pur individualistisches Verständnis von Freiheit und Rechten deutlich würde, das an den rechts-konservativen Bund Freiheit der Wissenschaft aus den 70er Jahren erinnert.

Die gesamte Presserklärung: →Für ein vorwärts, nicht rückwärts gerichtetes Urheberrecht

Der Traum der Aufklärung

Wir müssen mitstreiten, uns einmischen und die Rechte der Öffentlichkeit zurückerobern. Mit „wir“ meine ich uns, das Volk, das die Verfassung geschaffen hat und das den aufklärerischen Grundsätzen, die dabei Pate standen, in der Alltagsrealität der Informationsgesellschaft zur Geltung verhelfen sollte. Gewiss, digitalisieren müssen wir. Aber wichtiger noch: Wir müssen auch demokratisieren.

Robert Darnton, Leiter der Universitätsbibliothek von Harvard in Le Monde diplomatique über Segen und mögliche Gefahren des Buchdigitalisierungsprojekts von Google: →Im Besitz des Wissens.

Rockterrine: So schmeckt Rock’n’Roll!

Katrin Lauter, auch Kaddi genannt, Simone Voigt alias Uschi und Samaneh Parvin Zamir sind die Protagonistinnen hinter der Rockterrine. Die Drei kochen seit 2003 im Großraum Trier für Musiker bzw. Bands. Was seinerzeit im Exhaus in Trier anfing (genauer gesagt 1995 in Person von Kaddi) passiert mittlerweile auch schon mal in der Rockhal im luxemburgischen Esch-sur-Alzette oder bei Open Airs am Losheimer Stausee. Was genau die Rockterrine den Musikern auftischt, das ist in dem Buch „Rockterrine: So schmeckt Rock’n’Roll“ nachzulesen.

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Der Preis ist heiß

143 Das dürfte wohl das erste Mal sein, dass ein Autor den Kleistpreis (einen der wichtigsten Literaturpreise unseres Landes und immerhin mit €20.000 dotiert) erhält, der auch in den Insellisten unserer Mitarbeiter vertreten ist. Der Preis geht in diesem Jahr an – Tusch! – Max Goldt.

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Ivo Stourton: Die Nachtgänger

Ich habe fast zeitgleich „Schilf“ von Juli Zeh und Ivo Stourtons „Die Nachtgänger“ gelesen. Danach ist man bis ans Lebensende mit Metaphern ausgestattet und hat für nahezu jede Alltagsbegebenheit eine blumige Beschreibung parat. Wie immer liegt es in erster Linie am Leser selbst, wie geduldig er diese Bildersprache erträgt.

„Die Nachtgänger“ ist Ivo Stourtons Debüt und fällt nicht nur durch seine Metaphern auf. Kurz gesagt ist der Roman fast so gut wie „Die geheime Geschichte“ von Donna Tartt. Der Handlungsrahmen ist ähnlich, aber man fragt sich, wo dieses Kerlchen (*1982) die Lebensweisheit und Erfahrung geborgt hat, die durch sein erstes Buch schimmert.

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Oliver Uschmann: Wandelgermanen

Oliver Uschmann lässt Bochums bekanntester Männer-WG keine Zeit zum Verschnaufen. Kaum hatte man sich bei „Voll beschäftigt“ damit abgefunden, dass das Haus abgerissen werden muss, liegt jetzt schon der Nachfolger vor, in dem Hartmut, der namenlose Erzähler und die beiden Frauen aufs Land auswandern. „Wandelgermanen“ ist der dritte Teil der ‚Hartmut und ich‘-Reihe und verlegt den Wahnsinn vom Ruhrpott ins schwäbische Hinterland.

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Christopher Hjort: Strange Brew

Der norwegische Rockhistoriker hat wieder zugeschlagen. Nach seinem superben, 2000 erschienenen Handbuch zu Jeff Becks Karriere „Jeff’s Book: A Chronology of Jeff Beck’s Career, 1965-1980: From the Yardbirds to Jazz-Rock’ legt er nun mit einer weiteren Chronik nach. Dieses Mal widmet er sich dem „British Blues Boom“, der zwar mit Alexis Korner und John Mayall schon Anfang der 1960er Jahre startete, aber seine Blütezeit zwischen 1965 und 1970 hatte. Auf diesen Zeitraum konzentriert sich denn auch Hjorts opulenter, mit vielen Fotos und Faksimiles ausgestatteter Band.

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