Stephen Fenichell: plastic – unser synthetisches Jahrhundert

Mehr als lästig und unästhetisch: Bücher, womöglich in Leinen gebundene Hardcover, die in Folie eingeschweißt sind wie Fertiggerichte aus der Kühltruhe auf denen man auch guten Gewissens den Aufdruck „Futter Synthetik“ anbringen könnte. Aber nicht immer. Manchmal fügt sich doch das eine zum anderen zu einem Gesamtheitlichen Etwas wie beispielsweise bei Stephen Fenichells Werk über die Geschichte des Plastiks. Auf eine verständliche und unterhaltsame Art, wie sie von deutschsprachigen Autoren viel zu selten anzutreffen ist, dokumentiert der Amerikaner seine Haßliebe zum synthetischen Stoff, aus dem die Träume des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind.

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Colin Bateman – Der Engel mit der Rosenschere

Dan Starkey, Kolumnist bei einem Belfaster Tagesblatt und ausgerüstet mit einer Vorliebe für Cola als morgendliches Erfrischungsgetränk und der Fähigkeit, von einem Schlamassel nahtlos in den nächsten zu geraten, trifft fast der Schlag. Bei ihm um die Ecke bahnt sich ein wahres Wunder an. Durch glückliche Umstände wird ein Hinterhofboxer irischer Meister – und Herausforderer für Mike Tyson. Als ob das noch nicht Wunder genug wäre, soll Starkey das Team nach New York begleiten und ein Buch über den Titelkampf schreiben.
Entgegen seiner Befürchtungen ist Fat Boy McMaster, der irische Übergewichtsmeister, ein netter Kerl, der seine Lage realistisch einschätzt und hofft, bis zur vierten Runde durchzuhalten und seine öffentliche Hinrichtung zu überleben.

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Michael Lewin: 2 Romane

Michael Lewin: Der stumme Handlungsreisende
Michael Lewin: Anruf vom Panther

Die Welt ist rund, sie dreht sich, und je nach dem, wo man steht – oben oder unten – kommt man auch ein Stück weit mehr rum als andere. Oder auch nicht, wie im Fall von Albert Samson, dem billigsten aller billigen Privatdetektive. In diesem wie in so vielen anderen Sommern ist es heiß in Indianapolis, heiß im armseligen Wohnbüro und die Geschäfte laufen nicht schlecht; sie laufen überhaupt nicht. Auch das letzte As im Ärmel, eine Anzeige:

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Pieke Biermann – Vier, fünf, sechs

Keine Frage, es ist ein hartes Gewerbe, einen Ermittler oder Ermittlerin immer und immer wieder in die triste Welt des Verbrechens zu schicken und das fortwährend mit dem nötigen Maß an Originalität und einer Portion Unterhaltung zu verbinden. Drehbuchautoren können ein Lied davon singen. Pieke Biermann, das Fräuleinwunder des deutschen Kriminalromans, auch.

Das Lied, das sie mit den Taktzahlen vier, fünf, sechs anstimmt, kommt auch nicht richtig in die Gänge. Die Mitspieler können sich anfangs nicht so recht auf ein gemeinsames Tempo und Thema einigen. Nach einer gewissen Zeit hat sich dieses Problem ausgependelt und eingeränkt, aber, was kommt ist nichts, was Kritiker vom Hocker haut.

Der Krimifan kommt mit dieser Situation sichtlich besser zurecht. Er weiß schließlich, warum er zu Pieke Biermann gegriffen hat. Er weiß auch warum er eine weitere Episode aus dem Leben von Kommissarin Karin Lietze verfolgen will. Es ist letztlich eine Frage der Einstellung: Auch beim hundertsten Mal schmeckt Muttis Kuchen, warum also darauf verzichten.

Schreiben kann Pieke Biermann, und das Szenario paßt auch gut in die Zeit des großen Sandkastens Berlin, in dem sich die Bauunternehmer die Förmchen in die Hand geben und von den Großen, die im Sandkasten das Sagen haben gegen kleine Gefälligkeiten das Wasser reichen lassen. Als aber ein Ordnungshüter mit gehörigem Wumms in die Luft fliegt, sieht es so aus, als ob die ganzen schönen Sandburgen davon Risse bekommen und auseinanderzubröckeln drohen…

Pieke Biermann
VIER, FÜNF, SECHS
Goldmann Manhattan 18,- DM
ISBN 3-442-54030-5

Ira B. Nadel: Various Positions

Über Leonard Cohen ist schon viel geschrieben worden. Möglicherweise mehr als er selbst geschrieben hat. Warum also noch eine Cohen-Biographie ins Bücherregal stellen? „Various Positions“ von Ira B. Nadel ist zwar auch keine autorisierte Biographie, zumindestens aber eine „wohlwollend tolerierte“. Cohen öffnete nicht nur seine Archive für Nadel, er stand ihm auch für Gespräche zur Verfügung. Die Biographie ist auch dementsprechend detailliert ausgefallen. Die Kindheit Cohens, seine Zeit als Student, die ersten literarischen Erfolge, seine Reisen, seine Wandlung vom Geheimtip der Kulturszene zum Star der Popkultur werden dem Leser präzise nahegebracht.

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Ilja Trojanow: Autopol

Spindler, Rudolf;/Trojanow, Ilija: Autopol

Prosa und Lyrik im Internet, die sogenannte Web- Literatur, ist Neuland. Für Leser und Schriftsteller. Dem vertrauten Buch weicht das Springen zwischen den Texten per „Hyperlink“, oftmals schreiben Dutzende Autoren gleichzeitig an einer Geschichte. Die Redaktion des ZDF-Kulturmagazins Aspekte betreut seit längerem das Internet-Projekt „Novel in Progress“ – Literatur, die im Internet entsteht. Das erste Ergebnis liegt jetzt als Buch vor: Der Science-fiction-Roman „Autopol“ von Ilja Trojanow und Rudolf Spindler.

Die Thematik des Romans ist ebenso realistisch wie spannend: „Autopol“ ist ein geschlossenes Autobahnnetz, das sich im Besitz des Großkonzerns TETA befindet. Auf ihm werden Schwerverbrecher, Giftmüll und sonstiger „Ballast“ der Gesellschaft verschickt. Sie zirkulieren zwischen den Sammelstationen, bewegen sich im Schneckentempo durch ganz Europa. Das Interesse der Gesellschaft an Autopol ist erloschen, es weicht der Zufriedenheit, Probleme gelöst und im wahrsten Sinne des Wortes „abgeschoben“ zu haben. Widerstand blüht allenfalls im kleinen Maßstab im Untergrund.

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Markus Caspers – 70er – einmal Zukunft und zurück: Utopie und Alltag 1969-1977

Wenn Sie sich zur Zeit mit Anfang Zwanzig schon alt fühlen, dann sind Sie wahrscheinlich weiblich und befinden sich im Erdgeschoß einer H&M-Filiale (wahlweise auch in einer Fußgängerzone oder an der Bushaltestelle): als erwachsener Normalo sind Sie konfrontiert mit einem Haufen Lolitas im Unilook (hautenge Strickpullöverchen, Schlaghosen, Schuhsohlen in Größe einer Packung Knäckebrot und die unvermeidlichen langen Haare mit Madonnenscheitel). Die 70er am Ende der 90er – wir leben bekanntlich in einer Welt der Zitate: Retro, Recycling und Stilmix sind die Stichworte (Snobs sprechen von Eklektizismus)!

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Walter Mosley: Mississippi Blues

Leben bedeutet Leiden. Welche Musik kann dieses Gefühl besser ausdrücken, als der Blues, der im schwarzen Mississippi-Delta geboren wurde. Soupspoon Wise ist einer der Männer, die mithalfen dem Blues das Laufen beizubringen. Doch das ist lange her. Alt geworden und voller Schmerzen, wird er von seinem Vermieter aus seiner Wohnung geworfen. Als er inmitten seiner Möbel auf der Straße sitzt, begegnet er Kiki, einer jungen Weißen. Selber ein hartes Leben hinter sich, nimmt sie ihn auf und bringt ihn wieder auf die Beine. Doch Soupspoon weiß, daß er nicht mehr lange Zeit hat und will etwas hinterlassen, woran man sich erinnern kann.

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Charles d‘ Ambrosio – Ihr wirklicher Name

Bei einem guten Buch wie diesem kommt man nie ganz dahinter, warum es so gut ist. Phrasen von der „unverwechselbaren Stimme des großen Erzählers“, wie sie der Klappentext bemüht, helfen da nicht weiter. Über den Autor erfahren wir nur, daß er 1960 geboren ist – ganz so neu ist die Stimme also auch nicht mehr – und in Seattle lebt. Im Nordwesten der USA spielen auch die sechs Stories, die unter dem Titel ‚Ihr wirklicher Name‘ bei btb erschienen sind.

Erzählt wird von Menschen zwischen Meer und Schnee, die unter der sogenannten ‚Schwere des Seins‘ leiden, zugleich aber „spüren, wie die Ewigkeit auf einen herabblickt“. Die große Welt ist immer da, im Hintergrund. Vor Augen die kleinen Dinge des tätlichen Lebens, ein Weingummi, eine gebackene Kartoffel, die – so glasklar wie d’Ambrosio betrachtet – eine neue Dimension gewinnen. Alles eine Frage der Perspektive und d’Ambrosio entdeckt aus seiner Persprektive im Unbedeutenden etwas, das eine neue Leichtigkeit mit sich bringt.

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Michael Palin: Hemingways Stuhl

Das Ambiente kommt mit Rosamunde-Pilcher-Charme daher – Meer, Möwen und Moor. Im Morast der Langeweile sumpft auch Martin, der Anti-Held. Er ist sechsunddreißig und lebt bei seiner Mutter. Ein Durchschnittstyp mit einem Durchschnittsgesicht und einem Durchschnittscharakter. Von Beruf Postbeamter in der südostenglischen Kleinstadt Theston. Leidenschaft lodert bei ihm nur dort, wo es sich um Papa Hem dreht, seinen Abgott und Ersatzvater. Sproale ist durch und durch Hemingway-Aficionado. Sein Jugendzimmer enthält ein Sammelsurium von Reliquien. Und nur dort, miteinem vollen Glas Grappa vor seiner Reiseschreibmaschine, einer CoronaNr.3, erwacht er für Momente zum Leben.

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Glen Cook – Die Rätsel von Karenta

Bd. 6: Heisses Eisen
Bd. 7: Spitze Buben

Es war wieder einer der ganz speziellen Tage. Eigentlich wollte Garrett – seines Zeichens Privater Ermittler – nur auf ein Bier in Morpheus Ahrms Freudenhöhle vorbeischauen, aber just in diesem Augenblick taucht dort eine äußerst attraktive junge Dame auf und Garretts Hormone tanzen Salsa. Leider erscheinen die obligatorischen Fieslinge und vertreiben die Dame, doch nicht ohne ihm vorher die Möglichkeit zu geben, den Helden zu spielen. Am nächsten Tag klopft es an seiner Tür und Captain Wart Block bittet ihn um seine Hilfe in einer Reihe abgedrehter Morde. Natürlich verschließt sich unser Held nicht diesem Ansinnen und steckt binnen Kürze in einem widerwärtigen Fall. Blut, Magie, Horror, Sex. Ein böser Geist aus grauer Vorzeit. Bissige Schmetterlinge…

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E.L.Doctorow – Billy Bathgate

Jede Zeit bringt ihre eigenen Idole hervor. In der trostlosen Bronx zur Zeit der Depression orientiert sich die Jugend an ganz speziellen Vorbildern. Eines davon ist Dutch Schultz, respektierter Boss eines florierenden Verbrechenunternehmens. Wie viele seiner gleichaltrigen Kumpanen träumt auch Billy Bathgate von dem aufregenden Leben eines Gangsters, nicht nur weil es ach so aufregend erscheint. Wohlorganisiertes Verbrechen ist schlicht und ergreifend ein verlockender Weg, den Dreck der Hinterhöfe hinter sich zu lassen.

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Musikbücher IV

Sechs mehr-oder-weniger-Neuerscheinungen gilt es euch heute näherzubringen. Beginnen wir mit dem von mir sehnlichst erwarteten Werk „Lyrics And Poems“ von Joni Mitchell, erster von drei angekündigten Bänden, deren beiden noch ausstehenden den „Malereien“ respektive „Autobiografischem“ gewidmet sein sollen. Nun schön. Es freut mich natürlich, endlich sämtliche Songtexte der großen Joni zwischen zwei Stückern Pappdeckel im Regal zu haben – von mir aus hätt’s auch Hardcover sein können, da bin ich ganz bibliophiler Snob und scheue die Extramärker nicht.

Aber na gut, dann halt Broschur. Nur: Kündet der Titel nicht von „Lyrics AND Poems“, dem also, was unsereiner landläufig „Gedichte“ nennt und von denen in Jonis Schublade garantiert noch mancher Versuch ruht? Kündet er. Wird aber nicht gebracht. Bloß Songtexte. Und der Verlag entschuldigt sich auf einem beigelegten Papierstreifen auch noch dafür, daß leiderleider die Texte der für Februar 1998 erwarteten 18. Mitchell-Platte, „Taming The Tiger“, nicht haben abgedruckt werden können – „due to circumstances beyond our control“, ja, ja, das sagt Herr Rühe auch gerade. Als großer Verehrer der Kanadierin will ich aber mal nicht so sein. Haben wir halt nur die Songtexte und ein erläuterndes Vorwort nebst Anmerkungen, denn es gibt ja soviel zu schreiben über diese „lyrics“, diese Juwelen unter all dem Schrott herkömmlichen Popgereimes. Ha! Nichts da! Kein Vorwort! Keine Anmerkungen! Nur eine Seite kümmerlichste Diskografie am Schluß des Buchs! In mir breitet sich eine große Traurigkeit aus, und wäre mir zum Weinen zumute, ich würde es gewiß tun. Bist du dran schuld, Joni? Oder der knickrige Verlag? Apropos Verlag: Wo ist der deutsche Verlag, der mich die Texte ins Deutsche übertragen läßt? Mit Vorwort! Mit Anmerkungen! Wir werden die Literaturpreise nur so abräumen, meine Damen und Herren Verleger! Sie werden in den Parnass aufsteigen, bei Desinteresse aber weiter in der Hölle der 698. Dylan-Biografie schmoren! Nur Mut! Melden!

Kommen wir zu zwei recht ansprechenden Werken über die englischen Folkrockpioniere Fairport Convention, zunächst zu einer aktualisierten Neuauflage des bereits 1972 erschienenen „Meet On The Ledge. Fairport Convention – The Classic Years“. In den reichlich düsteren Jahren der britischen Popmusik zwischen etwa 1970 und 1976, also dem Split der Beatles und dem Siegeszug des Punk, kam akustischer Trost in erster Linie aus den Gefilden des Folkrock. Den hatten die Briten keineswegs erfunden, wie uns manchein oberflächlich recherchierender Journalist gerne weismachen möchte, und es war auch nicht so, daß die Erleuchtung, altes englisches Liedgut mit modernen Rocktönen zu verbinden, über Nacht gekommen wäre. Nein, das Licht leuchtete von Amerika her, vom Folkrevival der Frühsechziger, dem Countryblues, von Woody Guthrie, Tom Paxton, Pete Seeger und, er darf natürlich nicht fehlen, vor allem Bob Dylan. Die Byrds schließlich machten vor, wie sich Folk und Rock verbünden konnten (nebenbei sei bemerkt, daß sie vom englischen Genius profitierten, den Beatles nämlich), die Insulaner machten es nach. Fairport Convention, 1967 vom umtriebigen Ashley Hutchings gegründet (er zeichnete auch für das Inslebenkommen von Steeleye Span und der Albion Country Band verantwortlich), begnügten sich auf ihrem Debütalbum noch mit Joni Mitchell-Covern und ersten Eigenkompositionen, die den amerikanischen Vorbildern huldigten. Zwei Ereignisse änderten das: Zunächst der Beitritt von Sandy Denny (sie kam für Judy Dyble, die singende Bibliothekarin), dann mit dem wachsenden Selbstbewußtsein des milchgesichtigen Gitarristen Richard Thompson, der fortan als Komponist glänzte. Beide stellten sich in der Folgezeit nicht nur als treibende Kräfte von FC heraus, sondern wurden auch die herausragenden englischen Singer/Songwriter der Siebziger. Thompson ist bis heute an der Spitze geblieben, Sandy Denny fiel 1978 eine Treppe runter und war tot, aber leben wird sie immerdar. 1969 brachte man mit „Liege & Lief“ das erste britische Folkrock-Album heraus, und es strahlt bis heute.

Unsere zweite FC-relevante Neuvorstellung heißt „Fairportfolio“, stammt von Kingsley Abbott, einem Jugendfreund der Band, und bietet auf ca. 60 Seiten Einblicke in die Anfangsphase, mit seltenen Fotos und Zeitungsschnipseln, rührend unprofessionell abgedruckt, aber eben mit Liebe, wie es einer im Eigenverlag erschienenen Publikation frommt. Kostet stücker 30 Mark, ist beim Autor erhältlich (Adresse siehe unten) und nur etwas für ausgemachte Liebhaber der Band.

Das nächste Buch, das ich euch ans Herz legen will, behandelt ein amerikanisches Thema, ist allerdings auch von einem Engländer geschrieben worden (na, und so ganz neu ist es auch nicht: 1996. Aber wann soll ich denn den ganzen Kram lesen?!): „Waiting For The Sun. The Story Of The Los Angeles Music Scene“. Barney Hoskyns heißt der Autor, hat lange in L.A. gelebt, schreibt heute für verschiedene Zeitschriften, u.a. für MOJO, und so wie wir keine Zeitschrift hierzulande haben, die an MOJO heranreicht (schleicht’s euch, Rolling Stone-Schreiber! Nur daß sie „Happy Boys Happy“, den fulminanten Schmitt/Twelker-Happen über die Small Faces, etwas unterkühlt-britisch besprochen haben, ist den Mojo-Mannen anzulasten. Typisch angelsächsischer Neid, klar, und außerdem gehört das gar nicht hierher, verwirrt nur die Leser, die darauf warten, daß ich die Klammer endlich zumache. Mach ich’s also. Es geht also jetzt (nach der Klammer) damit weiter, daß ich gesagt habe, es gäbe keine Zeitschrift wie MOJO hierzulande (danach kommt besagte Klammer, die ihr aber ignorieren könnt, weil ihr gerade mittendrin seit, d.h. eigentlich habe ich sie ja zugemacht) (nein, nicht DIE Klammer! Das ist eine Klammer in der Klammer, und die mache ich jetzt zu. So:), und jetzt muß ich weiterfahren, daß es selbstverständlich auch kein solches Buch über die L.A.Szene hierzulande gibt. Ergo:), so haben wir selbstverständlich auch kein solches Buch über die L.A.-Szene. Wie denn auch! Das Ding ist in Leinen gebunden! Wiegt ungefähr so viel wie ein Pfund Kaffee (ich hab’s ausprobiert; es war entkoffeinierter)! Ist in einer Sprache geschrieben, die mehr als den Grundwortschatz benötigt! Enthält kein einzig Sterbenswörtlein über die Kelly Family! Ist also in Deutschland unverkäuflich! Und ein Standardwerk!

Hoskyns entwickelt die Geschichte des musikalischen L.A. chronologisch, beginnt etwa in der Nachkriegszeit und endet im Hier und Jetzt. Was man erwarten konnte. Aber da betet nicht nur einer Daten runter, sondern er hat seine Grütze beim Schreiben stets dabei, was man ja nicht von allen sagen kann, die schreiben. Das Ganze ein „Sittenbild“ zu nennen, wäre nicht falsch. Schwerpunkt des Buches ist natürlich die Mitt- bis Endsechziger-Phase der Canyon-Schickeria, als sich von Zappa bis zu den Eagles alles in den diversen Tälern tummelte. Hoskyns beschreibt, wie sich der anfängliche Idealismus der friedlichen und kreativen Gemeinschaft allmählich zum blanken Horrorszenario wandelt. Man hat sich von der Außenwelt abgekoppelt, schnupft, spritzt, raucht, was nur irgendeinen Kick verspricht, und wird in Gestalt von Charles Manson und seiner Family schließlich mit dem Entsetzen konfrontiert. Was einige ernüchtert, andere nur resigniert ins nächste Refugium weiterziehen läßt. Hoskyns arbeitet bei der Beschreibung jener Jahre vor allem mit Gruppen- und Solistenporträts – was ein kleines Manko ist, denn dabei kommt ihm manchmal der analytische Verstand abhanden. Aber nur kurzzeitig, er findet ihn schnell wieder. Alles in allem liefert er den Beweis, daß Musikjournalismus weder reine Starparade noch soziologisch-tiefgründelndes Gewäsch sein muß. Man kann auch erzählen, sich an Anekdoten delektieren und, wie erwähnt, das Hirn als kongenialen Partner der Schreibhand akzeptieren. Vielleicht auch bald in Deutschland? Wo sich ein Verlag findet, der eine Übersetzung finanziert? Dürfte auch Paperback sein. Auf holzhaltigem Papier. Wunschtraum eines ewig Unbelehrbaren.

Über „Frauen im Rock“ (selten dämlicher Begriff!) ist in den letzten Jahren eine wahre Flut von Publikationen geschwappt, einige auch an dieser Stelle besprochen und doch artig gelobt. „Trouble Girls. The Rolling Stone Book Of Women In Rock“, herausgegeben von Barbara O’Dair ist nun der bislang kompetenteste Reader zum Thema. Zwar kein Lexikon im eigentlichen Sinne, aber ein Nachschlagewerk erster Güte, was vor allem daran liegt, daß a) wirklich fähige Autorinnen (und Fotografinnen!) mitwirken und b) der übliche US-Zentrismus amerikanischer Publikationen hier erfreulicherweise etwas abgemildert wurde. Man findet z.B. einige schöne Seiten über Sandy Denny, und selbst June Tabor wird wenigstens zweimal namentlich erwähnt. Daß ich das noch erleben darf! Schön auch, daß man sich endlich einmal des Themas „Groupies“ ohne den moralischen Zeigefinger angenommen hat. Der Janis Joplin-Beitrag ist herrlich ironisch, die Karen Carpenter-Story analytisch erhellend. Und so weiter. Selbst Gillian G. Garr, Autorin eines mäßigen Rockfrauenbuches, das gerade bei 2001 verramscht wird, weiß zu Laurie Anderson Erbauliches zu schreiben, was ich ihr, ehrlich gesagt, nicht mehr zugetraut hätte. Natürlich: Auch dieses Werk kann das große Dilemma nicht überwinden, daß man beim Thema „Frauen und Rockmusik“ stets auch die gesellschaftliche Seite berücksichtigen muß, dabei aber fast zwangsläufig die reine künstlerische Leistung in den Hintergrund rückt. Aber so ist das halt: Die Geschichte der Rockfrauen ist vor allem die Geschichte ihrer Diskriminierung – und die Geschichte ihrer Emanzipation.

Emanzipation ist auch ein gutes Stichwort für unsere letztes Werk: Es heißt „Björk. Björkgraphy“, wurde von Herrn Martin Aston geschrieben und handelt natürlich von Leben und Wirken jener seltsamen Frau Gudmundsdottir aus dem hohen Norden. Wie fast alle ihre Kolleginnen ist auch Björk inzwischen das Objekt sogenannter „illustrated biographies“ geworden, also gemeinhin stark bebilderter Broschüren, deren Textteil wohl nur aus Versehen mit hineingerutscht ist. Nicht so dieses Buch, das auf satten 336 Seiten die Stationen der Karriere Björks Revue passieren läßt. Tappi Tikarass, Kukl, Sugarcubes, endlich die blendenden Soloveröffentlichungen – nichts wird übergangen, aber das kann man schließlich von einer Bio erwarten. Nicht unbedingt zum Standard gehört es, sich auch über das gesellschaftliche Umfeld schlau zu machen, zumal es sich im Falle Björks um das exotische der Insel Island handelt. Aber Aston gelingt auch dies, man merkt, er war dort und hat sich umgeschaut, hat einiges Merkwürdige beobachtet und gibt es im einleitenden Kapitel seines Buches preis. Daß auf den 336 Seiten manches zu erschöpfend behandelt wird und gewisse Ermüdungen beim Leser nicht ausbleiben können, ist selbstverständlich. Aber noch erträglich. Für alle Fans ein Muß, auch wenn die aktuelle Entwicklung („Homogenic“, das letzte Album, das Säureattentat usw.) in diesem 96er Werk naturgemäß fehlen.

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Für alle, denen es wieder einmal viel zu schnell gegangen ist, hier noch einmal Titel, Autoren, Verlage, Preise:

Joni Mitchell: The Complete Poems And Lyrics. London (Chatto & Windus) 1997, Preis: 14 Pfund 99
Patrick Humphries: Meet On The Ledge. Fairport Convention - The Classic Years. London (Virgin Books) 1997, 176 Ss. Preis: 9 Pfund 99
Kingsley Abbott: Fairportfolio. Personal Recollections of FAIRPORT CONVENTION from the 1967-1969 era. North Lopham 1997 (zu beziehen über: Kingsley Abbott, "Hollycot", High Common, North Lopham, Diss, Norfolk, IP22 2HS), Preis: ca. 10 Pfund
Barney Hoskyns: Waiting For The Sun. The Story Of The Los Angeles Music Scene. London (Viking/Penguin) 1996, 356 Ss. Preis: 20 Pfund, die sich lohnen.
Barbara O'Dair: Trouble Girls. The Rolling Stone Book Of Women In Rock. New York (Random House) 1997, Preis: 25 $
Martin Aston: Björk - Björkgraphy. London (Simon & Schuster) 1996, Preis: 10 Pfund 99

Sherman Alexie – Reservation Blues

Was verschlägt den legendären Bluesgitarristen Robert Johnson ins Reservat der Spokane-Indianer? Er will dort seine Seelenruhe wiederfinden und seinen Pakt mit dem Teufel vergessen. Also schenkt er seine Gitarre, die ein teuflisches Eigenleben besitzt, dem erstbesten Indianer, Thomas BuildsTheFire und sucht Big Mom, die Dorfhexe, auf. Mit der Gitarre beginnt die Geschichte um die indianische Folk-Blues-Band Coyote Springs. Die Band besteht aus einem Haufen von Versagern und Alkoholikern, die in ihren Leben noch nichts erreichen konnten. Durch ihre Musik erfahren sie zum ersten Mal ein wenig Anerkennung und Erfolg. Trotz geringfügiger Rückschläge deutet alles darauf hin, daß sie es weit bringen können. Doch dann machen sie sich auf, eine Platte aufzunehmen…

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Annette Meyhöfer: Dieser Kater wäre einen Rausch wert gewesen

Spätestens seit Selim Özdogans Erzählung ‚Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist‘ ist dieses Phänomen bekannt: Bücher, deren einzige kreative Idee im Titel erscheint. In diese Kategorie reiht sich auch die Sammlung von Erzählungen der Kulturjournalistin Anette Meyhöffer ein, die unter dem Titel DIESER KATER WÄRE EINEN RAUSCH WERT GEWESEN erschienen ist. Der rote Faden, der sich durch die Stories zieht, ist das Dilemma der Ich-Erzählerin, einer kulturell ambitionierten und intellektuell gebildeten Frau mitte dreißig, die versucht, mit der Haute Volée mitzuhalten, aber ihr Scheitern in diesem Bereich frustriert zur Kenntnis nimmt. Das Schlimmste ist jedoch ihre Erkenntnis, daß sogar den Doofen und Ungebildeten dieser Welt das gelingt, was ihr partout nicht gelingen will: eine aufregende und gleichfalls verläßliche Beziehung aufzubauen.

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Ben Elton – Popcorn

Der Kultregisseur Bruce Delamitri steht am Ziel seiner kühnsten Träume. Soeben wurde er in den Olymp der Hollywoodgötter aufgenommen. Für seinen neusten Kinoerfolg, eine Mischung aus Natural Born Killers und Pulp Fiction, bekam er den Oskar. Er leistet sich zwar den Luxus, die Auszeichnung als lächerlich zu bewerten, aber sie war in seinen Augen schon längst überfällig.
Den Angriffen auf seine Filme als gewaltverherrlichend und gewaltfördernd begegnet er mit der Arroganz des intellektuell Überlegenen. Seiner Meinung nach stellt er schon vorhandene Realität dar, außerdem hätten seine Filme selbstverständlich keinerlei negativen Einfluß auf irgendjemanden.

Dummerweise treibt sich auf den Straßen ein Killerpärchen herum. Von den Medien sinnigerweise die Mall-Killer genannt. Wayne und Scout morden mehr oder weniger sinnlos durch die Gegend und gehen dabei mit äußerster Brutalität und Kaltblütigkeit vor (Natural Born Killers läßt grüßen!). Nach der Fernsehübertragung eines Interviews mit Delamitri kommt Wayne eine brilliante Idee zu ihrer Rettung. Dazu müssen sie dem Regisseur aber einen Hausbesuch abstatten…

Popcorn ist eine bitterböse Geschichte über die allzu menschliche Eigenschaft die Verantwortung für eigene Handlungen auf andere abzuschieben. Gottseidank ohne moralischen Zeigefinger, sondern mit sehr viel Sarkasmus und Ironie geschrieben. Nebenbei rechnet Ben Elton mit den Medien und den Hollywoodgöttern ab. Dieses Buch lege ich jedem wärmstens ans Herz, der schwarzen Humor für die einzig wahre Art der Unterhaltung hält. Allen anderen natürlich auch.

Ben Elton
Popcorn
Goldmann 20,00 Deutschmark
ISBN 3-442-54018-6

Grant McCracken: Big Hair – Der Kult um die Frisur

Man sollte keine Frau auch nur in die Nähe einer Flasche Bleichmittel lassen. Es ist genauso wie mit dem Feuerwasser bei den Indianern. Sie wissen einfach nicht, wann sie aufhören müssen.
Charles Revson, 1961

Hunderttausende von Jahren ist es bereits her, seit die Evolution beschlossen hat, im Stammbaum der Primaten eine Abzweigung einzufügen und ein zweibeiniges Lebewesen auf den Weg zu schicken, das sich in seinem Verhalten zuweilen nur geringfügig von seinen Brüdern und Schwestern unterscheidet: den Menschen. Vieles ist geblieben, beispielsweise die Vorliebe für Bananen und der Hang zu zeitaufwendiger Körperpflege. Obwohl der Hang zur Hygiene bei bestimmten Bevölkerungsschichten bis in die Gegenwart erfolgreich unterdrückt wurde, blieb ein Rudiment aus den Primatenzeiten der Zweibeiner unablässiger Quell für Ärgernisse aller Art: Haare.

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Jackie O. Der Fan und sein Star

Würden alle Bücher nur von den wichtigen Dingen des Lebens handeln, wären die meisten nie geschrieben worden – dabei sind die überflüssigsten oft die besten!

So überflüssig wie lesenswert ist die mit zweijähriger Verzögerung erschienene deutsche Ausgabe von „Jackie O. Der Fan und sein Star“, ein Werk des Amerikaners Wayne Koestenbaum, nebenbei Dozent für englische Literatur, hauptsächlich aber glühender Jackie-Verehrer! „Jackie“ meint natürlich Jacqueline Kennedy Onassis, die mit Marge Simpson übrigens den Mädchennamen „Bouvier“ teilt.

Das war´s dann aber auch schon an Gemeinsamkeiten, denn während Marge auf ein stupides Hausfrauendasein im Kreise ihrer debilen Familie zusteuerte, heiratete die junge amerikanische Fotoreporterin französischer Abstammung einen aufstrebenden demokratischen Senator, wurde bald darauf First Lady der USA und ebenso schnell Witwe, heiratete einen häßlichen, griechischen Milliardär, wurde wiederum Witwe und arbeitete bis zu ihrem Krebstod 1994 in New York als Lektorin. Noch Fragen? Vielleicht nach Hinterlassenschaften, überlieferten Statements, einem Werk? Fehlanzeige!

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Musikbücher III

Ihr, die euch die Gnade der späten Geburt vor so manchem bewahrt hat, werdet euch nicht erinnern können. Aber glaubt mir: Es gab eine Zeit, da jeder Rentner, der etwas auf sich hielt, hierzulande beim Anblick eines Langhaarigen schöne Visionen bekam. In ihm dräute dann die 1000jährige Sehnsucht nach einer freundlich im frühen Morgenlicht blitzenden Guillotine im propperen Hof eines wohlorganisierten Konzentrationslagers. Und er dachte (meistens still in sich hinein, manchmal laut aus sich heraus): Hei, wäre das nicht schön, wenn jetzt dieser langhaarige Kopf, der so arg voll ist von verseuchter Beatmusik, unterm Fallbeil=da zu liegen käme und – schwupp – abgeschlagen würde, auf daß er in ein weiches Auffangnest aus druckfrischen BILD-Zeitungen plumpsete? (Unsere ehemaligen Rentner beherrschten noch den altertümlichen Konjunktiv!)

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